Ein Faktencheck

Agrar-, Umwelt- und Tierschutzpolitik sind in der EU alles andere als eine Erfolgsgeschichte

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Die Entwicklung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ist in einigen Bereichen als Erfolgsgeschichte zu bezeichnen. Ich glaube aber, dass der Zenit längst überschritten ist. Wir befinden uns in einem steilen Sinkflug und es steht eine harte Landung bevor …

Bei meiner Einschätzung spielt der Brexit keine Rolle, auch nicht die Tatsache, dass immer mehr EU-Mitgliedstaaten der Europäischen Idee den Rücken kehren und auf unilaterale Politik setzen. Das sind Nichtigkeiten im Vergleich mit den mittel- und langfristigen Auswirkungen der derzeitigen Probleme und Krisen, für deren Bewältigung es einerseits schon fast zu spät ist und andererseits der politische Mut fehlt, angemessen zu reagieren, weil man die Wirtschaft damit vergraulen würde.

Ein Problem, das von der Politik lange Zeit tabuisiert wurde, ist die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen. Man ignorierte es und gab sich dem fatalen Traum von stetigem Wirtschaftswachstum hin. Anstatt in Verantwortung für die zukünftigen Generationen die politischen Weichen zu stellen, wurde alles getan, um den Konsum anzuheizen, obwohl wir über unsere Verhältnisse leben. Aber wir haben nur eine Erde! Diese simple Tatsache ist in der Politik recht spät angekommen. Die Begriffe „Nachhaltigkeit“ und „Kreislaufwirtschaft“ werden seitdem in Brüssel und andernorts inflationär verwendet. Vom Maßhalten hält man trotzdem nicht viel. 2017 verbrauchten wir so viele Ressourcen, als stünden uns 1,7 Erden zur Verfügung. 2020 werden wir zwei Planten benötigen, 2050 sogar drei. Der Raubtierkapitalismus frisst nicht nur unseren Planeten auf, sondern auch seine Kinder, die in einen Konsumrausch verfallen, wenn sie finanziell dazu in der Lage sind.

Wir ignorieren einmal die Ressourcenendlichkeit und es stellt sich die Frage, ob es Europa bei fortschreitender Globalisierung, einem weiteren wirtschaftlichen Aufstieg der Schwellenländer und einem ungebremsten Bevölkerungswachstum auf anderen Kontinenten gelingen wird, seine heutige politische und wirtschaftliche Stellung auch in der Zukunft zu behaupten. Vieles deutet darauf hin, dass wir bald nur noch eine marginale Rolle auf der Weltenbühne spielen werden.

Unsere Zukunft hängt vor allem davon ab, ob die internationale Staatengemeinschaft es schaffen wird, die globalen ökologischen Krisen zu bewältigen.

Ich beginne mit der Klimaerwärmung. Man muss kein Schwarzmaler sein, um festzustellen, dass die Begrenzung der globalen Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius im Jahr 2050 gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung nicht gelingen wird. 2400 neue Kohlekraftwerke sind weltweit im Bau oder in der Planung. China verbraucht mengenmäßig noch immer so viel Kohle wie der Rest der Welt zusammen und will bis 2020 die Kohleförderung und Kohlekraftwerkskapazitäten ausbauen. Die USA, nach China der zweitgrößte Klimasünder, steigen aus dem Pariser Klimaschutz-Abkommen aus, weil es angeblich ein schlechter Deal für Amerika war. Putin vertritt wie Trump die Position, dass menschliche Aktivitäten nicht primär für die globale Erwärmung verantwortlich seien. Russland hat dem Paris-Abkommen zwar zugestimmt, aber es bislang nicht ratifiziert und ist somit zu nichts verbindlich verpflichtet. Deutschland, größter Treibhausgas-Emittent in der EU, legt seine Klimaziele für 2020 aufs Eis und kauft Emissionsrechte von anderen europäischen Mitgliedstaaten, um gegenüber der EU nicht vertragsbrüchig zu werden. Wenn in Indien der wirtschaftliche Aufschwung anhält, treibt die Größe der Bevölkerung den Kohlendioxid-Ausstoß auf neue Rekordwerte.

Von der Klimaerwärmung sind natürlich auch wir betroffen. Eine Studie der Europäischen Umweltagentur rechnet mit Schäden in astronomischer Höhe und massiven Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Aber auch andere ökologische Krisen, wie beispielsweise die Überfischung der Weltmeere und ihre Verschmutzung mit Plastikmüll, die Desertifikation von Ackerland und die zunehmende Trinkwasserknappheit in vielen Regionen der Erde werfen ihre Schatten auf die Europäische Union, deren Politik es unmöglich macht, die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung bis 2030 zu erreichen.

Die EU ist direkt oder indirekt für viele der genannten Krisen mitverantwortlich – durch ihre wachstumsorientierte Politik, vor allem durch die Gemeinsame Agrarpolitik (abgekürzt GAP).

