EU-Wahlen: Kämpfen mit Li in Finnland

Die linke Hoffnungsträgerin Li Andersson will den zweiten EU-Sitz für ihre finnische Partei holen. Von Robert Stark

© Pixabay

Vom 6. bis 9. Juni 2024 wird das neue Europaparlament gewählt; in Deutschland findet die Abstimmung am kommenden Sonntag statt. Wir werfen einen Blick auf progressive Kräfte in verschiedenen europäischen Ländern. Mehr Informationen unter http://dasnd.de/europawahl sowie auf der Seite von transform! europe https://transform-network.net/topic/european-elections-2024-a-left-wing-observatory/

Für Ministerpräsident Petteri Orpos Nationale Sammlungspartei und seine Koalitionspartner der rechtsextremen Partei Die Finnen (Perussuomalaiset-PS), der Christdemokraten und der Schwedischen Volkspartei (SFP) sind die Aussichten gerade eher durchwachsen: In den Umfragen des öffentlich-rechtlichen Senders YLE verliert insbesondere PS langsam, aber stetig an Zustimmung.

Die rassistischen Ausfälle einiger PS-Minister hatten im Sommer 2023 für internationale Furore gesorgt – in dutzenden Städten gab es antirassistische Demonstrationen. Seit dem Frühjahr sind die finnischen Gewerkschaften im Abwehrkampf mit immer umfassenderen Streikwellen gegen die Kürzungspolitik sowie drohende, weitreichende Arbeitsmarktreformen. Orpos Koalition hat bereits das Arbeitslosen- und Wohngeld gekürzt. Zudem will die Regierung das Streikrecht verschärfen, Kündigungen erleichtern und Tarifregelungen zugunsten der Arbeitgeberseite verändern.

Dagegen waren am 1. Februar bis zu 300 000 Arbeitnehmer, von Erziehern bis zu Elektrikern, landesweit im Streik. Ironischerweise sorgen ausgerechnet die Pläne zur Einschränkung des Streikrechts für eine der umfassendsten Streikwellen der jüngeren finnischen Geschichte. Der finnische Journalist Toivo Haimi errechnet in einem Artikel für das US-amerikanische Magazin »Jacobin«, dass die derzeitige Regierung mehr politische Streiks provoziert hat als alle anderen Regierungen von 1991 bis 2023 zusammengenommen.

Seit Mitte März haben über 7000 Mitarbeiterinnen in Häfen, Logistikfirmen, Stahlfabriken und Ölterminals die Arbeit niedergelegt. Import und Export sind bereits stark eingebrochen und an einigen Tankstellen wurde das Benzin knapp. Nach Berechnungen der Arbeitgeberverbände verursacht eine Woche derartiger Streiks bis zu 260 Millionen Euro Verluste für die Industrie. Bisher sind die Arbeitsausstände bis zum 31. März angesagt, eine Einigung ist nicht in Sicht und 58 Prozent der Bevölkerung befürwortet die Arbeitskämpfe.

Die harte Unnachgiebigkeit der Regierung stößt zunehmend auf Ablehnung. Wirtschaftsminister Wille Rydman (PS) bezeichnete beispielsweise Gewerkschaftsvorsitzende auf der Plattform X als »Mafia von Hakaniemi«. Rund um den Helsinkier Hakaniemiplatz liegen zahlreiche Zentralen der wichtigsten finnischen Gewerkschaften.

Der Unmut über die neoliberale Umstrukturierung des nordischen Wohlfahrtsstaats wird sich wohl auch auf die Ergebnisse der Europawahl auswirken. Finnland hat im Zuge der Erweiterung des EU-Parlaments einen Sitz mehr zugesprochen bekommen – bei der Wahl Anfang Juni werden also 15 Sitze zu vergeben sein. Auffällig ist, dass viele finnische Spitzenpolitikerinnen kandidieren. Sowohl die derzeitige Vorsitzende des Linksbündnisses Vasemmistoliitto, Li Andersson, als auch die amtierende Bildungsministerin und langjährige SFP-Vorsitzende Anna-Maja Henriksson haben sich als Kandidatinnen aufstellen lassen.

Der europaweite Rechtstrend wird sich in Finnland wahrscheinlich nur in Teilen verwirklichen. Orpos Sammlungspartei könnte trotz der Krisen knapp stärkste Kraft werden und Die Finnen könnten eventuell einen Platz hinzugewinnen. Die beiden derzeitigen PS-Abgeordneten hatten im April 2023 die rechtsextreme Fraktion Identität & Demokratie im EU-Parlament verlassen und sind der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer beigetreten. Hintergrund ist die Positionierung zum östlichen Nachbarn – eine positive Bezugnahme auf Putins Russland, wie sie zum Beispiel AfD-Abgeordnete pflegen, ist für finnische Rechte nicht mehr möglich.

Als einen Spitzenkandidaten hat PS ausgerechnet den ehemaligen Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila aufgestellt. Junnila hatte im vergangenen Sommer mit nur elf Tagen die kürzeste Amtszeit eines Ministers in der finnischen Geschichte. Nach zahlreichen Flirts mit neonazistischen Zahlencodes und Symbolen war er als Minister untragbar geworden.

Auf der anderen Seite könnte laut den Umfragen auch die finnische Sozialdemokratie ihre zwei Sitze auf vier verdoppeln. Die Grünen sind von ihrem Spitzenergebnis von 16 Prozent vor fünf Jahren weit entfernt, auch weil Klimapolitik zurzeit nur ein Randthema in Finnland ist.

Für das Linksbündnis ist ein zweiter Sitz ein erreichbares, aber ambitioniertes Ziel. Dieser Tage steht die Partei in Umfragen bei neun Prozent, für einen zweiten Sitz wären elf bis zwölf Prozentpunkte notwendig. Eine Schlüsselrolle wird dabei die Spitzenkandidatin Li Andersson spielen. Die 36-Jährige ist über Parteigrenzen hinweg beliebt und konnte auch als Bildungsministerin unter Sanna Marin Verbesserungen im Bildungssektor durchsetzen. Ihr wahrscheinlicher Einzug ins Europäische Parlament bedeutet einerseits das Ende als Vorsitzende der finnischen Partei, andererseits einen Gewinn für die europäische Linke.

Die vielsprachige, charismatische Andersson hat schon eine große Gefolgschaft in den sozialen Medien und ist international gut vernetzt. Am Freitagabend kamen auf einer Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Linksbündnisses im Helsinkier Bruket Café linke Spitzenpolitiker aus den nordischen Ländern und Polen unter der Überschrift »Die Linke und die Zukunft Europas« zusammen. Mit von der Partie: Li.

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