Wir benötigen dringend einen Zukunftshaushalt

Nur Reformen auf Einnahmen- und Ausgabenseite können zu einem wirklichen Zukunftshaushalt der EU führen

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Anfang Mai hat die Europäische Kommission ihre Vorschläge für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) vorgestellt. Der neue MFR schreibt für die Jahre 2021-2027 vor, über welche Finanzmittel die EU verfügt und in welchen Bereichen diese zum Einsatz kommen. Die nun anstehenden Verhandlungen sind also wegweisend für die zukünftigen Investitionen und die Schwerpunktsetzung der EU. Ich habe bereits zweimal an den Verhandlungen zum MFR teilgenommen und weiß, wie schwierig eine Einigung bei der Vielfalt von Interessen ist. In den letzten Verhandlungen für den MFR 2014-2020 mussten wir Grünen leider gegen das Endergebnis stimmen, da Martin Schulz als damaliger Parlaments-Chefunterhändler in der entscheidenden Phase versagt hat und der langfristige EU-Haushalt erstmals in der Geschichte im Vergleich zum vorherigen Zeitraum verringert wurde. Die aktuellen Vorschläge weisen eine andere Tendenz auf, sind aber aufgrund der noch komplizierteren Ausgangslage im Rat mit großer Vorsicht zu genießen. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben durchweg zu verschiedensten Vorschlägen ihre Gegenwehr angekündigt.

 

Aufgrund von stetig wachsenden Aufgaben der EU darf das EU-Budget trotz des Brexits nicht verkleinert werden. Der aktuelle Vorschlag der Kommission sieht vor, die Beiträge der Mitgliedstaaten um 11% anzuheben und so für einen größeren Haushalt zu sorgen. Damit würde das EU-Budget für die genannten 7 Jahre auf 1279,4 Milliarden Euro ansteigen. Obwohl die Anhebung hinter den Erwartungen des Europäischen Parlaments zurückbleibt, welches eine Steigerung von 30% gefordert hatte, ist die Tendenz zu begrüßen. Ich verstehe, dass diese Summen gewaltig sind, sie sind aber immer in Relation zu sehen. Die Zahlen werden anschaulicher, wenn man sich vor Augen führt, dass jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger pro Tag weniger für die EU zahlt, als sie oder er für eine Tasse Kaffee ausgibt. Für alle Deutschen liegt der Beitrag sogar nur bei 0,84€ pro Person und Tag. An dieser Stelle wird für viele verständlich sein, dass da noch Luft nach oben ist. Besonders in Zeiten von wirtschaftlicher Erholung und hohen Steuereinnahmen wäre daher die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zu höheren EU-Beiträgen ein wichtiges Signal.

 

Neben einem höheren Budget hat die Kommission neue Eigenmittel zur direkten Finanzierung des EU-Haushaltes vorgeschlagen. Die Römischen Verträge sehen vor, dass sich die EU komplett aus Eigenmitteln finanziert, um unabhängig von der Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten agieren zu können. In den vergangenen Jahrzehnten ist der prozentuale Anteil im EU-Haushalt an direkten Zahlungen der Mitgliedstaaten leider stetig gewachsen und beträgt mittlerweile ca. 70%, wodurch die Verhandlungen zum MFR zunehmend von nationalen Interessen bestimmt werden. Die Vorschläge zur Plastik- und zu Umweltsteuern sind daher sehr fortschrittlich und absolut notwendig. Sie gehen mir aber als Schattenberichterstatterin für die neuen Eigenmittel nicht weit genug. So fehlen zusätzliche Umweltsteuern wie eine CO2- oder eine Kerosinsteuer ebenso in den Vorschlägen wie die Finanztransaktionssteuer und die Digitalsteuer. Einheitliche Steuersätze, die zu einem festgelegten Prozentsatz in den EU-Haushalt fließen, können einerseits die Handlungsfähigkeit der EU erhöhen und zugleich die Steuervermeidung von Monopolen verhindern. Eine Digitalsteuer würde dazu beitragen, dass Firmen wie Google und Facebook ihren fairen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Es wäre zudem ein Schritt in die Richtung einer Regulierung des digitalen Kapitalismus, der aktuell die faire Bezahlung von KünstlerInnen in Europa bedroht und die Rechte der BürgerInnen einschränkt. Es ist eine grundlegende finanzpolitische Regulierung auf EU-Ebene nötig und die Kommission und der Rat müssen entsprechende Maßnahmen ergreifen.

