Neue Wege in der EU-Haushaltspolitik
Die EU-Staaten haben sich angesichts der gewaltigen Herausforderungen der Gegenwart auf eine Erhöhung der Eigenmittelobergrenze und diverse Anpassungen geeinigt. Das ist ein positives Signal, meint Klaus Lederer
Mit der Annahme des Ratifizierungsgesetzes zum Eigenmittelbeschluss hat der Bundesrat gemeinsam mit dem Bundestag die Weichen gestellt, dass ab dem Sommer – wenn hoffentlich alle nationalen Parlamente den Eigenmittelbeschluss ratifiziert haben –die Mittel für das neu geschaffene Wiederaufbauinstrument „Next Generation EU“ in alle 27 Mitgliedstaaten fließen können.Es stehen somit Mittel in Höhe von mehr als 672 Milliarden Euro bereit, die in den kommenden drei Jahren allen Mitgliedstaaten helfen sollen, die mit der Covid-19-Pandemie einhergehenden sozialen und wirtschaftlichen Einbrüche aufzufangen. Und nicht zuletzt sollen die jeweiligen nationalen Wiederaufbaupläne dazu beitragen, durch gezielte Investitionen und Reformen die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten zukunftsfest zu gestalten.
Mit diesem beispiellosen Konjunkturpaket werden der digitale Wandel und die im Grünen Deal verankerten Nachhaltigkeitsprinzipienin der EU umgesetzt. Damit dasKonjunkturpaket der EU Wirkung zeigt, sind die Mitgliedstaaten dringend aufgefordert, die in der Pandemie aufgezeigten Miss-und Rückstande, z.B. bei der Gesundheitsversorgung und bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, in ihren nationalen Wiederaufbauplänen anzugehen. Hierbei sollten die nationalen Regierungen –so auch die Bundesregierung – die Kommunen und die Regionen mit ins Boot nehmen, um sicherzustellen, dass die Investitionen zeitnah und effizient umgesetzt werden.
Dies ist aber keineswegs das einzige positive Signal, das von der Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses ausgeht: Die Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses ist vielmehr auch ein Zeichen dafür, dass sich die EU in Krisenzeiten erneut als handlungsfähig gezeigt und einen engen Zusammenhalt unter Beweis gestellt hat. Denn die EU und ihre Mitgliedstaaten haben es zunächst einmal geschafft, die finanzielle Lücke zu schließen, die in Folge des Austritts des Vereinigten Königreichs entstanden ist. Mit dem Ausscheiden Großbritanniens hat die EU ihre bis dahin zweitgrößte Volkswirtschaft und damit einen großen Beitragszahler verloren. Statt in der Folge den zukünftigenHaushalt zu verkleinern und die EU in ihrer Handlungsfähigkeit stark einzuschränken, haben sich die Mitgliedstaaten angesichts der gewaltigen Herausforderungen der Gegenwart sinnvollerweise auf eine Erhöhung der Eigenmittelobergrenze und diverse weitere Anpassungen einigen können.
Wenn auch erst nach langem Ringen und leider auch mit fortgeltenden Rabatten und ähnlichenKorrekturmechanismen – Kompromisse, die so inhaltlich nicht mehr sinnvoll sind. Und dennoch: die EU hat nicht nur Handlungsfähigkeit und engen Zusammenhalt bewiesen. Sie hat darüber hinaus gezeigt, dass sie auch in Krisenzeiten untereinander solidarisch ist und bereit, neue Wege einzuschlagen.
Paradigmenwechsel in Haushaltspolitik
Mit der Schaffung des Wiederaufbauinstruments neben dem klassischen EU-Haushalt, dem mehrjährigen Finanzrahmen, wurde gut siebzig Jahre nach der Gründung der Europäischen Gemeinschaft ein Paradigmenwechsel bei der europäischen Haushalts-und Finanzpolitik vollzogen. Zum ersten Mal seit dem Bestehen der EU wird die Europäische Kommission durch die Mitgliedstaaten ermächtigt, im Namen der EU Kredite auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen. Kredite, die zur Finanzierung des Wiederaufbauinstruments dienen. Hierbei wird fast zur Nebensache, dass hierdurch dieEU nicht nur zum viertgrößten Herausgeber von Anleihen auf dem europäischen Kapitalmarkt wird,sondern auch zu einem der wichtigsten Akteure bei der Schaffung von „grünen Anleihen“. Diese sollen allein 30 Prozentdes Ausleihvolumens ausmachen. Dieser –bisher noch zeitlich befristete –Einstieg in die Finanzierung des EU-Haushalts bzw. Nebenhaushalts durch Anleihen schafft nicht nur den erforderlichen finanziellen Spielraum für die EU, um ihre Volkswirtschaften wirtschaftlich zu stützen und soziale Verwerfungen abzufedern. Er ist zugleich ein großer Schritt im europäischen Integrationsprozess, man kann fast sagen ein „Game Changer“ mit Blick auf die bereits seit längerem geforderte Einführung neuer Eigenmittelund nicht zuletzt neuer Finanzierungsmöglichkeiten für die EU.
Längst überfällig: Finanztransaktionssteuer
Die Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament über das Finanzpaket umfasst diesmal – und zwar auf Druck des Europäischen Parlaments – auch die Schaffung neuer Eigenmittel für die EU, also ein neuer europäischer Einnahmerahmen für den EU-Haushalt. Neben der bereits beschlossenen Plastikabgabe wird die Europäische Kommission im Juni diesen Jahres Vorschläge u.a für die Schaffung einer Digitalabgabe und einer CO2-Grenzsteuerabgabe vorlegen. Diese beiden neuen Abgaben sollen bis spätestens Anfang 2023 eingeführt werden. Als weitere mögliche neue Eigenmittel werden zudem eine –wie ich finde längst überfällige – Finanztransaktionssteuer und ein finanzieller Beitrag im Zusammenhang mit dem Unternehmenssektor oder eine neue gemeinsame Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage genannt.
