„Nordmazedonien kann ein Positivbeispiel für die ganze Balkanregion sein“

SPÖ-Europapolitiker Andreas Schieder über den geplanten EU-Beitritt Nordmazedoniens, die Frage der Rechtsstaatlichkeit und die Interessen Chinas und Russlands

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Ein Interview mit Andreas Schieder — das Gespräch führte Johannes Greß

Andreas Schieder

Andreas Schieder ist Delegationsleiter der SPÖ im EU-Parlament und Vorsitzender der Delegation im Gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Nordmazedonien.

Sie kommen gerade von einem Treffen mit dem neuen Nordmazedonischen Außenminister Bujar Osmani. Worum ging es dabei?

Der Hintergrund ist, dass Nordmazedonien unlängst eine neue Regierung gebildet hat. Der neue Außenminister versucht nun in Brüssel rasch alle notwendigen Kontakte wieder aufzunehmen. Er hat mich getroffen als Vorsitzenden der Nordmazedonien-Delegation im EU-Parlament. Wir haben uns über die nächsten Schritte eines möglichen EU-Beitritts Nordmazedoniens und die dafür notwendigen Reformen unterhalten.

In welcher Phase befindet sich dieser Prozess gerade?

Der Punkt ist, dass dieser Prozess mittlerweile 15 Jahre dauert – und eine ganze Generation an Mazedonierinnen und Mazedoniern hat mittlerweile auf den Beitritt zur EU gewartet. Das heißt auf der anderen Seite aber natürlich, dass man auch ohne Beitrittsverhandlungen bereits einige wichtige Reformschritte machen konnte. Im nächsten Schritt geht es darum, im Rahmen eines offiziellen Verhandlungsstarts auch den Fahrplan näher zu definieren. Wir hoffen, dass es gelingt, noch unter deutscher Ratspräsidentschaft endlich mit den Verhandlungen zum Beitritt Nordmazedoniens beginnen zu können.

Nordmazedonien bemüht sich schon lange um den Beitritt, woran ist das immer wieder gescheitert?

Die eine große Hürde waren die „Nachbarschaftsprobleme“ Mazedoniens. Die hat Regierungschef Zoran Zaev gelöst: sowohl indem die Namensfrage mit Griechenland geklärt wurde als auch die Nachbarschaftsbeziehungen mit Bulgarien durch einen Freundschaftsvertrag auf stabile Beine gestellt wurden. Damit kann Nordmazedonien auch ein Positivbeispiel für die ganze Balkanregion sein. In der Folge ist im Frühjahr dieses Jahres Nordmazedonien – und gleichzeitig auch Albanien – offiziell zum Beitrittskandidaten der EU erklärt worden. Jetzt geht es darum, diesen offiziellen Kandidatenstatus mit Leben zu füllen und die offiziellen Verhandlungen zu beginnen. Da sind viele Vorbereitung nötig, damit über die nächsten Monate, Jahre, wohl über die Legislaturperiode einer Regierung hinaus, die ganzen Details des Beitritts verhandelt werden können.

Wieso hat sich ausgerechnet Frankreich so gegen einen Beitritt gestemmt?

Frankreich hat immer die Fragen von Rechtsstaatlichkeit und Reformen in den Mittelpunkt gerückt und gleichzeitig aber auch verlangt, ein neues Prozedere zum Ablauf der Beitrittsverhandlungen einzuführen. Das wurde gemacht. Das läuft seither so ab, dass man ein Kapitel nach dem anderen abhandelt – aber wenn es keine Fortschritte gibt oder ein Land sich in die falsche Richtung entwickelt, auch wieder auf Null zurückgeworfen werden kann. Seitdem das Prozedere geändert wurde, steht auch Frankreich dem Beitritt nicht mehr negativ gegenüber.

Sie sagen selbst, dass ein in Aussicht gestellter EU-Beitritt für Länder ein Motor für Reformen sein kann. Wie groß ist andererseits die Gefahr, dass eine Art „Reformmüdigkeit“ eintritt, wenn ein Beitritt ständig in Aussicht gestellt, aber nie vollzogen wird?

