Industriepolitik: Für strategische Investitionen

Beim „grünen Industrieplan“ zeigt sich das Kernproblem der EU-Industriepolitik: Brüssel hat wenig zu bieten, um den großen Worten Taten folgen zu lassen. Ein Kommentar von Alexander Ulrich

© Sattler

Seit Jahren ist in der EU und ihren Mitgliedstaaten eine schleichende Abkehr vom Glauben an die wundersamen Kräfte des Marktes zu beobachten. Zunehmend werden öffentliche Fördermittel strategisch eingesetzt, um politischen Zielen zu dienen. Das ist gut, denn angesichts enormer Herausforderungen wie der Erhaltung und Schaffung guter und nachhaltiger Arbeitsplätze in der Industrie sowie der ökologischen und digitalen Transformation, braucht es Steuerung. Dabei dürfen jedoch nicht die einen Ziele den Blick auf andere verstellen.

Das gilt insbesondere für Maßnahmen des „grünen Industrieplans“, wie dem Netto-Null-Industrie-Gesetz, das zur Erreichung der ambitionierten EU-Klimaziele beitragen soll. „Cleantech“ made in Europe soll befördert werden. Bis 2030 sollen 40 Prozent des Bedarfs an „sauberer Energie“ selbst hergestellt werden, damit die EU unabhängiger von kostspieligen Energiezukäufen wird und bis 2050 klimaneutral sein kann. Darüber hinaus wirbt die EU-Kommission mit einer steigenden Wettbewerbsfähigkeit und neuen, hochwertigen Jobs. Außerdem will sie dem Inflation Reduction Act (IRA) der USA etwas entgegensetzen.

So sollen Investitionen in Technologien wie Solarthermie, Biogas, Brennstoffzellen, Speichersysteme oder Wärmepumpen bevorzugt werden. Über den genauen Zuschnitt des Förderspektrums lässt sich sicherlich streiten. Nicht umsonst werden die genannten Bereiche auf der Website der Kommission groß und bebildert dargestellt, während sich beispielsweise „Technologien zur Energiegewinnung aus Kernkraft mit minimalem Abfall“ und „modulare Kleinreaktoren“ bloß im Kleingedruckten finden – obwohl hier dieselben Vorteile gewährt werden sollen. Ohnehin ist der Ansatz, nach dem jeder seine Lieblingstechnologie auf die Liste setzt, nicht effektiv. Zurecht fordert das EU-Parlament mehr Technologieoffenheit und einen stärkeren Fokus auf die gesamte Wertschöpfungskette, statt nur auf das Endprodukt.

Doch bei allem Streitpotenzial im Detail, die Ziele des Gesetzes – Klimaschutz und Förderung der europäischen Industrie – sind wichtig und richtig. Das Kernproblem der EU-Industriepolitik besteht jedoch auch hier: Es fehlt an Mitteln und Handlungsfähigkeit, Brüssel hat wenig zu bieten, um den großen Worten Taten folgen zu lassen. Es gibt auf EU-Ebene weder das Budget noch die politischen Kompetenzen, um industriepolitische Vorhaben auch nur annähernd in eine Größenordnung zu bringen, wie sie in den USA, China – und mittlerweile auch in Großbritannien – üblich sind. Mit Kleckerbeträgen, kreativen Umschichtungen bestehender Mittel und Appellen an private Geldgeber lässt sich die Wirtschaft nicht transformieren.

Am Zuschnitt des diskutierten Maßnahmenpakets zeigt sich auch, wie unterschiedlich die nationalen Interessen der Mitgliedstaaten sind – und wie ungleich deren Einflussmöglichkeiten. Dass auch Wärmepumpen gefördert werden sollen und selbst Atomkraft als nachhaltig eingestuft wird, zeigt, dass Deutschland und Frankreich noch immer das Sagen haben. Wärmepumpen-Subventionen sind vor allem im Interesse der deutschen Regierung, der einheimischen Wirtschaft bringen sie wenig. Viel wichtiger wären Maßnahmen zum Schutz energieintensiver Branchen wie der Stahl- und Chemieindustrie. Dort drohen Abwanderungswellen, Pleiten und der Verlust von Millionen Arbeitsplätzen. Die Aussicht auf einen „saubereren“ Strommix in einigen Jahren bringt da wenig – es braucht vor allem bezahlbaren Strom, und zwar nicht erst 2030, sondern jetzt.

Offen ist auch, wie die EU sicherstellen will, dass in der geplanten „Cleantech“-Ökonomie tatsächlich die versprochenen „hochwertigen“ Jobs entstehen. Bisher sieht die Industriepolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten so aus, dass ausländische Konzerne Milliarden bekommen, damit sie hierzulande Produktionsstätten ansiedeln. An Bedingungen wie Tarifbindung, gute Löhne und Mitbestimmung werden die Fördergelder selten geknüpft. Allen voran die deutsche Regierung lässt die Beschäftigten regelmäßig im Regen stehen: Bei Tesla oder Intel geht es nicht um „hochwertige“ Arbeitsplätze – vielmehr entstehen Einfalltore für gewerkschaftsfeindliche Dumping-Strategien á la USA. Da muss beim Netto-Null-Industrie-Gesetz nachgearbeitet werden. Denn eine „Cleantech“-Ökonomie, die auf Ausbeutung und Profitgier basiert, braucht kein Mensch. Selbst der IRA ist deutlich sozialer als der europäische Green Deal.

Ein Artikel von Alexander Ulrich

Alexander Ulrich

Alexander Ulrich ist Mitglied des deutschen Bundestages, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion und unter anderem Mitglied im Europaausschuss sowie industriepolitischer Sprecher der Fraktion.

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