„Wir haben im Moment einen Überwachungskapitalismus im Netz“
Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piraten, im Interview zur Überwachung im Netz, zum Kampf gegen Rechtsextremismus und zu von der Leyens EU-Kommission
Sie bezeichnen sich selbst als digitalen Freiheitskämpfer. Was bitte ist das?
Im Zeitalter der Digitalen Revolution, in dem die Digitalisierung alle Lebensbereiche revolutioniert, sind unsere Freiheiten in Gefahr. Weil es die Digitalisierung möglich macht, nicht nur den Menschen als Einzelnen zu vereinnahmen, sondern die staatlichen Behörden in die Lage verstezt, ihn total zu kontrollieren und zu manipulieren. Diese Gefahr der Einflussnahme kann dazu führen, dass es nicht mehr so ist, wie es in der Demokratie sein sollte: dass der Bürger den Staat und die Regierung kontrolliert, sondern umgekehrt die Regierung den Bürger. Das ist dann keine freiheitliche Demokratie mehr, sondern ein digitaler Überwachungsstaat. Und dagegen kämpfe ich bereits seit vielen Jahren.
Sieht man sich insbesondere Aktivitäten von Rechtsextremisten an, gerade im Zusammenhang mit dem Anschlag in Halle oder mit dem Lübke-Mord, scheint es doch ganz sinnvoll, dass der Staat kontrolliert, was sich da an verfassungsfeindlichen Aktivitäten im Netz tut.
Die gezielte Ermittlung bei Straftaten und auch die Beobachtungen von kriminellen Organisationen sind wünschenswert. Aber das Erschreckende in dem Bereich ist, dass teilweise staatliche Behörden und Verfassungsschutz Ermittlungen sogar aktiv behindern, um zweifelhafte Informanten zu schützen. Nach meiner Meinung müsste man die Ressourcen, die im Moment verschwendet werden für völlig ungezielte Massenüberwachung, nutzen, um die gezielten Ermittlungen zu verstärken und stärker zu unterstützen. Das ist der Schlüssel zum Vorgehen gegen rechten Terror. Da muss null Toleranz gelten; jede Straftat muss konsequent verfolgt werden.
Nun ist der Staat nur die eine Seite, die andere sind die großen Internet-Konzerne, die faktisch eine Allmacht haben hinsichtlich der Überwachung von Menschen im Netz. Und die lassen sich schwer kontrollieren.
Wir haben im Moment einen Überwachungskapitalismus im Netz, der so funktioniert, dass Internet-Konzerne ihr Geld damit verdienen, uns auszuspionieren und mit den extrem intimen Informationen, die sie daraus ableiten können, uns dann entsprechend zu manipulieren. Insbesondere, um uns Dinge zu verkaufen. Aber das kann auch bis hin zur politischen Manipulation gehen. Die Internet-Konzerne wollen uns glauben machen, dass das unabwendbar wäre und wir das hinnehmen müssten. Aber dem ist überhaupt nicht so. Wir könnten, wenn wir wollten, ganz klare Vorgaben machen, die das verhindern. Das Europäische Parlament hat beispielsweise zu der sogenannten E-Privacy-Verordnung gesagt, wir wollen das sogenannte Tracking stoppen, also dass alle Aktivitäten im Netz auf Schritt und Tritt aufgezeichnet wird und dass einem entsprechende Einwilligungen abgenötigt werden. Dieser Schritt, der allerdings mit sehr knapper Mehrheit erfolgt ist, wird komplett ausgebremst von den nationalen Regierungen. Sie machen das, indem sie sich einfach gar nicht dazu äußern, keine Position dazu festlegen – dadurch liegt diese Maßnahme quasi auf Eis.
Eine solche Vorgabe des Parlaments müsste aber auch von einer Instanz kontrolliert werden. Also doch wieder mehr staatliche Überwachung im Netz?
Wir haben im Datenschutzbereich zum einen die Datenschutzbehörden, die die Einhaltung kontrollieren müssen, die sind unabhängig, von ihrer Ernennung einmal abgesehen. Teilweise haben sie sich auch sehr unabhängig gezeigt. Zum Beispiel hat der Hamburger Datenschutzbeauftragte im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel der Polizei den Einsatz von Gesichtserkennungsverfahren verboten, weil es dafür keine Rechtsgrundlage gab. Aber wir haben auch die Möglichkeit, gegen Datenschutzverstöße zu klagen, ich selbst mache das öfters und habe auch schon Recht bekommen vor Gericht. Allerdings braucht man dafür einen sehr langen Atem. Seit kurzem gibt es zudem die Möglichkeit, dass Verbraucherorganisationen stellvertretend für betroffene Bürger gegen Datenschutzverstöße klagen können.
Sie sind der einzige deutsche Pirat im EU-Parlament, es gibt noch drei weitere Abgeordnete aus Tschechien. Vor einigen Jahren war der Rückhalt der Piraten in der Bevölkerung offensichtlich stärker.
In Deutschland hatten wir vor ein paar Jahren eine größere Sichtbarkeit. Ich denke, auch wegen der Personen, die damals an unserer Spitze aktiv waren. Aber wir haben beispielsweise im Frühjahr dieses Jahres im Zuge der Massenproteste gegen Internetzensur und Uploadfilter wieder wirklich viele junge Mitglieder bekommen. In Mainz zum Beispiel ist ein Gymnasiast für uns in den Stadtrat eingezogen. Das sind wirklich junge Leute, die sich über die Piratenpartei auch erstmals aktiv einmischen. Davon lebt die Demokratie.
Die Anhörung der neuen Kommissionsmitglieder ist abgeschlossen, sind solche Themen wie Datenschutz oder Begrenzung der Macht von Internet-Konzernen angesprochen worden?
Ich bin Mitglied des Rechtsausschusses und wir haben zwei Kommissionskandidaten gestoppt, nämlich jene aus Rumänien und Ungarn. Weil wir gesehen haben, dass ihre persönlichen Interessen ihre Amtsführung beeinflussen könnten. Ähnlich ist es bei einer weiteren Kandidaten aus dem Kabinett von Ursula von der Leyen, Frau Goulard, die in Frankreich zurücktreten musste als Ministerin, weil sie EU-Gelder zweckentfremdet hat. Nun ist sie als Kommissarin vorgeschlagen worden, das macht das Parlament nicht mit.
Unser Schwerpunkt bei dieser Kommissionsernennung liegt erst einmal darin, dafür zu sorgen, dass wir eine Kommission bekommen, der man einigermaßen vertrauen kann und bei der nicht die Mitglieder schon in Skandale verwickelt sind, noch bevor sie ihre Tätigkeit überhaupt aufnehmen. Eine zweite Frage ist: Sind die Leute überhaupt qualifiziert? Da fängt es schon bei Frau von der Leyen selbst an, die sich eigentlich durch nichts als EU-Kommissionspräsidentin qualifiziert hat, also die gar keine Erfahrung in dem Bereich gesammelt hat, umgekehrt jedoch selbst in Skandale in Deutschland verwickelt ist.
Wir haben die vorgeschlagenen Kommissionskandidaten befragt, ob sie bereit sind, Massenüberwachung zu stoppen und ein Moratorium für neue massenhafte Datensammlungen umzusetzen. Das wurde nicht zugesagt. Damit steht zu befürchten, dass die neue EU-Kommission weiter an der Überwachungsschraube drehen und die Freiheit des Internets noch stärker in Gefahr sein wird.
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