Eurobarometer: Ja zur EU, aber …

Kampf gegen Armut im Ranking ein halbes Jahr vor Europawahl weit oben. Wahlalter in Deutschland sinkt auf 16

© Sattler

In einem halben Jahr – im Juni 2024 – wird das Europäische Parlament zum zehnten Mal seit 1979 direkt durch die Bürger:innen der Mitgliedstaaten gewählt. Schon wird eifrig darüber spekuliert, inwieweit es dann zu größeren Verschiebungen im Machtgefüge des Parlaments kommen wird und in welchem Maße davon EU-skeptische und rechtspopulistische Kräfte davon profitieren können.

Die jüngsten Ergebnisse der alle sechs Monate in allen EU-Staaten vorgenommenen “Eurobarometer”-Umfrage scheinen, bei aller aktuellen Ungewissheit und Sorgen um die Zukunft, durchaus Zutrauen in die Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen

Die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, ist sich jedenfalls sicher, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hinter der Europäischen Union stehe. „Das aktuelle Euro-Barometer zeigt, dass Europa eine Rolle spielt“, ließ die Präsidentin bei der Vorstellung der Umfrage wissen. Die Bürger vertrauten darauf, so Metsola weiter, dass die EU in den aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Krisen Lösungen finden werde. Eine Mehrheit der Europäer sei überzeugt, dass die EU einen positiven Einfluss auf ihren Alltag habe.

Vorteile von EU-Mitgliedschaft

Das Eurobarometer vom Herbst 2023 scheint tatsächlich diese Einschätzung der Parlamentspräsidentin zu untermauern. Laut der Umfrage gehen 72 Prozent der Europäer davon aus, dass ihr Land von der EU-Mitgliedschaft profitiere. Mit 94 Prozent liegt der Zustimmungswert in Litauen am höchsten und in Österreich mit 55 Prozent am niedrigsten. In Deutschland teilen 70 Prozent diese Einschätzung.

Ebenso viele der Befragten glauben, dass die EU ihr alltägliches Leben beeinflusst. Letzteres muss allerdings nicht unbedingt immer als positiv wahrgenommen werden.

Immerhin 57 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie an der kommen Europawahl interessiert sind. Allerdings ist das Interesse an den Wahlen innerhalb der Mitgliedstaaten sehr ungleich verteilt. Mit einem Anteil von 69 Prozent ist diese Zahl in den Niederlanden am höchsten und mit 28 Prozent in Tschechien am niedrigsten. In Belgien lieg er bei 52 Prozent, in Deutschland bei 65 Prozent und in Österreich bei 61 Prozent.

Soziale Themen vorn

Am meisten schätzen die Bürger (34 Prozent) die Friedens- und Sicherheitspolitik der EU sowie die verbesserte Kooperation zwischen den Mitgliedsländern (ebenfalls 34 Prozent). Als die wichtigsten politischen Themen der EU betrachten die Bürger den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung (36 Prozent), dicht gefolgt vom Thema öffentliche Gesundheit (34 Prozent). Den Kampf gegen die Klimaerwärmung sowie eine Förderung der Wirtschaft und die Schaffung neuer Arbeitsplätze halten 29 Prozent der Befragten für ein prioritäres Ziel der EU. In der Migrations- und Asylpolitik sehen hingegen nur 18 Prozent der EU-Bürger ein Thema mit hoher Relevanz.

Gegenüber dem Eurobarometer vom Frühjahr 2023 ist das Gesamtbild der EU bei den Bürgern stabil geblieben. 45 Prozent haben ein positives Bild, 38 Prozent ein neutrales und lediglich 16 Prozent ein negatives Bild. Allerdings ist die Zustimmung bei der Frage, ob die Teilnehmenden die Zukunft der Gemeinschaft optimistisch sehen, deutlich gesunken, insbesondere in Deutschland: Von 72 Prozent vor drei Jahren, während der Corona-Krise, sank der Wert nun um 14 Prozent. EU-weit fiel der Wert von 66 auf 60 Prozent.

Gefragt wurde in der Umfrage auch, mit welchen Problemen die Menschen aktuell konfrontiert sind und was sie für die nahe Zukunft erwarten. 73 Prozent der Befragten erwarten im nächsten Jahr eine Verschlechterung ihres Lebensstandards – im Frühjahr 2023 waren es allerdings noch 79 Prozent. Und 37 Prozent der Europäer haben gelegentlich oder oft Probleme, ihre monatlichen Rechnungen zu bezahlen. Die bereits vorhandenen wirtschaftlichen Probleme in Verbindung mit der recht hohen Zahl derer, die negativ auf die Zukunft blicken, könnte den Wahlausgang im Juni 2024 zugunsten euroskeptischer oder europafeindlicher Parteien verschieben. Dafür sprechen auch die Entwicklungen in einigen Mitgliedsländern wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Österreich, Ungarn, Italien und auch Deutschland.

Die Wahlen zum Parlament beginnen am 6. Juni 2024 in den Niederlanden. Am 7. Juni folgt die Wahl in Irland. Lettland, Malta und die Slowakei wählen am 8. Juni; Tschechien am 7. und 8. Juni. Alle anderen Mitgliedsländer wählen am letzten Wahltag, am Sonntag, dem 9. Juni. Eine Sperrklausel für die Wahlen gibt es übrigens nicht, darüber streitet der Rat der Regierungen noch. Das Europaparlament hatte eine solche Klausel in Höhe von 3,5 Prozent vorgeschlagen.

Debatte um Wahlrecht

Auch um andere Regelungen wird noch gestritten. In dieser Woche steht das Thema Wahlrecht abermals auf der Tagesordnung des Europaparlaments. Der letzte Parlamentsvorschlag zur Reform des EU-Wahlrechts sah u. a. die Schaffung eines unionsweiten Wahlkreises – sogenannte transnationale Listen –, einen einheitlichen europäischen Wahltag sowie eine Reform des Spitzenkandidat:innenverfahrens für die Wahl des Kommissionspräsidenten (d.h. die europäischen Parteienfamilien nominieren ihre Spitzenkandidat:innen auch für den Präsidentenposten der EU-Kommission) vor. Dieser Vorschlag wird allerdings weiterhin vom Rat blockiert. Gerade um jedoch Spitzenkandidat:innen-Prinzip noch vor der Wahl voranzukommen, schlagen die Parlamentsbericht eine „interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Parlament und dem Europäischen Rat über das System der Spitzenkandidaten“ und eine „legislative Vereinbarung“ zwischen den Spitzenkandidaten, den Fraktionen und den mit ihnen verbundenen europäischen politischen Parteien vor. Die soll allen Beteiligten ermöglichen, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu einigen.

Eine Änderung allerdings steht bereits fest: In Deutschland und zwei anderen EU-Staaten dürfen bei der Europawahl 2024 nun auch 16-Jährige abstimmen, in Griechenland wurde das Wahlalter auf 17 gesenkt. Das ist nur folgerichtig: Gerade in der Gruppe bis 30 Jahre ist die Zustimmung zur EU generell hoch – wenngleich auch der Wunsch, etwas an der Institution EU und ihrer Politik zu verändern.

Ein Artikel von Jürgen Klute und Uwe Sattler

Jürgen Klute

Jürgen Klute ist Theologe und Europapolitiker. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des EU-Parlaments (Delegation DIE LINKE). Jürgen Klute betreibt die Internetseite europa.blog. Er publiziert insbesondere zu Themen wie linke Kräfte in Europa und zur Rechtsentwicklung in der EU. (Foto: © Uli Winkler)

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Der Journalist gehört zudem der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" an.

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