Wie feministisch ist die Militarisierung?

Annalena Baerbock hat eine feministische Außenpolitik postuliert. Wie realistisch ist ein solcher Ansatz , wenn es um ökonomische Interessen und politische  Einflusssphären geht? Eine Analyse von Cornelia Hildebrandt

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„Es ist jetzt an der Zeit, Widerstand zu leisten“ (Dorothee Sölle, 1982)

Dieser Satz der kritischen Feministin und linken Theologin Dorothee Sölles prallt 40 Jahre später auf eine Realität, die das Potential eines dritten Weltkrieges,  einer nuklearen Zuspitzung infolge des Ukraine-Kriegs hat.

Um es unmissverständlich zu sagen: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist völkerrechtswidrig, brandgefährlich und muss beendet werden. Dieser Krieg ist Ausdruck innerimperialistischer Widersprüche und stellt eine historische Zäsur dar in Bezug auf Russland und in Bezug auf die sich verändernden  globalen Kräfteverhältnisse im Kampf um Einflusssphären und Ressourcen unter den Bedingungen einsetzender Klimakrisen. Dieser Krieg verweist auf globale Umbrüche des fossilen zum postfossilen Kapitalismus, verbunden mit einer  Neuausrichtung der Globalisierung, bei der sich neu formierende konkurrierende Machtblöcke global gegenüberstehen und bedrohen.

Diese Bedrohungen werden in Europa längst materiell und politisch strategisch untersetzt

  • Dazu gehört die Erhöhung der Militärausgaben aller Nato-Mitgliedsstaaten auf 2 Prozent

Erstmals lagen  weltweit 2021 – also bereits vor dem Krieg in der Ukraine – die Militärausgaben über 2 Billionen US-Dollar.

Auch die deutschen Militärausgaben stiegen von 46 Milliarden US-Dollar 2018,  53 Milliarden Dollar 2020 auf 56 Milliarden US-Dollar 2021.  Hinzu kommt der Sonderfonds zur Aufrüstung der Bundeswehr über 100 Milliarden Euro.

  • Der Rüstungsexportbericht der GKKE 2021 stellt fest, dass zwei Drittel der Rüstungsexporte der EU an Staaten außerhalb der EU gehen: auf Platz 1 stehen die Vereinigten Emirate und auf Platz 2 Saudi Arabien. Deutsche Panzer gehen nach Saudi Arabien und in die Ukraine – welche Werte-Kriterien liegen diesen Exporten eigentlich zugrunde?
  • Der „Strategische Kompass“ der Europäischen Union enthält den Aufbau militärischer Macht über europäische Aufrüstungsprogramme (Kampfflugzeuge, Panzer) zur Verteidigung eigener geopolitischen Interessen wie der Sicherung des Zugangs zu von kritischen Rohstoffen.
  • Zugleich sehen wir – zusätzlich befördert – durch Sanktionen und deren Folgen – eine neue globale Qualität von Auch diese verstärken sich und treiben zum Krieg.

Angesichts dieser Entwicklungen kann das einstimmige Bekenntnis der ÖRK-Gründungsversammlung: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ nicht oft genug wiederholt werden.

Was kann real vor diesem Hintergrund kapitalistischer Strukturen, ökonomischer und politischer Interessen, die zum Krieg drängen, getan werden?  Kann ein feministischer Ansatz der Außenpolitik tatsächlich Wirkung entfalten, wenn es um ökonomische Interessen und politische Einflusssphären geht?

Worin bestehen die Möglichkeiten feministischer Außenpolitik?

Bisher – und so ehrlich muss man sein – konnten Frauen-, Umwelt- und Friedensbewegungen nicht die Spirale der Hochrüstung stoppen. Friday for Future, Black lives Matter und feministische Bewegungen stehen zusammen auf der Straße.  Die Kooperationen zwischen diesen Bewegungen und Gewerkschaften gibt es, aber gemeinsame Massenproteste wie 2003/2004 gegen die Hartz-IV-Gesetze sind selten geworden.