Man muss den Menschen von Anfang an reinen Wein einschenken. Dass ein EU-Beitritt ein langer Prozess ist, mit vielen mühsamen Reformen – und dass man all diese Reformen nicht nur macht, dass man Mitglied der EU werden kann, sondern weil diese Reformen auch für die weitere Entwicklung des Landes an sich Sinn machen. Wenn man versteht, dass es kein „Rennen“ mit dem Ziel Europäische Union ist, sondern es um sinnvolle Reformen und Verbesserungen im Interesse von Bürgerinnen und Bürgern unabhängig vom Beitritt geht, dann entsteht keine Reformmüdigkeit, sondern dann erkennt man, dass wirklich etwas voran geht. Umfragen und sozialwissenschaftliche Erhebungen in Nordmazedonien zeigen, dass die Menschen dort genau das wollen: dass Nordmazedonien sich aufmacht, modern wird, eine starke Demokratie und einen starken Rechtsstaat, eine Verwaltung frei von Korruption etabliert. Da hat Nordmazedonien schon einige wichtige Schritte gemacht und da werden im Zuge des Wegs in die EU noch eine Vielzahl an Reformen kommen müssen. Gleichzeitig wird es dadurch für Firmen aus Europa interessanter dort zu investieren, wenn Rechtssicherheit und europäische Standards gegeben sind.

Wie groß kann denn aus Sicht Nordmazedoniens die Glaubwürdigkeit der Kriterien eines EU-Beitrittsprozesses sein, wenn Mitgliedsstaaten wie Ungarn und Polen EU-Recht teils mit Füßen treten?

Nordmazedonien und die Bevölkerung dort sind nicht Schuld am Versagen und den schlechten Eigenschaften eines Viktor Orbans. Aber ja, wir müssen unabhängig von der EU-Erweiterung als EU auch nach innen die Rechtsstaatlichkeit nicht nur verteidigen, sondern auch stärken. Wer Europäisches Recht bricht, bekommt auch kein europäisches Geld. Damit soll Regierungen wie jener in Ungarn, Polen oder Slowenien auch die Rute ins Fenster gestellt werden. Europa ist letztlich auch eine Rechts- und Wertegemeinschaft und diese Rechte und Werte gelten für alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, auch für die Ungarinnen und Ungarn.

Neben der EU bemühen sich auch China und Russland um den Westbalkan. Welche Rollen spielen die beiden mittlerweile?

Es gibt zunehmendes Investment aus diesen Ländern. Und man merkt, dass über das Internet versucht wird, Einfluss zu gewinnen. Zum Teil besteht eine wirtschaftliche Orientierung Nordmazedoniens in Richtung dieser Länder. Aber, ich glaube, gerade wenn man mit den Menschen in der Region spricht, ist jedem klar, dass eine gute Zukunft für sie nur in der Europäischen Union liegen kann. Manchmal wird das, vom Serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić beispielsweise, als Drohung verwendet: wenn die EU dem eigenen Land nicht mehr entgegenkommt, werde man sich Russland und China zuwenden. Das halte ich schon für eine reale Frage, aber ich muss sagen, die Menschen am Balkan gehören nach Europa und wollen nach Europa.

Was zählt diese gefühlte Zugehörigkeit, wenn es um geopolitische und wirtschaftliche Interessen geht?

Wenn man sich anschaut, wer sich mit ausländischen Direktinvestitionen und in den einzelnen Branchen am stärksten engagiert, erkennt man schon, dass die wirtschaftliche Zukunft in Europa liegt; Wenn viele der Politiker in den einzelnen Ländern gerne mit anderen Machtblöcken kokettieren, ist das das eine, aber letztlich handeln sie so gegen das Interesse der Menschen in dieser Region. Denn was die Menschen dort wollen, sind Zukunftschancen – und die liegen letztlich in der Europäischen Union.

Ein Artikel von Johannes Greß

Johannes Greß

Johannes Greß lebt und schreibt in Wien. Derzeit studiert er Politikwissenschaft im Master, arbeitet als Freier Journalist und ist Mitglied der Jungen Linken Wien.
(Foto: Andreas Edler)

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