 

Aber auch die Ausgaben müssen reformiert werden. Themen von aktueller Bedeutung wie Migration und Grenzschutz müssen sich im Haushalt wiederfinden. Hierfür muss eine gewisse Flexibilität im Haushalt geschaffen werden, um auf unerwartete Ereignisse reagieren zu können. Die EU muss den BürgerInnen zeigen, dass sie in der Lage ist zu liefern. Es muss klar sein, dass sich der Trend zu einer globalisierten Welt fortsetzen wird. Das Prinzip des Nationalstaats ist veraltet und hat die bekannten Konflikte bis hin zu zwei verheerenden Weltkriegen nach sich gezogen. Das Ziel muss es also sein, Globalisierung zu gestalten, anstatt sie abzuschaffen. Das beinhaltet einerseits, Vorhaben auf EU-Ebene zu realisieren, wenn sie dort am effektivsten zu erreichen sind. Sehr erfreulich ist daher die Betonung des europäischen Mehrwerts bei der Förderung von Projekten. Investitionen, die auf nationaler Ebene ein Vielfaches kosten würden, sollten daher auf EU-Ebene getätigt werden, sodass alle Mitgliedstaaten profitieren. Andererseits sind Investitionen in die Zukunft unabdingbar. In dieser Hinsicht wäre die vorgeschlagene Verdopplung der Mittel des Erasmus+ Programms sehr zu begrüßen. Es gilt, die Jugend wettbewerbsfähig zu machen, was das Sprechen von mehreren Sprachen und eine interkulturelle Kompetenz beinhaltet.

 

In anderen Bereichen bleibt der Vorschlag der Kommission weit hinter den Erwartungen zurück, für einen fortschrittlichen Haushalt zu sorgen. Die Koppelung der Ausgaben von nur 25% an Klimaziele ist für uns Grüne sehr enttäuschend. Wir hatten eine Kopplung an Klimaziele von mindestens 50% gefordert. Das Fortschreiten des Klimawandels und das Zuspitzen von Klimaphänomenen sollten allen eine Warnung sein. Schon heute bedeuten die Auswirkungen des Klimawandels eine der größten Fluchtursachen der Welt, Tendenz steigend. Im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu handeln, sollte daher eine Selbstverständlichkeit sein, der der aktuelle Haushaltsentwurf nicht gerecht wird. Aber auch die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung sind in den Kommissionsvorschlägen unterrepräsentiert. Soziale Integration und globale Ungleichheiten finden sich nicht entsprechend in dem Entwurf wieder, sodass die EU nicht den nötigen Beitrag zur Lösung drängender globaler Probleme wird leisten können.

 

Die EU und die Mitgliedstaaten stehen am Scheideweg. In den letzten Jahren gab es beängstigende Tendenzen: Die USA entfällt als verlässlicher Partner auf der Weltbühne, in China hat sich Xi Jinping eine unglaubliche Machtfülle gesichert und in Russland und in der Türkei regieren Autokraten losgelöst von jeglicher Kontrolle. Für die Mitgliedstaaten kann in einer solchen Situation nur mehr Europa die Lösung sein, nicht weniger. Sie können in den anstehenden Verhandlungen zum MFR zeigen, dass sie sich zu Europa bekennen und ihre Eigeninteressen hintenanstellen, wenn es um das Gemeinwohl der EU geht. Nur Reformen auf Einnahmen- und Ausgabenseite des EU-Haushaltes können zu einem Zukunftshaushalt führen, mit dem die EU auch in Zukunft als handlungsfähiger Akteur weltweit anerkannt wird. Nicht mehr und nicht weniger steht auf dem Spiel.

Ein Artikel von Helga Trüpel

Helga Trüpel

Helga Trüpel ist seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion der Grünen/EFA an. Sie ist unter anderem Stellvertretendes Mitglied des Haushaltsauschusses.

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