Friedensbewegung in der Defensive

Und die Friedensbewegung in Zeiten des Krieges? Die Friedensbewegten bleiben nahezu isoliert, wenn es gegen Waffenlieferungen, Nato und atomare Aufrüstung geht. Die Friedensmärsche 2022 waren stärker als in den Jahren zuvor. Aber sie waren marginal angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen. Anders als 1982 ist die weltweite Friedensbewegung ist in der Defensive und agiert unter schwierigen Bedingungen.

Worin bestehen diese – was sind die Schwierigkeiten? Hier ein paar Gedanken

  1. Die Großdemonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine waren Demonstrationen zur Unterstützung der Ukraine auch mit Waffen. Das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine mit Waffen findet mehrheitliche Zustimmung.
  2. Es heißt, der Pazifismus ist nicht mehr zeitgemäß. Er war nie zeitgemäß von Seiten der Herrschenden und erst recht nicht der Rüstungsindustrie.
  3. Es geht aber nicht nur um die Delegitimierung des Pazifismus. Wandel durch Handel gilt nicht mehr – die Ostpolitik war ein Fehler und habe die heutige Situation mit zu verantworten – zugleich aber geht es auch um die Umdeutung von internationaler Kooperation (über Bündnisgrenzen hinweg) als Abhängigkeitsverhältnis und Sicherheitsproblem,
  1. Die bisherige Neutralität von Staaten und mehr noch die Rolle von Blockfreien Staaten wird nun endgültig in Frage gestellt.
  2. Die Nato wird – trotz einer Mitverantwortung an den heutigen Konfliktlagen – als Schutzmacht verstanden und die Forderung zu ihrer Abschaffung klingt angesichts der Aggression Russlands absurd  selbst unter Linken.
  3. Die Friedensbewegungen sind gespalten hinsichtlich der Frage der Nato-Frage, der Sanktionen, der Waffenlieferungen, dem Recht auf Selbstverteidigung.

All das schwächt die Friedensbewegung – auch in Deutschland.

Schon 2013 forderte der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, das Ende der Politik der militärischen Zurückhaltung. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP wird die globale Verantwortung und Führungsrolle Deutschlands begründet mit seiner Stärke als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Und die deutsche Außenministerin übersetzt globale Verantwortung mit militärischer Verantwortung. Deutschland müsse liefern – auch schwere Waffen in die Ukraine, und auch dann – so Baerbock – wenn sich damit das Risiko nuklearer Eskalation erhöht.

Ich möchte an dieser Stelle an die Worte Dorothee Sölles von 1982 erinnern: Aufrüstung ist ein Zustand zwischen Frieden und Krieg mit einer eindeutigen Tendenz. Krieg wird so lange vorbereitet bis er als das Normale erscheint. …. Täglich etwas mehr Gift in die Köpfe und Herzen der Menschen, etwas mehr Gewöhnung an den Tod. Thinkin the unthinkable muss gelernt sein – soweit Dorothee Sölle.

Baerbock als Vertreterin einer feministischen Außenpolitik?

Die deutsche Außenministerin als Verfechterin einer feministischen Außenpolitik dagegen beklagt sich über das  kriegsmüde deutsche Volk.  Wie ist das aus feministischer Perspektive zu verstehen?

Und was ist feministisch an der Forderung zur Aufrüstung?

Wie sollen unter den Bedingungen von Krieg, Aufrüstung und Militarisierung der Politik – der Gewöhnung an Krieg, gesellschaftliche Gewalt- und Unterdrückungsstrukturen aufgebrochen werden, wie ein zentraler Ansatz feministischer Außenpolitik fordert?

