Quereinstieg ins Parlament

Eine Reihe von Kandidat:innen für das neue Europaparlament haben keine „klassische Parteikarriere“ hinter sich. Wir stellen einige von ihnen vor.

Von links oben nach rechts unten: Nina Carberry, Carola Rackete, Amine Kessaci, Jana Degrott, Sibylle Berg, Jesmond Bonello © Collage: Hilke Babbe; Fotos: privat, EP, Imago

Engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft kandidieren am Wochenende ohne klassische Parteikarriere für das EU-Parlament. Einige von ihnen stellen wir vor.

Amine Kessaci,

Aktivist gegen Drogenhandel in Marseille, Frankreich. Kandidiert für die Grünen-Partei Les Ecologistes. Der 20-jährige Aktivist wuchs in einem armen Viertel von Marseille auf, in dem junge Menschen im Drogenschmuggel arbeiten und dabei Opfer von Schießereien werden. Kessacis Bruder wurde 2020 bei einem der Kämpfe zwischen Drogenbanden erschossen. Jetzt unterstützt der Jurastudent andere Familien, die ein Familienmitglied in diesen Drogenkriegen verloren haben. Mit der von ihm gegründeten NGO „Conscience“ unterstützt Kessaci sie mit psychologischer Hilfe und bei der Wohnungssuche.

Er möchte Europaabgeordneter werden, „um lokale Initiativen zu unterstützen und sie im Europäischen Parlament zu präsentieren, damit jeder die Chance hat, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“.

 

Sibylle Berg,

Schriftsteller*in, Deutschland. Kandidiert für die Satire-Partei Die PARTEI auf dem zweiten Listenplatz hinter Martin Sonneborn. Bergs Bücher und Theaterstücke über Liebe, westliche Gesellschaften und Kapitalismus wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Bergs Theaterstücke laufen regelmäßig an großen Theatern wie dem Berliner Ensemble. Der*die nichtbinäre Autor*in wurde in der DDR geboren und verließ das Land noch vor dem Fall der Mauer. Heute lebt der*die 61-Jährige in der Schweiz. Im Europaparlament will Berg gegen die digitale Überwachung kämpfen, eines ihrer Hauptinteressengebiete.

Berg will Europaabgeordnete werden, weil „kaum noch jemand Bücher liest. Und wenn man sich mit Büchern nur irgendwie bei 100.000 Leuten verzettelt, dann glaube ich, dass man in einer politischen Funktion oder mit der Aufmerksamkeit, die Sachen, die aus dem Parlament kommen, mehr erreichen kann“, sagte Berg dem Sachsen Fernsehen.

 

Nina Carberry,

ehemalige Reiterin, Irland. Kandidiert für die konservative Partei Fine Gael, die Teil der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament ist.
Die 39-Jährige war eine erfolgreiche Springreiterin in Irland und saß fast 17 Jahre lang im Sattel. Im Jahr 2018 beendete sie ihre Jockeykarriere und züchtet nun Pferde. In der irischen Version von Let’s Dance trat sie 2022 an der Seite eines professionellen Tänzers an. Zusammen gewannen sie den Wettbewerb.

Carberry möchte Europaabgeordnete werden, weil „wir eine starke Stimme in Europa brauchen“, um die Gemeinsame Agrarpolitik zu schützen, sagte sie.

 

Jana Degrott,

Gemeinderätin, Luxemburg. Kandidiert für die liberale Demokratesche Partei, die Teil der Liberalen-Fraktion Renew im Europäischen Parlament ist.

Degrott ist in Luxemburg eine der jüngsten gewählten Politikerinnen. Die 28-Jährige ist seit 2018 Gemeinderätin in ihrer kleinen Heimatstadt Steinsel. Degrott gründete außerdem die Initiative „We Belong“ (Wir gehören dazu), die junge Frauen of Color dabei unterstützen soll, Führungspositionen zu übernehmen. Auch international engagiert sich Degrott an der Schnittstelle von Empowerment von Frauen of Color, Politik und mehr Diversität in Führungspositionen. Sie wurde 2022 für das Obama Foundation Leaders Programm ausgewählt, das zukünftige Führungskräfte zusammenbringt. Im Oktober letzten Jahres kandidierte sie auch für die Parlamentswahlen in Luxemburg.

Degrott möchte Europaabgeordnete werden, „weil ich glaube, dass das Vertrauen der Menschen in unsere Demokratien umso größer ist, je repräsentativer sie sind. Mein Ziel ist es, unterrepräsentierte Stimmen in den Hallen der Macht zu vertreten und für die Inklusion aller Menschen zu kämpfen, unabhängig von ihrer Herkunft oder Behinderung“, sagte sie „EU Observer“.

 

Jesmond Bonello,

ehemaliger Gewerkschafter, Malta. Kandidiert für die Partit Laburista (Arbeiterpartei), die der Fraktion der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament angehört.

Jesmond Bonello ist seit 20 Jahren Gewerkschafter in Malta. Er arbeitete in verschiedenen Funktionen in der Gewerkschaft UĦM und war neun Jahre lang ihr Vorsitzender. Jetzt arbeitet er bei einer Einrichtung, die Unterstützung bei häuslicher Gewalt und der Stärkung von Jugendlichen und Familien anbietet. Er kandidiert zum ersten Mal für ein politisches Amt.

Bonello möchte Europaabgeordneter werden, weil „Malta in den letzten Jahren zwar positive Veränderungen auf EU-Ebene erlebt hat, ich aber glaube, dass noch mehr getan werden muss, insbesondere für die maltesischen Arbeitnehmer, Rentner und ihre Familien“, sagte er dem Online-Magazin „Lovin‘ Malta“.

 

Carola Rackete,

Umwelt- und Flüchtlingsaktivistin, Deutschland. Kandidiert für Die Linke als parteiloses Mitglied. Rackete wurde 2019 bekannt, als sie als Kapitänin eines NGO-Rettungsbootes wegen der Rettung von Geflüchteten kurzzeitig verhaftet wurde. Um die Flüchtlinge nach wochenlangem Warten auf dem Mittelmeer an Land zu bringen, hatte Rackete ohne Genehmigung im Hafen von Lampedusa angelegt. Ein italienisches Gericht entschied später, dass sie niemals hätte verhaftet werden dürfen. Zuvor arbeitete Rackete auf Expeditionsschiffen in der Arktis und Antarktis und engagierte sich im Naturschutz.

Die 35-Jährige will Europaabgeordnete werden, weil „in dem undurchsichtigen politischen Umfeld in Brüssel die Konzerne mit ihren Tausenden von Lobbyisten leichtes Spiel haben. Ich will ins Europäische Parlament, um Gegenmacht aufzubauen und für Transparenz zu sorgen“, sagte sie gegenüber die-zukunft.eu.

Ein Artikel von Marion Bergermann

Marion Bergermann

Marion Bergermann ist freie Journalistin in Brüssel mit dem Schwerpunkt EU-Politik.

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