Parteitag in schwieriger Zeit

Der Parteitag der LINKEN zu Europa und den EU-Wahlen fiel in eine Zeit schwerwiegender Umbrüche – nicht nur in Europa, sondern weltweit

Foto: Sattler

Die linken und progressiven Kräfte stehen vor der Herausforderung, wie sie aus der gegenwärtigen Defensive herausfinden und zu einer wirksamen politischen Alternative werden.

Der Parteitag der LINKEN zu Europa und den Wahlen zum Europäischen Parlament, durchgeführt am letzten Wochenende, fällt in eine Zeit schwerwiegender Umbrüche nicht nur in Europa, sondern weltweit. Die Münchner Sicherheitskonferenz, die ein Wochenende davor stattfand, zeigte sehr deutlich, wie hoch die Spannungen und die Risiken in der Welt sind. Weit davon entfernt, zu einer friedlichen Entwicklung beizutragen, droht nach der Kündigung des INF-Abkommens neues Wettrüsten einschließlich der Ausweitung des Arsenals an Atomwaffen. Die Äußerungen des US-Vizepräsidenten Pence zu Iran und die Aufforderung an die europäischen Staaten, den Vertrag mit Iran ebenso wie die USA zu kündigen, erhöht diese Gefahr in völlig unverantwortlicher Weise. Lösungen für die kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan, Syrien oder Jemen sind nicht in Sicht. So glich die Konferenz weniger einer Konferenz zur kollektiven Sicherheit, sondern eher einer „Kriegskonferenz“, wie dies Hans Modrow in seinem Bericht des Ältestenrats an den Parteitag ausdrückte. Auch in Lateinamerika nehmen die Spannungen zu, wovon eine mögliche Militärintervention der USA in Venezuela der sinnfälligste Ausdruck ist. Dem Parteitag lag im Übrigen ein Antrag des Parteivorstands vor, der jede Einmischung von außen klar verurteilte und zu einer friedlichen Lösung durch Dialog und Verhandlungen aufforderte. Dieser Antrag wurde allerdings – wie auch die anderen sich nicht auf Europa und das Programm beziehenden Anträge – nicht verabschiedet, sondern zur weiteren Beschlussfassung an den Parteivorstand überwiesen. Besonders besorgniserregend ist auch die Situation in Brasilien mit dem neuen Präsidenten Bolsanaro, der jeden erreichten sozialen und zivilen Fortschritt rückgängig machen will und alle progressiven Kräfte in ihrer Existenz bedroht. Dazu fand Paulo Teixero, Abgeordneter der PT, in seinem Grußwort deutliche und beeindruckende Worte.

Europa, oder besser die Europäische Union, befindet sich nach wie vor in einer tiefen Krise – ökonomisch, sozial und politisch. Weit entfernt von einer nachhaltigen Entwicklung, ist die Situation in Europa gekennzeichnet durch hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere bei der Jugend, zunehmende Prekarisierung der Arbeits-und Lebensbedingungen, wachsende soziale Ungleichheit. Desintegrationstendenzen nehmen zu. Der Brexit, aber auch die Unfähigkeit, zu tragfähigen Lösungen zu kommen, zeigen, wie angespannt die Lage ist. Das gesamte politische Gefüge ist zunehmend fragil. Das traditionelle Parteiensystem wird in Frage gestellt, neue Bewegungen auf der rechten wie auf der linken Seite sind entstanden. Alarmierend ist vor allem der Aufstieg der rechtsextremen bis hin zu faschistischen Kräften in Europa. Dies stellt die Linke insgesamt vor die Aufgabe, sich als alternative politische Kraft sowohl gegenüber der neoliberalen Politik, die ursächlich für diese Entwicklung ist, als auch insbesondere gegenüber der extremen Rechten mit ihrem Nationalismus und Rassismus zu profilieren.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass dieser Parteitag auch international auf großes Interesse stieß. So waren Vertreter linker Parteien aus Lateinamerika, aus Asien, Afrika und natürlich aus Europa zu Gast. In zahlreichen Gesprächen wurden die durchaus ähnlichen Probleme der verheerenden Auswirkungen der neoliberalen Politik, des zunehmenden Aufkommens rechter bis faschistischer Kräfte und der Bedrohung des Friedens in der Welt erörtert. Die linken und progressiven Kräfte stehen vor der Herausforderung, wie sie aus der gegenwärtigen Defensive herausfinden und zu einer wirksamen politischen Alternative werden.

Dies ist im Grunde auch die zentrale Frage im Hinblick auf den Parteitag, nämlich, ob er dem Anspruch gerecht wurde, DIE LINKE als eine starke alternative politische europäische Kraft zu präsentieren, die „Für ein solidarisches Europa der Millionen gegen die Europäische Union der Millionäre“ kämpft, wie es in der Überschrift des Wahlprogramms heißt. So bemühten sich Katja Kipping, Bernd Riexinger, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch in ihren Reden darzulegen, dass DIE LINKE eine europäische Kraft ist, die jedoch ein anderes Europa in scharfem Kontrast zur Politik der Europäischen Union will. Das Eintreten für die notwendige Veränderung der EU sei die eigentliche „Liebeserklärung an Europa“ (Kipping). Allerdings gab es auch deutliche Unterschiede. Während Riexinger die Notwendigkeit einer starken Linken betonte, „die dem Europa der Banken und Konzerne den Kampf ansagt“, stellte Gysi die notwendige und auch mögliche Reform der EU in den Vordergrund, indem er u.a. auf die Säule sozialer Rechte verwies, die er als einen – wenn auch nicht ausreichenden – Schritt nach vorne bewertete. Auch wenn die Unterscheide in der Einschätzung der EU recht deutlich sind, so hat der Vorwurf, dass DIE LINKE europafeindlich sei, wie er vom politischen Gegner und teilweise in den Medien erhoben wird, jedenfalls keine Berechtigung.

