Weichenstellung Richtung Zukunft

In Sachen EU-Zukunftskonferenz hat sich in den vergangenen Wochen etwas bewegt. Am Europatag könnte der Dialog zwischen Institutionen und Bürger:innen offiziell starten. Nur: Was steht am Ende? Ein Update von Jürgen Klute

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Am Europatag 2020, dem 9. Mai, sollte das auf zwei Jahre angelegte Projekt „Konferenz über die Zukunft Europas“ (auch COFE oder CoFoE) starten. Bekanntermaßen befand sich Europa zu der Zeit im coronabedingten Lockdown. Das ursprüngliche Konzept der EU-Zukunftskonferenz sah eine Vielzahl von größeren und großen Präsensveranstaltungen vor, die angesichts der Pandemie als Präsenzveranstaltungen nicht realisierbar waren. Folglich wurde der Startermin auf unbestimmte Zeit verschoben. Mittlerweile steht der neue Starttermin fest: Es ist der Europa-Tag 2021. Sofern die Pandemie es erlaubt, soll die Eröffnung der EU-Zukunftskonferenz am 9. Mai in Straßburg im Europäischen Parlament stattfinden.

Vielleicht war die Verzögerung gar nicht schlecht. Vor einem Jahr lagen die Positionen von EU-Rat, EU-Kommission und Europaparlament noch sehr weit auseinander. Der Rat wollte im Rahmen der Konferenz lediglich über seine strategische Agenda 2019-2024, nicht aber über konstitutionelle Themen diskutieren. Die Kommission wollte zentrale Themen wie den Klimawandel, Digitalisierung, Fragen der Wirtschaft und der sozialen Gerechtigkeit, der demokratischen Grundlagen der EU sowie das Spitzenkandidaten-System und länderübergreifende Wahllisten diskutieren. Die Vorstellungen des Europäischen Parlaments gingen noch deutlich weiter. Es wollte vor allem den BürgerInnen die Möglichkeit geben, auch selbst Themen auf die Tagesordnung der Konferenz zu setzen. Zudem drängte das Parlament darauf, dass es zu konkreten gesetzlichen bzw. EU-vertraglichen Konsequenzen aufgrund der Ergebnisse der Konferenz kommen müsse, um zu zeigen, das die BürgerInnen ernst genommen werden.

Durch die Verschiebung des Starttermins gab es schlicht mehr Zeit, um die unterschiedlichen Zielvorstellungen bezüglich der Zukunftskonferenz am Verhandlungstisch einander anzunähern und zu einer gemeinsamen Position zu bündeln. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/de-_gemeinsame_erklarung_zur_konferenz_uber_die_zukunft_europas.pdf Das ist einigermaßen gelungen, wie die gemeinsame Erklärung des Präsidenten des Europäischen Parlaments, David Sassoli, des Präsidenten des Rates der EU, António Costa, und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von er Leyen, vom 10. März 2021 zeigt.

Thematischer Mix

Thematisch haben sich die drei EU-Institutionen auf einen Mix geeinigt, der sowohl die oben genannten Vorstellungen des Rates als auch der Kommission aufnehmen. Gleichzeitig wird betont, dass Bürgerinnen und Bürger die Themen diskutieren können sollen, die ihnen wichtig sind. Damit wird das Anliegen des Parlaments aufgenommen, den BürgerInnen Einfluss auf die Themensetzung einzuräumen. Das Themenspektrum sollte jedoch, so heißt es in der gemeinsamen Erklärung, „den Bereichen Rechnung tragen, die in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union fallen, oder in denen das Handeln der Europäischen Union für die europäischen Bürgerinnen und Bürger von Nutzen wäre“. Immerhin ist mit dieser Formulierung eine Diskussion über Vertragsänderungen nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen, wie der Rat es gerne gehabt hätte.

Parlament setzte sich durch

Bezüglich des Themenspektrums hat sich das Europäische Parlament also weitgehend durchsetzen können. Das gilt auch im Blick auf den Umgang mit den Ergebnissen der Konferenz. Die drei EU-Institutionen sollen nach Fertigstellung des Abschlussberichtes innerhalb ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche prüfen, wie im Einklang mit den Verträgen Konsequenzen aus dem Bericht gezogen werden können.

Gesteuert wird die Konferenz durch einen Exekutivausschuss, dem ein Sekretariat zur Seite steht. Der Exekutivausschuss ist paritätisch besetzt mit je drei VertreterInnen aus den drei EU-Institutionen. Um alle Fraktion des Parlaments in den Ausschuss einzubinden, gehören dem Ausschuss zudem beobachtende Mitglieder an. So wird die Linksfraktion (THE LEFT; vormals GUE/NGL) in dem Ausschuss durch den Europaabgeordneten Helmut Scholz vertreten. Eine Konferenz Über die Zukunft Europas mache nur Sinn, so Scholz in einem Podcast mit dem Autor https://europa.blog/beginnt-am-9-mai-2021-ein-europaischer-fruhling/, wenn auch EU-SkeptikerInnen und EU-GegnerInnen mit ihren Einwänden in die Debatte einbezogen werden und zu Wort kommen können. Insofern begrüße er diese Regelung.

