Verschenkte Jahre für den Tierschutz

Die EU hätte die EU die Macht, die Agrarindustrie zu mehr Tierwohl zu verpflichten, meint die Grünen-Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg. Aber „Brüssel“ steht auf der Bremse

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Als Neunjährige, mit meiner Mutter unterwegs auf einer französischen Autobahn, habe ich das erste Mal einen Tiertransporter gesehen. Ein Laster voller Kälber, eins davon so schwach, dass es fast von den anderen zertrampelt wurde. Danach löcherte ich meine Mutter, wie das sein kann, solch ein grausamer Umgang mit Tieren? Warum unternimmt die Menschheit nichts dagegen? Kurz danach hörte ich zum Leidwesen meiner Oma auf, ihr geschmortes Kalbgericht zu essen. Das Thema Tierleid hat mich seither nicht losgelassen.

Heute bin ich Europaabgeordnete für die Grünen und gebe den Tieren eine Stimme in der EU. Ich werde nicht müde zu erzählen, dass wir allein in Deutschland in diesem Moment 700 Millionen Tiere für unsere Ernährung halten. Mehr als zwei Millionen von ihnen schlachten wir täglich. Die Tierhaltung in der EU ist heute eine Industrie, die wirtschaftliche Profite über das Tierwohl und auch das Gemeinwohl stellt. Dafür werden Tiere in der EU in Käfigen gehalten, männliche Küken geschreddert und kleine Kälber bis nach Usbekistan transportiert. Die Agrarindustrie ist eben nicht nur Opfer, sondern auch Täter in vielerlei Hinsicht. Das muss sich ändern!

Die ersten europäischen Tierschutzgesetze wurden 1974 verabschiedet, doch die aktuellen Gesetze sind veraltet und müssen dringend überarbeitet werden – auch jenes über die Kälbchen im LKW. Ich war Mitglied des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu EU-Tiertransporten, der zahlreiche Missstände aufgedeckt hat. Wir haben Lücken in den Gesetzen identifiziert und Verbesserungsvorschläge erarbeitet.

Im Dezember 2023 war nach langem Warten endlich Fortschritt in Sicht: Die EU-Kommission legte einen neuen Gesetzesvorschlag für EU-Tiertransporte vor. Als Berichterstatterin kann ich dieses Gesetz mitverhandeln. Es gibt dabei viel zu tun: Ich setze mich für deutlich kürzere Transporte ein und dafür, dass bevorzugt Fleisch statt lebender Tiere transportiert wird. Ich möchte, dass die Temperaturen beim Transport regelmäßig überprüft werden und diese Standards auch für den Handel mit Nicht-EU-Ländern gelten.

Allerdings sind wir zu einer Pause gezwungen: Kurz vor der anstehenden Europawahl am 9. Juni versuchen die Konservativen – angehalten von den Protesten der Landwirtschaft – jegliche Fortschritte zu stoppen.

Das betrifft nicht nur das neue Gesetz zu Tiertransporten. Weitere wesentliche Gesetzesvorschläge zur Verbesserung des Tierschutzes wurden von der Kommission gar nicht erst vorgelegt. Darunter Gesetze zur Tierhaltungskennzeichnung, Schlachtungsmethoden und für mehr Platz bei der Haltung.

Dabei gibt es immer mehr Menschen wie mich, die das Tierleid nicht länger ertragen. Neun von zehn EU-Bürger*innen wünschen sich bessere Bedingungen für Tiere in der Landwirtschaft. 1,5 Millionen Menschen unterstützen die EU-Bürgerinitiative “End the Cage Age”. Auf ihren Druck hin versprach die EU-Kommission die Käfighaltung bis 2027 zu beenden. Da bisher nichts passierte, hat die Bürgerinitiative nun Klage gegen die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Untätigkeit eingelegt. Ihre Forderung: Tierschutz muss ein europäisches Gemeinschaftsziel sein und die Kommission muss die versprochenen Gesetze vorlegen!

Die EU ist der beste Hebel, um Gemeinwohl und Umweltstandards bei Landwirtschaft in den Mittelpunkt zu rücken.  Die Union ko-finanziert unsere Ernährung durch enorme Subventionen für die Landwirt*innen, sodass die Preise verhältnismäßig stabil bleiben. Sie stellt dafür rund ein Drittel ihres Budgets zur Verfügung und kann wiederum die Verteilungskriterien festlegen. Entsprechend groß ist ihre Macht, die Agrarindustrie zu mehr Tierwohl zu verpflichten. Sie könnte etwa ein Ende der Käfighaltung und bessere Umweltstandards festlegen oder Subventionen für Massentierhaltung abbauen. Es gibt so viele Lösungsansätze, um das Tierleid zu beenden und die auch von Wissenschaftlern dringend empfohlen werden.

Anstatt die Tierschutz- und Umweltauflagen auf die lange Bank zu schieben, sollten wir gemeinsam mit den Landwirt*innen auf eine wirkliche Agrarwende hinarbeiten.  Als Grüne Europaabgeordnete bleibe ich weiter dran, dass sich hier grundlegend etwas ändert!

Ein Artikel von Anna Deparnay-Grunenberg

Anna Deparnay-Grunenberg

Anna Deparnay-Grunenbergist seit 2019 deutsch-französische Europaabgeordnete für Bündnis’90/Die Grünen. Sie ist Mitglied des Verkehrs- und des Landwirtschaftsausschusses und setzt sich für ein deutsch-französisches Tandem in Europa ein, das eine Vorreiterrolle im ökologischen Wandel übernehmen soll.

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