Festgemacht wird dieser Vorwurf meist an den drei Adjektiven „neoliberal“, „undemokratisch“ und „militaristisch“ als Charakterisierung der EU, wie sie ursprünglich im Entwurf des Wahlprogramms enthalten war, sich aber in dieser Form im Programm nicht wiederfindet. Darüber ist in der Partei selbst sehr kontrovers diskutiert worden und auch auf dem Parteitag spielte dies eine Rolle. Fasst man diese Charakterisierung nicht derart schlagwortartig, sondern stärker inhaltlich, dann relativiert sich dies ohnehin. Dass die EU eine neoliberale Politik verfolgt und erhebliche Defizite an Demokratie aufweist, kann ernsthaft nicht bestritten werden. Über den Ausdruck „militaristisch“ kann man streiten und dies als übertrieben bewerten, doch, dass militärisch aufgerüstet wird, ist ein Fakt. Dennoch ist festzustellen, dass die Reformfähigkeit der EU sehr unterschiedlich beurteilt wird. Während die einen Reformen auf der Basis der Verträge von Maastricht und Lissabon für unmöglich halten, plädieren andere vehement für solche Reformen. Am deutlichsten kommt dies in der Forderung nach der Schaffung einer „Republik Europa“ zum Ausdruck, eine Forderung, die angesichts des Zustands der EU einigermaßen absurd erscheint, und auch von ihren Vertretern als gegenwärtig nicht realisierbare Vision verstanden wird. Beide Extrempositionen haben keinen Eingang in das Programm gefunden. Die Unterscheide bestehen freilich fort, so dass auch der im Programm geforderte “Neustart der EU“ unterschiedlich interpretiert werden dürfte.

In der LINKEN spiegeln sich die gleichen Unterschiede wider, die auch in der europäischen Linken insgesamt vorhanden sind. Es gibt zumindest drei verschiedene strategische Ansätze. Zum einen den Ansatz der Europäischen Linken, die mit ihrem Programm für die Europawahlen eine breite Plattform für die Linke in Europa anzubieten versucht, Varoufakis‘ Bewegung DiEM 25, der mit einem Bündnis kleinerer Parteien mit dem Namen „European Spring“ und dem Vorschlag eines „New Deal“ zu den Wahlen antritt und der von Mélenchon imitierten Bewegung „Maintenant le Peuple“, die zum Ungehorsam gegenüber den europäischen Verträgen aufruft. Darin drücken sich sehr unterschiedliche Bewertungen der EU aus. Im Hinblick auf die politischen Inhalte, also die programmatischen Eckpunkte, sind wenig Differenzen festzustellen. Gefordert wird ein Ende der neoliberalen Austeritätspolitik, eine offensive, auf den gesellschaftlichen Bedarf und den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft ausgerichtetes Investitionsprogramm, mehr Kontrolle der Finanzmärkte einschließlich einer Veränderung der Rolle der Europäischen Zentralbank, eine gerechtere Steuerpolitik, mehr Demokratisierung, mehr verbindliche soziale Rechte. Eine Militarisierung der EU wird strikt abgelehnt. Die lange Zeit strittige Frage des Euro und die damit verbundene Exit-Option spielt gegenwärtig in der politischen Diskussion keine dominante Rolle. Doch die strategische Ausrichtung differiert. Die Linke findet in Europa trotz weitgehender politisch-programmatischer Übereinstimmung nicht zusammen.

Mit dem mit großer Mehrheit verabschiedeten Programm zu den Europawahlen hat DIE LINKE eine gemeinsame Plattform. Es enthält eine Fülle konkreter Forderungen, wohinter die politische Orientierung jedoch etwas verblasst, zumal diese wesentlich aus einer Regierungsperspektive dargestellt werden. Die unterschiedlichen Einschätzungen im Hinblick auf die Entwicklung der EU sind damit nicht vom Tisch. Jenseits aller Differenzen steht jedoch die Orientierung auf Europa außer Zweifel. Es wird jetzt darauf ankommen, in der Wahlkampagne die politische Orientierung zu verdichten und DIE LINKE als eine europäische Kraft zu profilieren, die glaubwürdig für ein anderes Europa streitet – gegen die neoliberale Politik und vor allem gegen eine Rechte, die nationalistisch und rassistisch ist.

Ein Artikel von Heinz Bierbaum

Heinz Bierbaum

Heinz Bierbaum ist Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bis Dezember 2022 war der Wirtschaftsprofessor Präsident der Partei der Europäischen Linken (EL).

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