Weiterhin können die drei Vorsitzenden der Konferenz der Europaausschüsse aus den Parlamenten der Mitgliedsländer (kurz: COSAC) als BeobachterInnen an den Sitzungen des Exekutivausschuss teilnehmen. Schließlich können der Ausschuss der Regionen (AdR), der Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie VertreterInnen weiterer EU-Institutionen und der Sozialpartner zur Teilnahme an den Sitzungen eingeladen werden.

Drei Elemente der Konferenz

Die Konferenz selbst besteht aus drei Elementen: Der Plenarversammlung, den Bürgerforen bzw. Agoren und einer interaktiven mehrsprachigen Internet-Plattform. Zu dem können auf Ebene der Mitgliedsstaaten, der Regionen und auch auf lokaler Ebene eigenständige Bürgerforen eingerichtet werden, die sich über die interaktive Plattform an der Konferenz beteiligen können.

Die Plenarversammlung wird gebildet von VertreterInnen der drei EU-Institutionen, Mitgliedern der nationalen Parlamente, des AdR, des Wirtschafts- und Sozialausschusses, der Sozialpartner, zivilgesellschaftlicher Organisationen und von Bürgerinnen und Bürgern.

Per Los in die Agora

Die Bürgerforen bzw. Agoren sollen nach einem repräsentativen Losverfahren zusammengesetzt werden, wie Helmut Scholz erläuterte. Ihre Treffen sollen voraussichtlich jeweils eine Woche dauern. Die Treffen werden über Webstreaming und die entsprechenden Unterlagen auf der bereits erwähnten Plattform öffentliche zugänglich gemacht.

Über die mehrsprachige interaktive Plattform soll eine möglichst breite Informationsstreuung über den Fortgang der Konferenz wie auch eine Beteiligung an der Konferenz ermöglicht werden. Über die Plattform können sich einzelne BürgerInnen oder auch regionale bzw. lokale Bürgerforen an den Debatten mit eigenen Beiträgen beteiligen und gleichzeitig Rückmeldungen von anderen KonferenzteilnehmerInnen bekommen. Die Plenarversammlung wird in der gemeinsamen Erklärung aufgefordert, diese Voten aufzunehmen und zu berücksichtigen.

EU-Parlament macht Druck

Das Europäische Parlament verstärkt das Anliegen der Konferenz, den BürgerInnen mehr politische Mitbestimmungsmöglichkeiten zu geben, zudem mit dem Inititativbericht „Citizens’ dialogues and Citizens’ participation in the EU decision-making“ (Bürger-Dialog und Bürger-Beteiligung an der Entscheidungsfindung der EU) https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/AFCO-PR-689799_EN.pdf . Verantwortlicher Berichterstatter ist Helmut Scholz. Derzeit liegt der Entwurf des Berichterstatters vor, allerdings nur in englischsprachiger Version. Voraussichtlich nach der Sommerpause soll der Bericht im Parlament abgestimmt werden. Wie der Titel sagt, geht es in dem Bericht um das Ausloten von Möglichkeiten einer stärkeren direktdemokratischen Beteiligung von BürgerInnen an politischen Entscheidungsfindungsprozessen der EU im Sinne einer Ergänzung der repräsentativen Demokratie, so die Zusammenfassung des Berichtes durch den Berichterstatter.

Demokratisches Experiment

Scholz wertet die EU-Zukunftskonferenz als ein bisher einmaliges demokratisches Experiment, an dem sich die Linke in Europa aktiv beteiligen sollte im Interesse einer Stärkung der Demokratie, der Menschenrechte, politischer Konfliktlösöngsstrategien und einer sozial gerechten ökologischen Transformation der EU. Wie es ausgeht und welchen Erfolg dieses Experiment haben wird, ist offen. Entscheidend wird am Ende sein, wie eindeutig ein Votum der Konferenz für Reformen der Europäischen Union ausfällt. Denn davon wird die Bereitschaft des Rates abhängen, sich auf Reformen einzulassen, die – wenn sie diesen Namen verdienen sollen – die Rolle des Rates schwächen und die des Parlaments und der partizipativen Demokratie – also der direkten BürgerInnenbeteiligung – stärken müssen. Es geht also um eine Verschiebung von Machtkonstellationen. Und das ist ein schwieriger und langwieriger Prozess.

Ein Artikel von Jürgen Klute

Jürgen Klute

Jürgen Klute ist Theologe und Europapolitiker. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des EU-Parlaments (Delegation DIE LINKE). Jürgen Klute betreibt die Internetseite europa.blog. Er publiziert insbesondere zu Themen wie linke Kräfte in Europa und zur Rechtsentwicklung in der EU. (Foto: © Uli Winkler)

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