Zurück in die Zukunft
Am Wochenende wollen Europas Linksparteien die Weichen für die EU-Wahl 2024 stellen
Europas Linke tagen in Wien: Mit einer politischen Erklärung soll die inhaltliche Basis für den kommenden EU-Wahlkampf gelegt werden. Gewählt wird auf dem Kongress auch eine neue Führung des Vielparteienbündnisses.
Als im Mai 2004 in Rom die Partei der Europäischen Linken (EL) gegründet wurde, schien der weitere Weg vorgezeichnet: »Unser Ziel ist die menschliche Emanzipation, die Befreiung von Männern und Frauen von allen Formen der Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung«, hatten die Vertreter*innen von 26 linken und links-grünen Parteien aus zwölf Staaten in ihrem Gründungsdokument betont. Eine gemeinsame europäische, moderne Partei sollte entstehen, offen über die EU-Grenzen hinaus, ganz ohne Bevormundung der allmächtigen Kommunistischen Partei der Sowjetunion, die im Realsozialismus den Ton an- und die Linie vorgegeben hatte. Die EL wollte mehr sein als nur die Dachorganisation für nationale Linksparteien.
Inzwischen ist die Europäische Linke auf gut 40 Parteien gewachsen, die als Vollmitglieder, Beobachter und Partner unterschiedlich eng an die EL gebunden sind. In dieser erfolgreichen Entwicklung liegt zugleich das Problem: Im Gegensatz zu anderen sogenannten Europäischen politischen Parteien ist die EL eine Anhäufung verschiedener Standpunkte zu vielen grundsätzlichen und konkreten Fragen europäischer Politik. Das betrifft nicht nur das grundsätzliche Verhältnis zur EU – das Spektrum reicht von Parteien, die die EU generell ablehnen, bis hin zu Gruppierungen, die auch mit Veränderungen in kleinen Schritten leben können – sondern auch aktuelle Fragen wie den Ukraine-Krieg.
Das Thema wird den Kongress am Wochenende in Wien wesentlich prägen. Im Fokus stehen dabei nicht nur der Umgang mit Putins Krieg, sondern auch die Konsequenzen für die Linken daraus. »Die Verknüpfung von sozialer Frage und dem Krieg in der Ukraine ist die größte Herausforderung, vor der die Linksparteien stehen«, sagt Cornelia Hildebrandt, Co-Chefin des linken Thinktank »Transform!Europe«. Zwar heißt es im Entwurf der politischen Deklaration von Wien ausdrücklich, dass man die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine verurteile, die völkerrechtlich ein Verbrechen darstelle. Unter dieser Formulierung gibt es jedoch deutliche Abstufungen, insbesondere, was die Verantwortung der Nato an der Eskalation betrifft. Während einige EL-Mitglieder aus den südlichen Mitgliedsländern durch die Nato-Osterweiterung und die Missachtung russischer Sicherheitsinteressen eine Mitschuld des Militärpakts am Krieg sehen und Forderungen nach Abschaffung des Bündnisses erheben, sind aus Skandinavien und vor allem aus Finnland – als Nachbarstaat Russlands – andere Töne zu hören. Hinzu kommt, dass die finnische Linksallianz an der Regierung in Helsinki beteiligt ist, die eine Nato-Mitgliedschaft forciert hat. Offen ist, ob die finnische Linke die EL-Beschlüsse weiter als Vollmitgliedspartei mittragen will.
Zu den alten Konflikten gehört jener, seit Jahren schwelende, zwischen der griechischen Syriza und der französischen Linkspartei La France insoumise (LFI) unter Jean-Luc Mélenchon. Der charismatische Linkspolitiker hatte mit dem von ihm dominierten links-grünen Nupes-Bündnis bei den Parlamentswahlen im Juni 25,7 Prozent der Stimmen geholt – praktisch ebenso viele wie die Regierungspartei. Seit Anfang 2018 liegt Mélenchon jedoch mit der Syriza von Alexis Tsipras im Clinch, der bei den Griechenland-Wahlen nächstes Jahr ebenfalls etwa 25 Prozent vorausgesagt werden. Mélenchon hatte seinerzeit den Ausschluss von Syriza aus der EL gefordert, weil Tsipras vor der Knebelpolitik der EU gegenüber dem hoch verschuldeten Griechenland eingeknickt sei. »Das hat tiefe Wunden gerissen, die bis heute nicht verheilt sind«, konstatiert Hildebrandt. Es gebe zwar keine Angriffe mehr von beiden Seiten, das Verhältnis sei bisher aber von einer Art »Nicht-Kooperation« gekennzeichnet. Allerdings hat sich die LFI-Politikerin Manon Aubry, die mit an der Spitze der Linksfraktion im EU-Parlament steht, kürzlich vorsichtig auf Syriza zubewegt. Was aus diesem Signal folgt, bleibt abzuwarten.
Die in Wien zu bestimmende neue Führung der EL – der bisherige Präsident Heinz Bierbaum kandidiert nach seiner Wahl zum Vorstandsvorsitzenden der Luxemburg-Stiftung nicht erneut – wird nicht nur mit diesen Konflikten umgehen, sondern zugleich Grundlagen für ein Programm zur Europawahl im Frühjahr 2024 schaffen müssen. Im Entwurf der politischen Deklaration, die als Skelett eines Wahlprogramms dienen könnte, wird der Schwerpunkt auf die ökologisch-soziale Transformation gelegt. Stichworte dafür sind die Verknüpfung des Kampfes gegen den Klimawandel mit der sozialen Frage, der Ausstieg aus fossilen Energien, ein Ende der neoliberalen Sparpolitik sowie »menschenwürdige Lebensbedingungen für alle«. Gerade Bierbaum hatte in seiner zweijährigen Präsidentschaft die sozial-ökologische Transformation zu einem Schwerpunkt der Europäischen Linken gemacht und dazu auch den Schulterschluss mit den europäischen Gewerkschaften gesucht.
Damit dieses Programm angenommen wird, muss die EL aber erst einmal heraus aus der Dunkelheit und gemeinsam agieren – wie es die Gründer*innen 2004 beschlossen hatten. Dafür, dass die EL trotz guter Konzepte insgesamt noch wenig sichtbar bleibt, hat Bierbaum eine einfache Erklärung: »Die nationalen Parteien tun zu wenig dafür.«
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