„Politische Kritik wird einfach als Terrorpropaganda deklariert“

Patrick Breyer zur Löschung von „Terrorpropaganda“ im Internet und harte Law-and-Order-Politiker in den EU-Staaten

© Thorsten Hardel

Ein Interview mit Patrick Breyer — das Gespräch führte Uwe Sattler

Patrick Breyer

Patrick Breyer ist Europaabgeordneter der Piratenpartei (Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz). Der Jurist saß zuvor im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Zu seinen Kernthemen gehören Digital- und Netzpolitik.

Terrorpropaganda im Internet muss in der EU künftig binnen einer Stunde gelöscht werden, nachdem dies die zuständige Stelle eines EU-Staates angeordnet hat. Darauf haben sich EU-Kommission, Mitgliedstaaten und Europaparlament Ende vergangener Woche geeinigt. Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Patrick Breyer sieht in der Verordnung eine Gefährdung der Meinungsfreiheit.

Herr Breyer, was haben Sie gegen die Löschung terroristischer Inhalte im Internet?

Ich halte es für absolut richtig, dass Aufrufe zu Terroranschlägen, Anleitungen zum Bombenbau oder ähnliches gelöscht werden. Dieses Instrument darf aber nicht für politische Zwecke missbraucht werden, was mit Anti-Terror-Gesetzen leider immer wieder passiert. Zum Beispiel sind Anti-Terror-Gesetze angewendet worden, um gegen die Katalanische Unabhängigkeitsbewegung in Spanien oder die sozialen Proteste in Frankreich vorzugehen. Politische Kritik wird einfach als Terrorpropaganda deklariert, um sie unterbinden und im Netz unterdrücken zu können. Auch Kritik an Terrorismus wird gleich mit gelöscht. Gerade bei automatisierten Uploadfiltern ist solches Overblocking die Folge, weil sie den Zweck und den Kontext einer Veröffentlichung nicht verstehen können.

Die Verordnung sieht vor, dass sogenannte terroristische Inhalte innerhalb einer Stunde nach Anordnung von den jeweiligen Providern gelöscht werden müssen. Wer kann solche Anordnung eigentlich erlassen?

Es ist ja das Hochproblematische an dieser Verordnung, dass es erstens keinen Richtervorbehalt gibt. Das heißt, solche Anordnungen können von Polizisten kommen, aber auch direkt von einem Innenminister oder sogar einem Staatschef wie Herrn Orbán in Ungarn. Das zweite Problem ist, dass diese Löschanordnungen grenzüberschreitend möglich sind: Damit kann jede nationale Behörde in jedem EU-Land Veröffentlichungen löschen lassen, selbst wenn diese im Land der Veröffentlichung eigentlich als legal angesehen werden. Die Auslegungen von Terrorpropaganda ist sehr unterschiedlich von einem Land zum anderen, auch wenn es da eine gemeinsame, allerdings sehr vage und weitreichende Definition in der Verordnung gibt.

Sie verweisen auf den Richtervorbehalt. Sie sind selbst Jurist und wissen, dass die Justiz teils sehr langsam ist. Was bei der Verhinderung von Terror kontraproduktiv ist.

Also erstens können Gerichte auch schnell einstweilige Anordnungen erlassen. Zweitens könnten Löschanordnungen auch von anderen unabhängigen Justizbehörden auf den Weg gebracht werden als Gerichten. Und drittens, wenn es um das Thema Schnelligkeit geht, ist ja ein Verfahren bereits etabliert. Das funktioniert so, dass die Provider einfach informell darauf hingewiesen werden, ihr habt terroristische Inhalte auf eurem Server, bitte entfernt die umgehend. Gerade die großen Anbieter, wie Facebook, löschen schon auf bloßen informellen Hinweis hin sehr schnell. Und zwar in 99 Prozent der Fälle innerhalb einer Stunde, schon heute. Und wir haben auch gesehen, wenn es um Livestreams geht, also wenn beispielsweise terroristische Anschläge direkt übertragen werden, haben die Provider innerhalb von Minuten reagiert. Es braucht also eigentlich keine neue Verordnung.

