Wie lange hält der Waffenstillstand?
Ein Kommentar von Martina Michels, Mitglied der Euronest-Delegation* des EU-Parlaments, zum Waffenstillstand in Bergkarabach
Am Dienstagnacht um 1:00 Uhr war endlich Schluss. Nach mehr als sechs Wochen bewaffnetem Kampf endete der Krieg um Bergkarabach per Diktat aus Russland und Aserbaidschan. Offenbar kamen mehr als 1300 Menschen gewaltsam ums Leben. Leider gehen Kenner*innen des bis zum 1. Weltkrieg zurückreichenden Konflikts in der Region davon aus, dass dieses Ende nur vorläufig sein könnte. Denn ein echter Friedensplan liegt nicht vor. Seit den 90er Jahren konnten internationale Vermittler wie die Minsk-Gruppe der OSZE keine politische Lösung finden, die diesen Krieg hätte verhindern können. Auch die EU zieht sich seit Jahren in ihre Komfortzone zurück. Sie verfolgt in ihren Partnerschaftsabkommen nur energie- und wirtschaftspolitische Interessen. Indirekt rüstete die EU somit Aserbaidschan auf, denn das Geld für die Gaslieferungen steckte der dortige Herrscher-Clan auch in die jetzt kampfentscheidenden Drohnen. Eine vermittelnde Rolle, um den Konflikt zu lösen, nahm die EU jetzt genauso wenig ein wie OSZE oder die Vereinten Nationen. Blamiert und ohnmächtig waren sie nur noch Zaungäste. Doch ohne schnelle, internationale Vermittlung könnte die junge armenische Demokratie zum nächsten Opfer des weiter schwelenden Konflikts werden.
Dass das Töten nun ein Ende hat, ist für uns alle und besonders die Menschen vor Ort eine sehr gute Nachricht. Doch wie lange wird der Waffenstillstand halten? Dieser Konflikt hat bei beiden direkt beteiligten Parteien, Aserbaidschan und Armenien, Hass und Nationalismus wieder aufflammen lassen. In Aserbaidschans Hauptstadt Baku feierten Tausende auf der Straße. Der aserbaidschanische Alleinherrscher Alijew feierte das Abkommen selbstzufrieden als Kapitulation des Feindes. Denn das von der Türkei mit modernstem Gerät hochgerüstete Aserbaidschan eroberte nicht nur weite Teile von Bergkarabach. Diese Gebiete und eine über armenisches Gebiet verlaufende Verbindung in die Exklave Nachitschewan werden laut Friedensabkommen nun Aserbaidschan zugeschlagen. 2000 russische Soldaten sind schon auf dem Weg, dieses Abkommen vor Ort zu sichern. Doch ohne langfristigen Plan dürfte dieser Frieden nur schwer zu erhalten sein.
Denn in Armenien hingegen wird der Waffenstillstand von vielen als Demütigung und Peinigung durch Erzfeinde erlebt. Sie wurden nicht nur von Aserbaidschan geschlagen, sondern auch die Türkei hat mit Piloten und von ihr geschickten islamistischen Milizen in den Krieg eingegriffen. Von den 150 Tausend Armenier*innen in Bergkarabach mussten 100 Tausend fliehen. Die meisten Armenier*innen wurden von dem Abkommen völlig überrascht und fühlen sich nun verraten. Nachdem der armenische Premierminister Nikol Paschinjan das von Russland und Aserbaidschan angestrebte Abkommen unterzeichnete, wurden sein Amtssitz und das Parlament in Jerewan von einer aufgebrachten Menge gestürmt und verwüstet. Präsident Sersch Sarkisjan beschwerte sich empört, dass er die Inhalte des Abkommens erst über die Medien erfahren musste. Genauso erging es den meisten Abgeordneten, einige fordern bereits den Rücktritt des Premiers. Dieser hatte das Abkommen offenbar ohne jegliche Rücksprache unterschrieben. Damit droht eine innenpolitische Krise und es bleibt offen, wer in weiteren Verhandlungen Armenien vertreten wird.
Ein anhaltender Frieden im Südkaukasus wird nicht zu bekommen sein, wenn er durch die wirtschaftlich stärkere und militärisch überlegene Seite aufgezwungen wird. Problematisch ist in jedem Fall, wenn sich Lösungen politisch und ideologisch an ethnisch homogenen Gebieten orientieren. Denn diese Homogenität gab es geschichtlich so nie. An dieser Stelle spielen weder Aserbaidschan noch seine Unterstützer aus Ankara eine befriedende Rolle. Einmal, weil sie in ihren demokratiefeindlichen Gesellschaftsstrukturen ohnehin oppositionelle Positionen bekämpfen. Und andererseits setzen sie nicht auf Versöhnung, sondern auf den Sieg über einen erklärten Feind.
Um eine robusten und fairen Friedensplan zu erarbeiten, müssen internationale Vermittler*innen ihre Anstrengungen verstärken. Nach dem Georgienkrieg 2008 hat das internationale Brückenbauen beinahe gänzlich versagt, so dass es weder ein Eingreifen der UN in Abchasien, noch der OSZE in der südossetischen Region gab. 2015 wurde das OSZE-Büros in Baku und 2017 das in Jerewan geschlossen. Jetzt zeigt sich, wie fatal es war, die Region zu vernachlässigen. Gerade die EU-Nachbarschaftspolitik muss ihren Dialog mit den Parlamenten und der Zivilgesellschaft vor Ort wieder intensivieren, auch damit Armeniens Demokratisierungsprozess nicht erneut unter die Räder kommt. Die EU muss jetzt die demokratischen und Frieden fordernden Kräfte auf allen Seiten stärken, die Nationalismus ablehnen. Denn diese wissen, dass der Feind nicht die Armenierin oder die Aserbeidschaner ist, sondern die Mächtigen, die die Konflikte für ihre Machtspiele ausnutzen.
*Euronest-Delegation für die Beziehungen zu den Ländern der Östlichen Partnerschaft: Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau, Ukraine und Weißrussland
(in Zusammenarbeit mit Uwe Schwarz; seine Studie über die Beziehungen der EU zu den Staaten des Südkaukasus finden sie über diesen Link:
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