European Green Deal: Viel mehr Schein als sozial-ökologisches Sein!

Schaut man sich das Vorhaben der EU-Kommission genauer an, stellt sich schnell Ernüchterung ein, meint Alexander Ulrich

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Mit einem „Green Deal“ will die EU-Kommission das Klima retten. Dem Namen nach unterscheidet sich das Programm kaum vom „Green New Deal“, für den in den USA die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und das „Sunrise Movement“ streiten. Inhaltlich liegen die beiden Pakete jedoch meilenweit auseinander.

Ocasio-Cortez setzt auf umfassende öffentliche Investitionen für einen radikalen ökologischen Umbau der Energiewirtschaft und die Schaffung von Millionen neuer, gut bezahlter und nachhaltiger Arbeitsplätze. Inspiriert ist ihr Programm von Franklin D. Roosvelts „New Deal“ der 1930er Jahre. Mit massiven öffentlichen Investitionen und umfassenden Sozialreformen wurde die Weltwirtschaftskrise in den USA überwunden. In Deutschland wurde die Wirtschaftskrise mit Kürzungspolitik beantwortet und so weiter vertieft. Die soziale Not wurde immer größer, dem Faschismus war der Weg geebnet.

Der heutige „New Deal“ von Ocasio-Cortez in den USA richtet sich gegen die Klimakrise und soll einen sozialverträglichen Übergang hin zu einer Treibhausgasreduzierung auf netto null und eine Transformation der Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 stemmen. Das Soziale steht dabei im Mittelpunkt. Auch der „Green Deal“ der EU-Kommission mag (zumindest im Vergleich mit früheren klimapolitischen Initiativen aus Brüssel) auf den ersten Blick vielversprechend aussehen. Eine Billion Euro soll in den nächsten zehn Jahre mobilisiert werden, um die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, heißt es. Zahlreiche Einzelmaßnahmen sollen helfen, Industrie, Energieversorgung, Verkehr und Landwirtschaft umzubauen. Ein Übergangsmechanismus soll jene Regionen stützen, die besonders stark vom Strukturwandel betroffen sind.

Schaut man jedoch genauer hin, stellt sich schnell Ernüchterung ein: Finanziert werden soll das Paket vor allem durch private Investoren und zusätzliche Beiträge der Mitgliedsstaaten. Lediglich 7,5 der 100 Milliarden Euro für den Übergangsfonds sollen („vielleicht“!) aus neuen EU-Haushaltsmitteln kommen. Ob und wie umfassend das Programm letztlich umgesetzt wird, liegt damit fast ausschließlich in den Händen der Privatwirtschaft. In den Händen derer also, die in ihrer Gier nach Rendite weder Mensch noch Natur schonten und den Klimanotstand erst verursacht haben.

Angesichts der zunehmenden weltweiten Wetterextreme, der Meereserwärmung, des Aussterbens von Tier-und Pflanzenarten und den enormen sozialen Herausforderungen in Zeiten von Klimakrise, Handelskrieg und Rezession, ist das ein erschreckend mickriger Ansatz. Doch was soll die Kommission auch machen? Die Finanzmittel müssen von den Mitgliedsstaaten kommen, egal ob sie direkt in den Deal fließen, oder zunächst in den gemeinsamen Haushalt. Der größte Beitragszahler, Deutschland, gibt sich geizig und will die Beiträge nicht erhöhen. Der zweitgrößte Zahler, Großbritannien, verlässt gerade die EU. Und die Nummer 3, Frankreich, will verfügbare Mittel lieber für gemeinsame Aufrüstungsprojekte verwenden. Ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen scheitern am politischen Willen der großen EU-Mitgliedsstaaten.

Ernüchterung stellt sich auch deshalb ein, weil trotz Green Deal ein echtes Umdenken in der Energie-, Handels- und Agrarpolitik der EU nicht zu erkennen ist: Fossile Energien werden weiterhin subventioniert, die Nuklearindustrie behält ihren Sonderstatus, üppige Agrarsubventionen fließen in konventionelle Großbetriebe statt in ökologische Produktion. Das Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten fördert Billigfleisch und Amazonas-Rodung und der gemeinsame Binnenmarkt führt zur Absenkung nationaler Umweltregeln und irrsinnigen Transportwegen – der berühmte Joghurt fährt weiterhin rund 5.000 Kilometer mit dem Lkw, bevor er im Kühlschrank des Endverbrauchers landet. Die EU gibt sich einen grünen Anstrich, ist aber weiterhin der drittgrößte CO2-Emittent weltweit. Mit dem Green Deal ist es, als machte man den Brandstifter zum Feuerwehrmann. So kann kein sozial-ökologischer Wandel gelingen.

Bitter notwendig wäre ein viel ehrgeizigeres, öffentliches Investitionsprogramm mit klarem Fokus auf die Förderung einer CO2-neutralen Wirtschaft und Hilfe für die Menschen in den Umbruchsregionen. Auch die Bundesregierung ist hier gefragt. Sie kann nicht einerseits die Klimapläne der Kommission loben und andererseits dazu beitragen, dass diese aufgrund fehlender Gelder nicht umgesetzt werden können. Sie muss sich für eine entsprechende Erhöhung der EU-Mittel für Klimaschutzmaßnahmen aussprechen und sich in Brüssel für eine Politik einsetzen, die auf bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu, lokale Produktionsstrukturen, Bürgerbeteiligung und Investitionen in nachhaltige und zukunftsfähige Arbeitsplätze abzielt.

Der Green New Deal von Ocasio-Cortez wäre eine gute Vorlage. Doch dahinter bleibt der Ansatz der Kommission auch dank der fast schon religiösen Vergötterung der „schwarzen Null“ in Deutschland leider meilenweit zurück.

Ein Artikel von Alexander Ulrich

Alexander Ulrich

Alexander Ulrich ist Mitglied des deutschen Bundestages, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion und unter anderem Mitglied im Europaausschuss sowie industriepolitischer Sprecher der Fraktion.

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