„Die Wahlergebnisse in den meisten Ländern werden gut sein“

Linker EU-Spitzenkandidat Walter Baier zum  Wahlmanifest, zu Sahra Wagenknechts Partei und zum fehlenden Teil der Doppelspitze

Walter Baier in Ljubljana © European Left

Ein Interview mit Walter Baier — das Gespräch führte Uwe Sattler

Walter Baier

Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler gehörte zu den Mitgründern der Partei der Europäischen Linken (EL) und war Koordinator des linken Thinktank »transform! Europe«. Im Dezember 2022 wurde er zum Präsidenten der EL und auf dem Kongress am 24. Februar 2024 in Ljubljana zu deren Spitzenkandidaten gewählt.

Sie sind am Wochenende zum Spitzenkandidaten der Partei der Europäischen Linken für die Europawahl im Juni gewählt worden. Wäre Ihnen eine gemischte Doppelspitze lieber gewesen?

Ja, absolut. Das Problem ist, dass sich 27 Parteien einigen müssen. Und das ist nicht passiert. Dabei hat die EL viele kompetente, bekannte und profilierte Frauen. Ich hätte sicherlich keinen Einwand gegen eine Doppelspitze gehabt, im Gegenteil.

Die Europäische Linke hat in Ljubljana ein sehr ambitioniertes Wahlmanifest beschlossen. Die Punkte reichen von Frieden über Armutsbekämpfung, von Wirtschaftsumbau über Feminismus bis zur Kooperation mit dem Globalen Süden. Ist das eher ein Wunschkonzert oder eine reale Strategie?

Es ist kein Parteiprogramm, aber auch nicht ganz nur ein Wunschzettel. Sondern es definiert die Strategie, mit der wir den Kampf gegen die radikale Rechte führen wollen. Einerseits ist dieser Kampf immer ein Kampf um Werte und um Kultur – da gibt es auch keine Kompromisse im Hinblick auf eine menschenrechtskonforme Flüchtlings- und Migrationspolitik. Aber auf der anderen Seite kann der Kampf gegen die radikale Rechte nur gewonnen werden, wenn er auf dem Gebiet der sozialökonomischen Interessen und der ökologischen Transformation ausgetragen wird. Und das ist im Wesentlichen die Botschaft dieses Manifests, nämlich die Fragen des Lebens, des Rechts der Menschen auf ein anständiges Leben, auf leistbares Wohnen, auf sichere, würdige und gut bezahlte Arbeitsplätze in den Mittelpunkt zu stellen. Und gerade in einer Zeit, in der die ökologische Transformation und auch die Digitalisierung so große Änderungen für die Menschen bedeuten, ist das Entscheidende, diese Transformationen mit sozialer Sicherheit und Fairness in die Wege zu leiten.

Wo liegen die Gründe dafür, dass die Rechte derzeit sowohl in den einzelnen Ländern als auch auf europäischer Ebene einen Aufschwung erlebt?

In der Verunsicherung der Menschen. In der Verschlechterung der sozialen Lage. Und dort, wo Menschen von der Verschlechterung nicht direkt betroffen sind, fürchten sie, dass diese Verschlechterungen sie in der Zukunft oder ihre Kinder betreffen werden. Die herrschende Politik, Konservative, Sozialdemokraten, Liberale, adressieren diese Unsicherheit nicht. Man hat fast den Eindruck, sie bemerken das gar nicht. Und jetzt suchen die Leute Ausdrucksformen ihres Protestes. Und da ist zunächst einmal der Diskurs der einfachen Wahrheiten und der Sündenböcke, die man ausmachen kann, naheliegend. Darum ist es auch so entscheidend, dass die Linke sich der sozialen Interessen der Menschen annimmt. Alle haben das Recht auf ein würdiges Leben, das Recht, ihre Wohnungen im Winter heizen zu können und das Recht, gesunde und leistbare Lebensmittel zu bekommen. Über diese fundamentalen Fragen muss im EU-Wahlkampf geredet werden.