Die Politik der Abschreckung – inklusive der nuklearen Abschreckung – schreibt strukturelle Gewalt fest und bricht diese eben nicht auf. Die Militarisierung verstärkt die eigenen patriarchalen Strukturen und toxische Männlichkeit!

Um es an dieser Stelle ganz klar zu formulieren – feministische Außenpolitik und Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft schließen einander aus.

Und: Woran erkennt man den feministischen Ansatz, wenn der Sieg der Ukraine im Krieg gegen Russland als politisches Ziel bestimmt wird unter Inkaufnahme, dass dieser Sieg dauern wird, also das Morden und die Zerstörung auf beiden Seiten für unbestimmte Zeit  fortgesetzt wird? Was ist gemeint, wenn in den strategischen Leitlinien formuliert wird „Russland muss strategisch scheitern“?

Nein, diese Außenpolitik ist nicht feministisch – Es müsste doch heißen: die Waffen nieder!

Globale Ungleichheitsverhältnisse aufbrechen

Feministische Außenpolitik müsste darauf ausgerichtet sein, die globale Ungleichheitsverhältnisse aufzubrechen und die Verantwortung deutscher und transnationaler Unternehmen mit Sitz in Deutschland oder in Europa zu benennen.

Feministische Außenpolitik hieße, einem erweiterten Sicherheitsbegriff für alle nachzugehen unter Einschluss der sozialen und ökologischen Frage. Feministische Außenpolitik müsste sich den Ursachen der Klimakrisen zuwenden, den Ursachen des Hungers, der nun zur Waffe wird.

Die soziale Spaltung Europas gehört zur Kriegsführung Putins, heißt es, und dies müsse verhindert werden. Selbst wenn Putin diese nutzt – die soziale Spaltung ist elementarer Bestandteil des Kapitalismus, die durch den Rückbau sozialstaatlicher Sicherungen in Europa mit der sich durchsetzenden neoliberalen Globalisierung weiter verschärft wurde. Hinzu kommt die maßlose soziale Umverteilung in Zeiten von Corona-Pandemie, Krieg und Inflation.

Es ist deshalb dringend erforderlich nach dem Klassencharakter des Krieges und der Krisen zu fragen: Wer sind jene, die tatsächlich frieren werden als solidarischer Beitrag zur Unterstützung der Ukraine? Wer kann sich die Akzeptanz von Einkommensverlusten als persönlicher Beitrag zur Bewältigung von Krieg und Krise leisten? Wer gewinnt durch diesen Krieg, wem nutzt dieser? Und wer muss unter den Bedingungen des Krieges leiden?

„Aufrüstung tötet, sie ist der Frieden, den diese Welt produziert. Wir brauchen einen anderen Frieden, weil wir immer noch eine andere Welt brauchen.“  Und atomare Aufrüstung ist der Diebstahl an den Armen, den wir denken können.“ Hungrige brauchen Brot statt Atombomben – schrieb Dorothee Sölle 1982.

Eine Außenpolitik, die sich auf solche Sätze stützen würde, wäre für mich feministisch – weil sie die Gesellschaft von den unterdrückten Rändern denkt.

Das aber hieße globale Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Klimakrisen neu zu denken und über Wege einer sozial-ökologischen Transformation über den Kapitalismus hinaus.

Das hieße auch darüber nachzudenken, dass auch heutige fossile Wirtschaften eine Entwicklungsperspektive brauchen – auch Russland

Die Vollversammlung des ÖRK in Busan hatte 2013 die „Erklärung über den Weg eines gerechten Friedens“ verabschiedet für  eine gerechte Gesellschaft, in der alle frei von Angst leben können.

Was hieße das heute?

In Busan wurde die Notwendigkeit einer Kultur des Friedens diskutiert  und die Frage wie Menschen zu Friedensstiftern ermächtigt werden  für gewaltlose Bewegungen, für Gerechtigkeit und Achtung der Menschenrechte  einschließlich des Rechts – auf Kriegsdienstverweigerung. Hier müsste feministische Außenpolitik anknüpfen.

