Weckruf Richtung Brüssel

Die ersten 100.000 Unterzeichnungen für die Europäische Bürgerinitiative Grundeinkommen in der EU sind erreicht. Und die Effekte sind vielfältig

© Europäische Kommission

Aktivist*innen, Organisationen und Netzwerke in allen EU-Ländern wollen erreichen, dass sich die Europäische Kommission und das Europäische Parlament ausführlich mit der Einführung von Grundeinkommen in allen EU-Ländern befassen. Genau das muss passieren, wenn die Europäische Bürgerinitiative (EBI) zu Bedingungslosen Grundeinkommen erfolgreich ist. Dazu braucht es EU-weit eine Million Unterzeichnungen von den Bürgerinnen und Bürgern, außerdem müssen mindestens sieben EU-Länder eine Mindestanzahl von Unterzeichnungen vorweisen. Die unmittelbare Folge einer erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative sind Anhörungen der Organisator*innen der EBI bei der Europäischen Kommission und im Europäischen Parlament und Stellungnahmen beider zum Gegenstand der Bürgerinitiative. Im günstigen Falle schlägt die EU-Kommission einen Rechtsakt zur Umsetzung des Anliegens der Bürger*innen vor. Es geht also um viel.

Die erste gute Nachricht: Die ersten 100 000 Unterzeichnungen für die EBI sind erreicht. Die zweite gute Nachricht: Das erste Land hat die Mindestzahl von Unterzeichnungen bereits erreicht – Slowenien. Social-Media-gestützt haben dort Aktivist*innen das Mindestquorum in wenigen Wochen erfüllt. Hintergrund ist auch, dass die Debatte über ein Menschenrecht Grundeinkommen in Slowenien schon länger geführt wird. Da liegt es auch nahe, allen in der EU lebenden Menschen ein Grundeinkommen zuzuerkennen, so wie es die Bürgerinitiative fordert.

Bei rund 50 Prozent des Mindestquorums liegen Griechenland und Lettland, gefolgt von Estland. Dort gab es eine starke Resonanz auf die EBI in den öffentlichen Medien. Viele Bürger*innen wurden dadurch auf das Anliegen aufmerksam. In Frankreich haben Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, Bürgermeister*innen, Wachstumskritiker*innen und deren Organisationen in der linksliberalen Tageszeitung Libération einen Aufruf zur EBI Grundeinkommen gestartet und dafür gute Begründungen geliefert. Das gab der sozialen Bewegung fürs Grundeinkommen einen kräftigen Schub, auch wenn sie in Frankreich coronabedingt derzeit Schwierigkeiten hat, die Menschen zu erreichen.

Das ist übrigens auch ein Grund, warum die Frist zur Sammlung von Unterzeichnungen für die EBI bis zum 25. Dezember 2021 verlängert wurde. Denn es geht ja bei einer Bürgerinitiative nicht nur darum, viele Unterschriften zu sammeln, sondern öffentliche Diskussionen zum Grundeinkommen zu führen, mit den Bürger*innen ins Gespräch zu kommen. Das ist in Coronazeiten schwierig bis unmöglich. Auch in Deutschland, so dass es trotz eines breiten Unterstützerkreises von Netzwerken, Verbänden, Parteien und Parteizusammenschlüssen sowie Gewerkschafter*innen noch nicht im ausreichenden Maße gelungen ist, die große Öffentlichkeit mit der EBI zu erreichen. Geplant ist daher ein Kampagnenhöhepunkt zum Europatag am 9. Mai. Passend auch deswegen, weil ein glühender Verfechter einer demokratischen Europäischen Union, der italienische Antifaschist Altiero Spinelli, bereits in seinem Manifest von Ventotene von 1941 forderte, dass jedem bedingungslos ein angemessener Lebensstandard zu ermöglichen sei.

Den Berichten der auf EU-Ebene gut vernetzten EBI-Aktivist*innen zufolge, ist die größte Zustimmung zur Bürgerinitiative in linksliberalen, grünen und demokratisch-sozialistischen politischen Kreisen zu finden, ebenso in der links-progressiven Wissenschaftsszene. Es sind aber auch politisch generell am Projekt „Soziales Europa“ Interessierte, die die EBI unterstützen: Denn die Bürgerinitiative sieht das Grundeinkommen als ein Instrument, regionale Ungleichheiten und Armut in der EU zu beseitigen. Es geht darum, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der Europäischen Union zu stärken sowie nationalistische Bestrebungen zurückzudrängen.

Einen weiteren guten Effekt hat die Europäische Bürgerinitiative Grundeinkommen: Verschiedene soziale Bewegungen kommen auf der EU-Ebene ins Gespräch miteinander: wachstumskritische, ökologische, mehr Demokratie einfordernde und an sozialpolitischen Themen orientierte. Bei Letzteren verfestigt sich immer mehr die Überzeugung, das universelle Sozialsysteme die längst überholten, weil unzureichenden, stigmatisierenden und repressiven, Sozialsysteme ablösen müssen. Übersetzt für Verständnis in Deutschland: Grundeinkommen, Bürgerversicherung und gebührenfreie Zugänge zu sozialen Infrastrukturen und Dienstleistungen, finanziert durch eine massive Rückverteilung von oben nach unten, sind die Zukunft. Bedürftigkeitsgeprüfte und lohnarbeitsabhängige, also selektive Sozialsysteme versagen angesichts der Veränderungen in der Lohnarbeitswelt, erst recht in Krisen, wie wir sie jetzt erleben. In der Regel sind die prekären und unteren Einkommensschichten die Verlierer – das kann und muss sich ändern, europaweit, schnellstmöglich. Die Europäische Bürgerinitiative ist ein wichtiger Bestandteil einer EU-weiten Bewegung für die Umsetzung sozialer Menschenrechte. Ein Erfolg der EBI würde Brüssel und die Regierungen in den EU-Ländern aufwecken.

Die EBI Grundeinkommen kann auf der EU-Seite direkt unterzeichnet werden.

Informationen, Material, der Stand der Unterzeichnungen aber auch die Unterzeichnungsmöglichkeit gibt es auf http://www.ebi-grundeinkommen.de

Ein Artikel von Ronald Blaschke

Ronald Blaschke

Ronald Blaschke ist Netzwerkrat beim Netzwerk Grundeinkommen und Mitgründer des europäischen Netzwerks Unconditional Basic Income Europe (UBIE). Er hat zwei Europäische Bürgerinitiativen zum Grundeinkommen mitorganisiert.

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