Rund 40 % des EU-Haushaltes fließen in die Agrarsubventionen, um der angeblichen Armut der europäischen Landwirte Paroli zu bieten. Dies führt zu massiven Wettbewerbsverzerrungen auf den Weltmärkten. Im tiefsten Afrika sind mittlerweile verschiedene Agrarprodukte aus Europa billiger als die gleichen einheimischen Produkte. Afrikanische Kleinbauern sind dank Brüssel zur Betreibsaufgabe gezwungen und verarmen: Schöne neue Welt, in der nur die Großen überleben…

Unsere Agrarpolitik trägt dazu bei, dass die Migration in Richtung Europa zunehmen wird, und die Anzahl der Klima- und Hungermigranten dürfte schon bald um ein Vielfaches höher sein als die Zahl der Flüchtenden, die im Jahr 2015 in Deutschland und in anderen EU-Ländern ankamen. Sollen wir tatsächlich all diesen Menschen die kalte Schulter zeigen und sie abweisen? O tempora, o mores!

Dass nur die Größten durchkommen, gilt auch für unsere Landwirte, denn jedes Jahr machen rund 350.000 Bauernhöfe in der EU dicht.

Einer der Gründe dafür ist die Bemessungsgrundlage für die Direktzahlungen: je mehr Land, desto höher fällt die Zahlung aus. Das führt dazu, dass 20 % der Betriebe 80 % der Mittel erhalten. Für die Bewilligung der Gelder spielt es keine Rolle, ob ein Hof besonderen Wert auf tierfreundliche Haltungssysteme legt oder umweltfreundlich wirtschaftet. Die Direktzahlungen fließen auch dann, wenn die Äcker Teil eines Hofes mit industrieller Massentierhaltung sind.

Die EU fördert dadurch gezielt Betriebe, die sich auf Intensiv-Tierhaltung und einen großflächigen Anbau (Monokulturen) von Futtermittel spezialisieren. Letzteres führt zu einem verstärkten Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, obwohl viele der Chemikalien-Cocktails nachweislich schädlich sind, nicht nur für Bienen, sondern auch für Menschen.

Die subventionierte Massentierhaltung ist nicht nur aus ethischen Gründen anzuprangern, sondern auch deshalb, weil die Produktion von Fleisch und Milch für rund 18 % der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist. Eine Kuh produziert täglich 200 Liter Methangas! Die Menge an Gülle, die durch die riesigen Nutztierbestände entsteht und die nur durch Massentierhaltung möglich wurden, ist ein großes Problem in ganz Europa. Die Nitratbelastung der Böden und des Grundwassers schreiten voran und das Filtern wird zu einer immer kostspieligeren Notwendigkeit.

Die tierquälerischen Haltungsbedingungen in den riesigen Tierfabriken machen es notwendig, große Mengen an Antibiotika zu verwenden, was die Entstehung von multiresistenten Keimen fördert. Die WHO läutet schon jetzt die Alarmglocken, sie rechnet bis 2050 mit jährlich 10 Millionen Toten durch multiresistente Erreger, also mehr Todesfälle als durch Krebs verursacht werden. Und eine Pandemie durch Zoonosen scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, denn Viren fühlen sich in den Ställen der Massentierhaltung pudelwohl. Wenn der „Super-Bug“ zuschlägt, so warnen Experten, könnten 300 Millionen Menschen sterben.

Über die regelmäßig auftretenden Lebensmittelskandale schweige ich lieber. Übrigens: Ich ernähre mich seit fast 20 Jahren vegan, weil durch meine Ernährung kein Tier sterben soll, und ich nicht mitschuldig werden will, dass alle 10 Sekunden ein Kind irgendwo auf der Welt verhungert. Mehr als die Hälfte der weltweiten Getreideproduktion wird für Futtermittel ver(sch)wendet. Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet. Das stammt nicht von mir, sondern ist ein Zitat von Jean Ziegler, dem langjährigen Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.

In Brüssel ist es ein politisches Tabu, offen und ehrlich über die Folgen der Gemeinsamen Agrarpolitik zu sprechen. Die Angeordneten spielen gekonnt die Probleme herunter. Kein Wunder, denn der größte Teil der Mitglieder im Agrarausschuss, der maßgeblich den Kurs der Landwirtschaftspolitik bestimmt, besteht aus Landwirten oder Abgeordneten, die mit der Landwirtschaft verbandelt sind. Interessenskonflikte sind vorprogrammiert…

Die EU wird die Probleme nicht lösen, weil sie selbst ein Teil des Problems ist. Dementsprechend habe ich meine Bedenken, was die Zukunft Europas – Deutschland inbegriffen – betrifft.

Ein System, das es zulässt, dass Millionen Kinder pro Jahr verhungern, weil ein Großteil der weltweiten Getreideernte zu Futtermittel verarbeitet wird, dass es zulässt, dass unsere „Nutztiere“ tierquälerisch gehalten werden (obwohl laut Umfrage die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der EU Verbesserungen im Tierschutz einfordern) und pro Jahr Milliarden im Schlachthaus landen, hat vielleicht auch keine Zukunft verdient…

Der Lügen sind zu viel gewesen und die Zeit wird knapp – sagen wir also die Wahrheit!

Ein Artikel von Stefan Eck

Stefan Eck

Stefan Eck ist parteiloser Abgeordneter in der GUE/NGL-Fraktion des Europäischen Parlaments. Von September 2007 bis Ende 2014 war er Bundesvorsitzender der Tierschutzpartei. Im EU-Parlament ist er u.a. Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und stellvertendes Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.

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