EU-Ukraine: Brüchige Solidarität
Die Unterstützung der EU für die Ukraine bröckelt – auch wenn das Land weiter massiv aufgerüstet wird
Eines der Hauptthemen des EU-Gipfels am Donnerstag und Freitag in Brüssel ist die Hilfe für die Ukraine. Dabei kommen die Mitgliedsländer offensichtlich immer mehr in die Bredouille.
Die Entscheidung hat es in sich: In der Nacht zum Mittwoch einigten sich die EU-Regierungen mit dem Europaparlament, wieder Zölle auf bestimmte Lebensmittel aus der Ukraine einzuführen, sollten deren Mengen festgelegte Limits überschreiben. Betroffen sind unter anderem Eier, Geflügel, Mais und Hafer; für das Hauptexportgut Getreide sollen »unter bestimmten Bedingungen Maßnahmen ergriffen werden können«. Was eher nach Kleinkram klingt, hat jedoch gravierende Auswirkungen auf die ukrainische (Kriegs-)Wirtschaft, die auf die Einnahmen aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Güter angewiesen ist. Letztlich haben die EU-Gremien mit ihrer Entscheidung den Protesten der Bauernschaft nachgegeben, denen die zollfreien – und damit günstigeren – Erzeugnisse ein Dorn im Auge sind; seit Monaten blockieren Landwirte immer wieder die Grenzübergänge zur Ukraine.
Das Beispiel belegt, dass Brüssels scheinbar grenzenlose Unterstützung Kiews zunehmend unter Druck gerät. Bislang war es praktisch Gesetz, immer mehr Geld an die Kiewer Kassen zu überweisen. Die EU-Kommission hat eine eigene Webseite eingerichtet, auf der die Zahlungen aufsummiert sind: Über 138 Milliarden Euro seien seit dem russischen Überfall vor zwei Jahren durch die EU und deren Mitgliedsländer bereitgestellt worden, der Großteil davon zur Stabilisierung der Wirtschaft. Allerdings sind auch knapp 35 Milliarden Euro für die »Unterstützung der ukrainischen Armee« gezahlt worden; in der vergangenen Woche wurden weitere fünf Milliarden aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität zugesagt. Auch auf ihrem Gipfel in Brüssel beraten die Staats- und Regierungschef*innen über weitere Gelder für die Aufrüstung der Ukraine. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat kurz vor dem Gipfel nochmals ins Gespräch gebracht, die Zinserlöse aus den insgesamt 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank, die in der EU angelegt sind und nach Kriegsbeginn eingefroren wurden, zu nutzen. Pro Jahr sollen diese Assets drei Milliarden Euro abwerfen, die in erster Linie zur Bereitstellung von Munition genutzt werden sollen. Dazu soll es »einen ersten Meinungsaustausch« geben, der durchaus kritisch ausfallen dürfte – die politisch motivierte Abschöpfung von Geldern könnte Zweifel an der Sicherheit des europäischen Finanzmarktes säen. Abgesehen von diesen Zinsen bleibt jedoch die Frage, woher das ganze Geld kommen soll. Beziehungsweise, ob und wie die zum Teil als Kredit an Kiew ausgereichten Mittel zurückgezahlt werden sollen. Das sorgt insbesondere in den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten, die an den Fördertöpfen Brüssels hängen, für teils offenen Unmut.
Eine diplomatische Unterstützung für einen sofortigen Waffenstillstand und eine friedliche Konfliktlösung scheint es dabei von Seiten der EU auch weiterhin nicht zu geben. Seit Monaten ist nichts von entsprechenden Initiativen zu erkennen, obgleich sich die EU gern als Gemeinschaft mit »soft power«, also Verhandlungsgeschick, verkauft. »Nicht Kriegstüchtigkeit, sondern Friedensfähigkeit, darum müsste es eigentlich gehen«, betont die Linke-Europaabgeordnete Özlem Demirel. »Das Geld fehlt so nicht nur für soziale Ausgaben, sondern immer mehr Waffen erhöhen auch die Kriegsgefahren und Kriegsbereitschaft.« Frankreichs Präsident Emmanuel Macron brachte sogar den Einsatz von Nato-Truppen in der Ukraine ins Spiel. Aus nachvollziehbaren Gründen: Macron hat nach Rentenreform und harter Sparpolitik innenpolitisch einen schlechten Stand. Daher ist es nicht überraschend, dass der Staatschef sein Heil in Kriegsrhetorik sucht.
EU-Beiritt rückt in die Ferne
Allerdings ist Macron zwar sicher die schillerndste Figur, aber keine Ausnahme unter den europäischen Staatsmännern und -frauen. Offensichtlich geht es vielen eher um den Stand im eigenen Land als um die Unterstützung der Ukraine. Daher nimmt es auch nicht Wunder, dass die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Kiew in immer weitere Ferne rückt. Beobachter in Brüssel hatten den Startschuss auf dem derzeitigen Gipfeltreffen erwartet. Vor einer Woche hat die EU-Kommission jedoch durchblicken lassen, dass der Beginn der Verhandlungen mit Kiew erst nach den Europawahlen im Juni liegen wird, genaues Datum unbekannt.
Dabei konnte es bislang mit der Aufnahme der Ukraine nicht schnell genug gehen. Im November 2023 hatte die EU-Kommission das entsprechende »Empfehlungsschreiben« vorgelegt: Im Fortschrittsbericht wurden Kiew »Anstrengungen« bei der Erfüllung der sogenannten Kopenhagener Kriterien, die die EU vor einen Beitritt gesetzt hat, bescheinigt. Dazu gehören staatliche und wirtschaftliche Stabilität, Bereitschaft zur Übernahme der Regeln und Werte, Demokratie und Einhaltung von Grundrechten. Bei allen gab es bereits vor dem russischen Überfall große Mängel; dass es unter Kriegsbedingungen besser geworden wäre, ist kaum vorstellbar. Trotzdem gab der Dezember-Gipfel der EU grünes Licht für die Beitrittsgespräche. Inzwischen scheint zumindest etwas Realismus in der EU-Kommission eingezogen zu sein.
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