Die Europäische Linke als Parteienfamilien gilt wegen ihrer Heterogenität als etwas kompliziert. In einigen Ländern gibt es sogar mehrere Linksparteien, die in Konkurrenz zueinander stehen. Zieht die EL trotzdem an einem Strang?

Das Wort Familie ist sehr zutreffend. Familien sind immer kompliziert, und je größer sie sind, umso komplizierter. Ich schaue an, was es in den letzten Wochen an Wahlprogrammen und gemeinsamen Erklärungen für die Europaparlamentswahlen gegeben hat. Und ich muss sagen, nicht nur zu 90 oder zu 95, sondern zu 99 Prozent sind diese Wahlplattformen und Erklärungen identisch. Mein Job ist es, diese Gemeinsamkeit zum Ausdruck zu bringen. Und was es sonst an Streitereien gibt, verschieben wir auf die Zeit nach den Europaparlamentswahlen.

Wird es gemeinsame, also europäische Aktionen geben?

Ja. Eine wichtige Aktion, die etwas aus dem Rahmen der Wahlkampagne fällt, ist ein großes Meeting am 4. April in Brüssel, an dem die EL beteiligt ist unter dem Titel »Europe for the People«. Wir veranstalten das gemeinsam mit der Partei der Arbeit aus Belgien, der slowenischen Levica und der zyprischen Akel. Das Anliegen ist, alle linken Parteien, ob die jetzt zur EL gehören oder nicht, oder ob sie in der gemeinsamen Fraktion im Europaparlament vertreten sind oder nicht, zu vereinen und damit sichtbar zu machen, dass das Gemeinsame das Trennende bei weitem überwiegt.

Wagen Sie eine Prognose, ob die Linkskräfte mit einer stärkeren Fraktion als bisher im künftigen Parlament sitzen werden?

Ich glaube, dass die Wahlergebnisse in den meisten Ländern gut sein werden. Und es ist die Verantwortung der politisch Leitenden, aus den guten Wahlergebnissen eine stärkere Fraktion zu machen.

Im Wahlmanifest wird der russische Krieg in der Ukraine scharf verurteilt. In der Vergangenheit hatte es um diesen Konflikt Differenzen in der EL gegeben. Sind diese nun beigelegt?

Wir haben einen Perspektivenwechsel vorgenommen. Man kann endlos darüber diskutieren, welche Gründe für den Krieg in der Ukraine ausschlaggebend sind und über die Gewichtung der einzelnen Gründe. Da wird man sich wahrscheinlich auch künftig schwer einigen können. Einigen können wir uns aber darauf, dass dieser Krieg beendet werden muss. Und dass der Krieg nur beendet werden kann, wenn die Konfliktparteien miteinander Verhandlungen eingehen, dass das Völkerrecht und auch die Souveränität der Ukraine respektiert werden. Im Nach-vorne-Schauen besteht viel mehr Einigungspotenzial als darin, nur zurückzuschauen. Dasselbe gilt für den Krieg in Gaza. Man kann endlos darüber streiten, ob Israel ein Apartheidregime ist, ob der Massenmord am 7. Oktober ein Massaker oder ein terroristischer Anschlag war. Relevant ist jedoch, dass es jetzt zu einem Waffenstillstand kommen muss, dass es humanitäre Hilfe gibt, dass die Geiseln und die politischen Gefangenen freigelassen werden. Und relevant ist die Perspektive, dass ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten einen lebensfähigen palästinensischen Staat erfordert, der mit Israel koexistiert. Offensichtlich ist es leichter, sich über die Zukunft zu einigen als über die Ursachen von Krisen.

In Deutschland hat sich das Bündnis Sahra Wagenknecht als Partei gegründet. Wie würde die EL auf ein Mitgliedsgesuch von BSW reagieren?

Darauf würden wir wie in allen anderen Fällen reagieren: Wir würden die politische Grundsatzerklärung, die Statuten und die Politik der Partei prüfen und dann zu einem Ergebnis kommen. Ich warte darauf, zu erfahren, ob BSW sich überhaupt als eine linke oder eine Mitte-Partei definiert. Im Augenblick ist die Lage für uns unklar.

Ein Artikel von Uwe Sattler

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Der Journalist gehört zudem der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" an.

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