Wie ist der Begriff Terrorpropaganda überhaupt definiert?

Zwei UN-Sonderberichterstatter und auch zivilgesellschaftliche Organisationen warnen uns, dass die Definition terroristischer Inhalte, die sie in der Verordnung enthalten ist, nicht mit internationalen Menschenrechtsstandards übereinstimmt und sehr weitreichend ist. Zum Beispiel, wenn ziemlich unkonkret von der „Unterstützung terroristischer Gruppierungen“ oder der „Glorifizierung terroristischer Anschläge“ die Rede ist. Solche auslegbaren Formulierungen wurden zum Beispiel genutzt, um gegen Satire vorzugehen, in Spanien gab es Fälle, wo auch künstlerische Darbietungen teilweise von der Justiz untersucht und strafrechtlich verfolgt worden sind.

Heißt das dann nicht, dass zuerst einmal eine handhabbare Definition für Terrorismuspropaganda geschaffen werden müsste, bevor über Löschanordnungen gesprochen wird?

Eine strikte und klare Definition wäre in der Tat sehr wichtig. Wichtig ist aber natürlich auch, wer denn diese Definition anwendet, denn es liegt in der Hand der Entscheider, was daraus gemacht wird. Wenn zum Beispiel, wie in Deutschland wahrscheinlich, das Bundeskriminalamt entscheidet, dann sind das Beamte, die nicht auf Menschenrechte und Meinungsfreiheit spezialisiert sind. Das heißt, wenn es um eine Abwägung geht, das Grundrecht auf Pressefreiheit, auf Meinungsfreiheit, auf Kunstfreiheit zu achten oder nach ihrer Meinung effizient gegen Terror vorzugehen, dann werden sich Polizeibeamte vermutlich immer für Letzteres entscheiden. Also möglichst alles zu löschen, was irgendwie zu Terrorismus beitragen könnte. Wir erinnern uns, als der deutsche Bundesinnenminister Indymedia verboten hatte, also eine Plattform, wo zwar einige illegale Inhalte enthalten waren, aber natürlich auch viele legale. Minister, die solche Löschanordnungen erlassen können, haben natürlich ein scharfes Schwert in der Hand, mit der sie sich als harte Law-and-Order-Politiker profilieren können.

Gibt es belastbare Studien darüber, ob Terrorpropaganda zu mehr Gewalt führt?

Meines Erachtens ist es nicht so, dass durch das Löschen von Propaganda irgendein terroristischer Anschlag hätte verhindert werden können oder in Zukunft zu verhindern sein könnte. Solche Propaganda fängt ja erst mal ganz unterschwellig und im legalen Bereich an, wo einfach Kritikpunkte, tatsächlich oft auch berechtigte Kritik aufgegriffen wird. Zum Beispiel die Diskriminierung von Muslimen in westlichen Ländern oder auch Kriegsverbrechen von westlichen Armeen im Ausland, so wird die Unzufriedenheit geschürt und kanalisiert, oft auch von Menschen ohne Perspektive, zum Beispiel Arbeitslose oder Immigranten. Und danach geht es teilweise so weiter, dass die Personen direkt in den Dunstkreis oder auch in geschlossene Kommunikationskanäle solcher Gruppierungen gezogen werden. Auch das lässt sich mit der Anti-Terror-Verordnung nicht verhindern, denn sie gilt nur für öffentlich verfügbare Inhalte. Und nicht zuletzt: Die Verordnung greift auch nicht außerhalb Europas. Aber beispielsweise in den USA wird in Foren wie 4Chan oder 8Chan ganz offen Hass verbreitet, was dort unter Meinungsfreiheit fällt.

Ein Artikel von Uwe Sattler

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Der Journalist gehört zudem der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" an.

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