Ein unvergessenes Datum
Vor 101 Jahr wurde der 20. Deportationszug von Belgien nach Auschwitz gestoppt
Vor 81 Jahren, am 19. April 1943, befreiten Youra Livchitz, Jean Franklemon und Robert Maistriau 231 jüdische Gefangene aus dem 20. Deportationszug von Mechelen/Belgien nach Auschwitz. Die Drei stoppten den Zug auf offener Strecke zwischen der kleinen flämischen Gemeinden Boortmeerbeek und Haacht am linken Ufer des Flusses Dijle ca. 8 Kilometer südöstlich von Mechelen.
Vorbereitet wurde diese Befreiungsaktion, die im übrigen die einzige dieser Art während der gesamten Zeit der deutschen Unrechtsherrschaft in Europa war, im Atelier des belgischen Malers Marcel Hastir (1906 – 2011) in der Rue du Commerce 51 in Brüssel. Das Atelier besteht noch immer und ist heute geschütztes kulturelles Erbgut; das Haus befindet sich heute im Besitz der Stadt Brüssel. Heute finden dort u.a. auch kulturelle Veranstaltungen statt und es ist der zentrale Ort der Erinnerung an den Stopp des 20. Deportationszuges nach Auschwitz.
Hastir arbeitete mit der belgischen Résistance zusammen und bot in seinem Atelier die Möglichkeit – getarnt als Malereikurse – zu Treffen. Youra Livchitz, sein Bruder Alexandre Livchitz und ihre beiden Freunde Jean Franklemon und Robert Maistriau haben den Stopp des Zuges vorbereitet. Alexandre Livchitz war allerdings an dem Abend verhindert und konnte daher nicht an der Befreiungsaktion teilnehmen. Die Drei hatten lediglich eine Pistole als Bewaffnung. Als sie den Zug sahen, haben sie das Magazin der Waffe leer geschossen. Aufgrund der Dunkelheit konnten die Wachmannschaften auf dem Zug nicht sofort einschätzen, ob es sich um eine größere bewaffnete Gruppe der belgischen Résistance handelte und blieben zunächst in Deckung, wie Marion Schreiber die Szene in ihrem Buch „Stille Rebellen: Der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz“ beschreibt (das Buch gibt es in deutsch, englisch und französisch). Diesem Umstand war zu verdanken, dass die über 200 jüdischen Gefangenen aus dem Zug fliehen konnten, von denen der größte Teil sich – oft mit Hilfe der belgischen Bevölkerung – retten konnte.
Einer von denen, die sich an diesem Tag vor der Vernichtung durch die Nazis retten konnte, war Simon Gonowski. Er war zu dem Zeitpunkt 11 Jahre alt. Heute lebt er in Brüssel und ist wohl der letzt noch Lebende aus der Gruppe, die der Hölle von Auschwitz entkommen konnten. Im Januar 2023 besuchte er mit einer Schulklasse Auschwitz. Das deutschsprachige belgische Nachrichtenportal „Flanderninfo“ berichtete darüber: 80 Jahre nach der Flucht aus einem Ausschwitz-Zug aus Belgien besucht ein 91-Jähriger in Begleitung von Schulkindern das KZ.
Youra und Alexandre Livchitz wurden infolge von Verrat im Juni 1943 von der Gestapo in Brüssel als Mitglieder der belgischen Résistance verhaftet. Dass beide an der Vorbereitung und Youra auch an der Durchführung des Stopps des 20. Deportationszuges nach Auschwitz beteiligt waren, war der Gestapo entgangen. Gleichwohl wurden beide zum Tode verurteilt aufgrund ihrer Mitwirkung in der belgischen Résistance. Alexandre Livchitz wurde am 10. Februar und Youra am 17. Februar 1944 auf dem nationalen Schießstand in Brüssel erschossen. Das war der schon im ersten Weltkrieg von den deutschen Besatzern benutzte Hinrichtungsplatz, auf dem am 12. Oktober 1915 auch die britische Krankenschwester Edith Cavell (siehe auch hier und hier) als Spionin erschossen wurde. Auf dem Gelände des früheren nationalen Schießplatzes steht heute das Gebäude des belgischen Rundfunks VRT-RTBF. Der Hinrichtungsplatz der deutschen Besatzer ist allerdings als Ort der Erinnerung erhalten unter dem Namen Enclos des fusillés bzw. Ereperk der Gefusilleerden. Wie der Name andeutet, sind dort heute die Grabstätten der von zwei deutschen Besatzungsregiemen Hingerichteten. Auch Youra und Alexandre Livchitz haben dort ihre letzte Ruhestätte gefunden. Ihre Gräber liegen direkt nebeneinander. Dieser Ort der Erinnerung liegt etwas versteckt an einer kleinen Parallelstraße zur Rue Colonel Bourg auf Höhe der Hausnummer 102 in Brüssel-Schaerbeek.
Der Text erschien zuerst auf http://europa.blog
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