Österreich: Wahlkampf im Stil des Boulevards
Österreichs Parteien setzen auf emotionale Themen mit populistischer Schlagseite. Von Stefan Schocher
Vom 6. bis 9. Juni 2024 wird das neue Europaparlament gewählt; in Deutschland findet die Abstimmung am kommenden Sonntag statt. Wir werfen einen Blick auf progressive Kräfte in verschiedenen europäischen Ländern. Mehr Informationen unter http://dasnd.de/europawahl sowie auf der Seite von transform! europe https://transform-network.net/topic/european-elections-2024-a-left-wing-observatory/
Ganz oben auf der Liste der Prioritäten steht die Europawahl für Österreichs Parteien nicht. Aber dennoch dürften in den Parteizentralen in Wien dem Urnengang manche mit viel Bauchweh entgegenblicken. Immerhin ist er ein Stimmungstest. Und es deutet sich an, was sich auch auf Bundesebene abzeichnet: ein markanter Umschwung hin zur rechts-rechten FPÖ.
Die Wahl im Juni ist jedenfalls die letzte politische Bestandsaufnahme an der Urne vor der Nationalratswahl, die wohl im Herbst stattfinden wird und auf die alle in Österreich blicken. Denn die FPÖ sieht sich vor der Machtübernahme, liegt mit um die 30 Prozent in Umfragen mit Abstand an der Spitze.
Es sind folglich Wahlslogans wie diese, die den Takt in diesem Wahlkampfjahr vorgeben: »Die Regierung muss die Eingreiftruppe gegen die Völkerwanderung sein.« Oder: »Wir lassen uns das von der EU nicht mehr gefallen.« Oder: Die »Kriegsgeilheit der EU« gefährde die Sicherheit. Das ist die Rhetorik, mit der die FPÖ für sich wirbt.
Dem gegenüber steht ein Feld zerstrittener Parteien voller Ratlosigkeit, wie man dem begegnen soll. Und so tönte es zuletzt aus dem bürgerlichen Lager vonseiten der ÖVP: »Wer unsere Art zu leben ablehnt, muss gehen.« Oder: »Tradition statt Multikulti.«
Sachpolitisches Argumentieren ist nicht die Sache in diesem Wahlkampf. Die EU-Wahl ist weitestgehend zu einem Nebenschauplatz verkommen, der bestenfalls die Gelegenheit bietet, nationale Themen noch einmal im europäischen Kontext zu platzieren.
Es werde rein auf Themen gesetzt, die »eine genügend große Emotionalität garantieren«, so der Politikberater Thomas Hofer. Und so ist vor allem interessant, worüber in diesem Wahlkampf nicht geredet wird: Österreichs Neutralität etwa und deren Aktualität in einem europäischen Sicherheitskontext, Österreichs Rolle in der EU, die hohe Inflation. Was dominiert, ist viel eher eine Tendenz zur Abschottung: unser Land, unsere Bauern, unsere Sicherheit, unsere Leitkultur.
Ein inhaltlicher Abgleich von Argumenten zu drängenden Themen findet nicht statt. Hinzu komme, so Hofer, eine »Boulevarddominanz« auf dem Medienmarkt gepaart mit »vorauseilender Botschaftsstruktur« in vielen Redaktionen, bei der die Mainstreamthesen wiedergegeben werden. Unter dem Strich steht dann ein multipler Negativ-Wahlkampf mit populistischer Schlagseite, der sich thematisch wie inhaltlich auf Headline-Botschaften beschränkt.
Und für die österreichische Demokratie bedeutet das: eine Pathologisierung der Unfähigkeit, tatsächliche inhaltliche Debatten zu führen –, weil man sich damit leicht »die Finger verbrennt«, wie es Thomas Hofer ausdrückt.
Skandal um den österreichischen Spion
All das findet allerdings vor dem Hintergrund sehr harter Fakten statt: dem Skandal um einen österreichischen Spion etwa, der fast ein Jahrzehnt unter den Augen von Ermittlern für Russland spioniert hatte; oder der Signa-Pleite, die enge Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft offenbart hat; oder der ganzen Fülle an Skandalen um Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) von Falschaussage bis hin zu mit Haushaltsgeldern erkaufter Medienberichterstattung.
Aber wenn die FPÖ Themen und Takt vorgibt, so sind es Umfragen, die den Ton machen. Und was die EU angeht, so ist die Tonart in Österreich sehr klar Moll. Gerade einmal 55 Prozent der Österreicher sind laut EU-Barometer der Ansicht, dass der EU-Beitritt genutzt hat. Das ist der niedrigste Wert aller Mitgliedsstaaten.
Für die selbstdeklarierte EU-Partei ÖVP ist das eine Zwickmühle. Dem Wahlmanifest der europäsichen Mutterpartei EVP hat die ÖVP beim Kongress in Bukarest demonstrativ nicht zugestimmt. Die Begründung von Parteichef und Kanzler Karl Nehammer: »Unschärfen«. Die Kanzlerpartei ist offenkundig zu dem Schluss gelangt, dass Populismus das beste Mittel gegen Populismus ist. Und so tönt es aus der ÖVP wieder einmal gegen »überbordende Regulierungen« auf EU-Ebene oder »illegale Migration«.
Ein Rezept für den Sieg dürfte das aber nicht sein. Umfragen sagen der ÖVP einen Absturz auf rund 20 Prozent voraus. Das wäre ein Minus von 14 Prozentpunkten. Und Umfragedaten untermauern diese Strategie auch nicht. So könnten sich die liberalen Neos, die als einzige Partei einen klaren Inhaltswahlkampf fahren, auf bis zu 16 Prozent fast verdoppeln. Und das mit durchaus kontroversen Themen gegen den Mainstream: etwa für eine tiefere EU-Integration auch in Sicherheitsfragen. Grüne und SPÖ stagnieren dagegen.
Die Ironie daran: Eigentlich wäre die ÖVP in Österreichs politischer Tradition die ausgewiesene EU-Partei. Allerdings hat die ÖVP den inhaltlichen Bruch mit Kurz nie bewerkstelligt. Und so ist die Rhetorik von »überbordenden Regulierungen« auf EU-Ebene auch eine Blaupause aus dem vorangegangenen EU-Wahlkampf 2019. Mit Kurz konnte man damals satte 35 Prozent einfahren.
Was den jetzigen EU-Wahlkampf vor allem auch ausmacht und was die Glaubwürdigkeit der ÖVP in EU-Fragen untergräbt, ist das Ausscheiden von Othmar Karas. Karas war seit 1999 EU-Abgeordneter und zuletzt Vizepräsident des EU-Parlaments. Als solcher war er EU-Politiker im engsten Sinne des Wortes und einer, der auch immer wieder offen gegen die ÖVP-Linie auftrat. Anlässe gab es da zuhauf: das Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens, Querschüsse in der Migrationspolitik, isolationistische Tendenzen, die Anbiederung an die FPÖ. Karas wurde schließlich abgesägt. Und der Neue an der Spitze der ÖVP-Liste, Reinhold Lopatka: Der ist ein ebenso altgedienter wie aalglatter Parteisoldat, voll und ganz auf Linie.
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