Die Schaffung neuer Eigenmittel eröffnet die Möglichkeit, den EU-Haushalt langfristig auf eine breitere und solide finanzielle Grundlage zu stellen und perspektivisch neue Finanzierungsmöglichkeiten zu eröffnen. Nicht zuletzt ist damit auch die Chance verbunden, das bisher vorherrschende Prinzip der „Juste retour“ bei den EU-Haushaltsberatungen zu durchbrechen. Die bisher dominierende Nettosaldenlogik und die damit verbundenen umfangreichen Rabatte für bestimmte Mitgliedstaatenhaben den Weg zu einem einfachen, transparenten und gerechten Eigenmittelsystem versperrt. Es muss das langfristige Ziel sein, den Anteil der BNE-Beiträge zumindest spürbar zu reduzieren. Zudem kann das Eigenmittelsystem mit den neuen Eigenmitteln zukünftig besser dazu beitragen, die gemeinsamen europäischen Ziele zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in der EU zu verwirklichen. Durch die stärkere Verknüpfung der europäischen Einnahmen mit den politischen Zielen der EU wird das europäische Projekt insgesamt gestärkt. Für dieStärkung des europäischen Projektes durch ein reformiertes Eigenmittelsystem ist auch eine starke demokratische Legitimation von großer Bedeutung. Die Einbindung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments sind hier besonders wichtig. Der EU-Haushalt, das Eigenmittelsystem müssen durch ein hohes Maß an Transparenz, Verantwortung, demokratischer Teilhabe und parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament geprägt werden.
Die nun anstehenden Arbeiten und Gesetzgebungsverfahren bis hin zur Einführung weiterer neuer Eigenmittel werden umfangreich sein und sie werden eine breite Debatte auf allen Ebenen erfordern. Bei der jetzt anstehenden Debatte wird esschließlich auch darum gehen, neue Eigenmittel zu schaffen, die nach ihrer Form und vor allemnach ihrem finanziellen Aufkommen geeignet sind, die finanziellen Verbindlichkeiten der EU zurückzuzahlen. Bislang ist vorgesehen, mit denneuen Eigenmittelnab 2027 die im Rahmen des Wiederaufbauinstruments aufgenommenen europäischen Anleihen in den kommenden30 Jahren zurückzuführen.Wenn es hier gelingt, eine überzeugende Lösungfür das Eigenmittelsystem und die Rückzahlung der EU-Anleihen vorzulegen, würde dies die Diskussion positiv voranbringen, ob derEU-Haushalt künftig nicht auch über EU-Anleihen finanziert und somit derfinanzielle Spielraum der EU dauerhaft erheblich ausgeweitet werden könnte.
Reform des Stabilitäts-und Wachstumspaktes
Noch ein paar Anmerkungen zur Reform des Stabilitäts-und Wachstumspaktes: Weg in die angestrebte Fiskalunion wird schließlich auch von den weiteren fiskalpolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig sein. Für die nachhaltige, europaweite Erholung von den Folgen der Pandemie wird es ganz zentral sein, welchen haushaltspolitischen Kurs die EU in den kommenden Jahren einschlägt. In Reaktion auf die Pandemie wurden die Regelungen des Stabilitäts-und Wachstumspaktes flexibel angewendet und es wurde die allgemeine Ausnahmeklausel aktiviert, d. h. Ausgaben eines Mitgliedstaates, die im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Pandemie stehen, werden nicht auf dessen Verschuldungsrate angerechnet. Jüngst hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, dass sie die Ausnahmeklausel auch im kommenden Jahr anwenden möchte. Obwohl diePandemie noch längst nicht bewältigt ist und die weitere wirtschaftliche Entwicklung damit noch überhaupt nicht abzusehen ist, gibt es aber in der öffentlichen Diskussion auch bereits Forderungen nach einer baldigen Beendigung dieser flexiblen Handhabung. Dies erscheint mir mit Blick auf die aktuelleLage zutiefst problematisch. Bei einem Blick auf die aktuellen Zahlen wird die Brisanz deutlich.So ist der öffentliche Schuldenstand im Euroraum im dritten Quartal 2020 auf rund 97 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen, in den hochverschuldeten Ländern Italien und Griechenland gar auf etwa 154 bzw. 200Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Nach dem Stabilitäts-und Wachstumspakt müssten die Staaten jedoch den Stand ihrer öffentlichen Verschuldungauf 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzen. Wenn die Unterstützungsmaßnahmen und Investitionen zum Wiederaufbau nach der Pandemie aufgrund dieser restriktiven Budgetpolitik verfrüht beendet werden müssen und strikte Haushaltskonsolidierungen oder gar drastische Haushaltskürzungen eingefordert würden, gefährdete dies die wirtschaftliche und gesellschaftliche Erholung. Aus den Fehlern der Finanzkrise sollte gelernt worden sein. Spätestens beider im Herbst 2021anstehenden Diskussion über die Reform des Stabilitäts-und Wachstumspakets gilt esdeshalb, Wege für einen grundlegenden Umbau zu finden.
(Der Gastbeitrag geht auf eine Rede des Senators im Bundesrat zurück.)
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