Marktbereinigung im digitalen Zeitalter
Die EU-Urheberrechtsreform beschränkt die Meinungsfreiheit und bringt Kreativen keinen Cent mehr
Kaum ein europäisches Gesetzesvorhaben hat über einen langen Zeitraum eine derartige Lobbyschlacht verursacht und Massenproteste einer ganzen Generation ausgelöst wie die neue Urheberrechtsreform
Kaum ein europäisches Gesetzesvorhaben hat über einen langen Zeitraum eine derartige Lobbyschlacht verursacht und Massenproteste einer ganzen Generation ausgelöst wie die neue Urheberrechtsreform. Hunderttausende gingen europaweit auf die Straße, weil sie die freie Meinungsäußerung im Netz in Gefahr sehen. Zu Beginn der Woche hat dieses Gesetz nun die letzte Hürde in Brüssel genommen und wurde mehrheitlich im EU-Rat angenommen. Zuvor war der Versuch im Europäischen Parlament, den umstrittensten Artikel um die Netzsperren (Uploadfilter) doch noch zu Fall zu bringen, gescheitert.
Im Europäischen Ministerrat stimmten am Montag 19 Staaten dafür – darunter Deutschland – sechs dagegen, drei enthielten sich. Da die EU-Regeln besagen, dass für ein Inkrafttreten der Reform Länder zustimmen müssen, die gemeinsam mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, hing die Einführung tatsächlich am Stimmverhalten Deutschlands. Nichts von dem einst so kühn verkündeten Nein einer sozialdemokratischen Ministerin und Europaspitzenkandidatin Barley ist geblieben. Es bleibt Tatsache, dass die Bundesregierung mit ihrer ausschlaggebenden Stimme den Weg für Uploadfilter geebnet hat.
Auch eine eilig zusammen geschusterte deutsche Protokollnotiz wirkt da eher wie ein Feigenblatt. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag Uploadfilter explizit als ungeeignetes Mittel zum Schutz der Urheber definiert. Zu Hause dagegen, in Brüssel dafür, das erzeugt wenig Glaubwürdigkeit.
Die Befürworter führen ständig ins Feld, alles geschehe zum Schutz der Kreativen. Auch wir Linke halten eine Harmonisierung des europäischen Urheberrechts für nötig, um dieses an das digitale Zeitalter anzupassen. Was aber letztlich daraus geworden ist, bleibt ein Reförmchen mit verpassten Chancen. Es nutzt am Ende vor allem den großen Verlagen und Verwertungsgesellschaften. Wir haben verpflichtende Uploadfilter, wie sie in Artikel 13 (jetzt 17) vorgeschlagen sind, von Beginn an abgelehnt. Sie können urheberrechtlich geschützte Werke nicht eindeutig identifizieren und vor allem nicht zwischen Zitat, Parodie oder Nachahmung unterscheiden. Es geht im Übrigen auch darum, private, meist US-amerikanische Unternehmen mit der privaten Rechtsdurchsetzung zu beauftrage. Damit sollen Facebook, Google & Co. künftig darüber entscheiden, was rechtens und was Unrecht ist. Uploadfilter und private Rechtsdurchsetzung sind jedoch falsche und zudem gefährliche Mittel, um mehr Einkünfte für Kreative zu generieren. Man überlässt Maschinen oder technischen Lösungen keine Entscheidungen über Grundrechte, dafür gibt es den Rechtsstaat. Es geht also in der jetzigen Gesetzesfassung schlichtweg um Marktbereinigung statt um faire Bedingungen für freie Kommunikation im digitalen 21. Jahrhundert.
Fünf Millionen Unterzeichner*innen einer Petition gegen den Einsatz von Überwachungsfiltern werden einfach ignoriert und teilweise sogar als ferngelenkte Störer verunglimpft. Aber genau sie sind in meinen Augen ein großer Teil der Kreativen, die es zu schützen gilt. Wer nur die Großen im Blick hat und fleißig abkassieren will, verliert den Blick für die Realität, wie heute die Arbeit im Netz funktioniert, wie viel Kreativität sich täglich im Netz frei entfaltet.
Auch wir meinen, Plattformregulierung ist notwendig. Aber sie sieht anders aus als jetzt festgelegt wurde. Die Einführung einer Digitalsteuer, die den Autoren und Produzenten direkt zugutekommen könnte, Festlegungen von ethischen Algorithmen, ein strenges Kartellrecht, faire tarifliche Bezahlung oder mehr Transparenz zu den Verträgen der Verwertungsgesellschaften wären Alternativen gewesen, die Kreativen wirklichen Nutzen gebracht hätten. Daraus hätte aus linker Sicht eine Reform werden können, die diesen Namen auch verdient. Naive Technikgläubigkeit und härtester Lobbyismus von Springer & Co. haben dazu geführt, dass wir jetzt mit einer Richtlinie konfrontiert sind, die die Meinungsfreiheit bedroht, die Medienpluralität einschränkt und den meisten Kreativen keinen Cent mehr bringen wird. Am Ende werden die Entscheidungen die großen Plattformen sogar noch reicher machen als sie ohnehin schon sind, weil sie ihre Uploadfilter-Technologien massenhaft in Lizenzen weiterverkaufen können.
Die Urheberrechtsreform muss jetzt innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Zeit also, um den Prozess weiter kritisch zu begleiten.
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