2013 wurde das erste globale erfolgreiche Waffenhandelsabkommen begrüßt und man wollte diesen Erfolg  ausweiten auf atomare Waffen.  Und hier bezog man sich auf die ÖRK-Beschlüsse von Vancouver 1984 – die heute noch immer aktuell sind. Darin heißt es, dass die Herstellung, Stationierung und den Einsatz von Kernwaffen als ein „Verbrechen gegen die Menschheit“ verurteilt wird und  „die Frage der Atomwaffen […] aufgrund ihrer Tragweite und der drohenden Gefahren, die sie für die Menschheit mit sich bringt,  zu einer Frage des christlichen Gehorsams und christlicher Treue“ erklärt werden musshhg.

Knapp 40 Jahre nach Vancouver sind die Rüstungskontrollabkommen zerbrochen. Der INF-Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenraketen wurde am 1. Februar 2019 von den USA aufgekündigt, trotz der weltweit über 14.400 existierenden atomare Sprengköpfe. 65 Länder der Erde haben den Atomwaffenverbotsvertrag unterschrieben, aber kein Land, in dem Atomwaffen stationiert oder hergestellt werden.

Erst in letzter Minute einigten sich  im Februar 2021  USA und Russland auf die Verlängerung der Gültigkeit des New-Start-Ver­trags über die Verminderung strategischer Waffen. Niemand weiß, welche Verbindlichkeit diese Verträge haben.

Es ist Zeit, Widerstand zu leisten

Ja, es ist an der Zeit, Widerstand zu leisten! Es ist an der Zeit breitestmögliche Allianzen gegen Krieg, Aufrüstung und atomare Bedrohung zu formieren.

Es ist an der Zeit des Widerstands, der notwendigen Umkehr:

  1. Alles zu tun, um das Morden und die Zerstörung zu beenden, in der Ukraine, aber auch in den anderen Regionen der Welt.
  2. Die Stärkung der UNO und des Völkerrechts als internationales verbindliches Recht.
  3. Neue Schritte der Abrüstung und Absicherung, Stabilisierung und Stärkung gültiger Verträge.

Die Friedensbewegung ist in vielen Fragen gespalten. Aber vielleicht ist es möglich, gegen eine weltweite atomare Aufrüstung zu mobilisieren, dafür dass die Staaten der Nato explizit auf den Ersteinsatz von Atomwaffen verzichten und dies in Recht und Gesetz oder in den Verfassungen verankern. Wir müssen das Narrativ, dass nur ein Gleichgewicht nuklearer Abschreckung, Frieden sichert, infrage stellen.

Die Bildung breitester Allianzen gegen die Zerstörung der Zivilisation, gegen die Barbarisierung der Politik und zur Ermächtigung der Friedensstifter und die Entwicklung eines  Humanismus der Praxis braucht auch feministisches Engagement.

Denn langfristig geht es darum, Globalisierung neu zu denken – gerade weil die Gesamtheit der globalen Probleme nach rascher und komplexer Kooperation schreit. Wir brauchen einen neuen Internationalismus.

Der Text basiert auf einem Vortrag, den die Autorin bei der „Casa Común“, einem Zusammenschluss linker kritischer Christen, Anfang September im Rahmen der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe hielt.
 

 

Ein Artikel von Cornelia Hildebrandt

Cornelia Hildebrandt

Cornelia Hildebrandt, Diplom-Philosophin, wiss. Referentin für Parteien und soziale Bewegungen sowie für Fragen zum weltanschaulichen Dialog am Institut für Gesellschaftsanalyse der RLS. Sie wurde im September 2020 zusammen mit Marga Ferré, Europe of Citizens Foundation (FEC, Spanien), zur Co-Präsidentin von transform! europe gewählt. transform! europe ist die unabhängige Stiftung der Europäischen Linkspartei (EL).

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