Linkskurs Richtung Europawahl

Es gibt mehr Gemeinsames als Trennendes, war der Tenor nach dem kürzlichen „EU-Linksgipfel“. Weit offensichtlicher als vor den letzten Europawahlen ist das Bestreben, sichtbar zu werden – und die Wähler*innen mit nachvollziehbaren Positionen zu überzeugen

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Eine Premiere war es nicht, als sich vor wenigen Tagen Spitzenvertreter*innen europäischer Linksparteien ein Stelldichein im Europarlament gaben. Bereits 2018 hatte Gabi Zimmer, die damalige Vorsitzende der Linksfraktion, zu einem Brainstorming gerufen, um die Europawahl ein Jahr später vorzubereiten. Nun versammelte sich auf Einladung von The Left im EU-Parlament abermals eine solche Runde, und das erklärte Ziel der Begegnung war die Einstimmung auf den Europawahlkampf. Im Juni kommenden Jahres werden die gut 700 Abgeordneten der EU-Volksvertretung neu bestimmt.

Von der irischen Sinn Féin bis zur italienischen Rifondazione, vom portugiesischen Bloco de Esquerda bis zur slowenischen Levica, von der deutschen Tierschutzpartei bis zur griechischen Syriza reichte das Spektrum der teilnehmenden Parteien – eine enorme Bandbreite hinsichtlich ihren politischer Ansichten wie ihrer nationalen Bedeutung. Vielleicht gerade deshalb gibt sich Martina Michels, Sprecherin der Delegation der deutschen Linken im Europaparlament, zufrieden: „Gegenüber 2018 war das Bestreben deutlich erkennbar, die gemeinsamen Positionen in den Mittelpunkt zu stellen und nicht nationale Interessen.“ Das liege vor allem daran, dass sich die Entwicklung in allen europäischen Ländern ähnele. „Wir sehen überall radikale Einschnitte für die große Mehrheit der Bevölkerung, hohe Inflationsraten, kaum zu zahlende Energiepreise und eine wachsende soziale Spaltung der Gesellschaft“, sagt die Linke-Politikerin.

Folgerichtig steht der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und für Umverteilung an erster Stelle einer Vier-Punkte-Agenda, auf die sich der Linksgipfel einigte. Auch den Einsatz gegen den Klimawandel – der kein „Elitenprojekt“ sein dürfe und mit der sozialen Frage verknüpft werden müsse – haben sich Europas Linke auf die Fahne geschrieben. Ebenso die Errichtung einer neuen europäischen und globalen Sicherheitsarchitektur und die Unterstützung einer Friedenslösung für die Ukraine. Was für die EU zugleich bedeute, sich aus der Rolle einer Juniorpartnerin von USA und Nato zu befreien. Vierter zentraler Punkt ist der Schutz der Demokratie und die Bekämpfung rechter Entwicklungen in Europa.

Eine neue europäische Protestbewegung

Gerade auf letzteres hebt auch Walter Baier ab, der als Präsident der Partei der Europäischen Linken (EL), sozusagen des Dachverbands linksorientierter Kräfte in Europa, an dem Treffen in Brüssel teilnahm – „zum ersten Mal seit langem“, wie er betont. „Wir sehen doch, dass die radikale, faschistische und neofaschistische Rechte die Unzufriedenheit, die Zukunftsangst und der Frustration der Mittelschichten nutzt“, sagt Baier gegenüber „nd“ und „die-zukunft.eu“. Als Ausweg aus der gesellschaftspolitische Krise, in die der Neoliberalismus Europa geführt habe, sieht er einen „sozialen Protest, der von den Gewerkschaften, feministischen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen wird und der von Spanien, Portugal, Belgien, Griechenland, Frankreich, der Tschechischen Republik aus durch Europa rollt“. Nach Einschätzung von Baier, der viele Jahre dem linken Thinktank Transform!Europe vorstand, handele es sich dabei inzwischen um eine „neue europäische Bewegung“.

Die EL mit ihren über 40 Mitglieds-, Beobachter- und Partnerparteien will ihrerseits bis September eine Wahlplattform erarbeiten, die auf den Weichenstellungen ihres Kongresses im vergangenen Dezember in Wien aufbauen soll. Nutzen für diesen Prozess will sie auch ihre jährliche Sommeruniversität, auf der erste Arbeitspapiere erstellt werden sollen – gemeinsam mit Vertreter*innen anderer progressiver Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen. „Wir wollen Grenzen für die Zusammenarbeit öffnen“, beschreibt der EL-Präsident diesen Kurs. Das soll auch bei der Nominierung einer Spitzenkandidatin oder eines Spitzenkandidaten der Fall sein, mit der oder dem Europas Linke in den Wahlkampf ziehen will. Baier plädiert für „eine Persönlichkeit, die in der Lage ist, die Linke über die EL hinaus zu repräsentieren“. Zu Namen schweigt er natürlich.

Zurückhaltung bei Kandidaturen in Deutschland

Auch in der deutschen Linkspartei haben sich bislang nur wenige Bewerber*innen um einen Listenplatz für die EU-Wahl aus der Deckung gewagt. Ausdrücklich ihre Kandidatur erklärt haben Frederike-Sophie Gronde-Brunner, die sich insbesondere der Verknüpfung der europäischen mit der regionalen Ebene verschrieben hat und von den Landesverbänden Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unterstützt wird, sowie Daphne Weber, die im Geschäftsführenden Parteivorstand sitzt und sich nicht zuletzt durch ihr Mitwirken in linksorientierten Bewegungen einen Namen gemacht hat. Am Donnerstag teilte auch Özlem Demirel per Twitter mit, abermals anzutreten. Demirel gehört seit 2019 de EU-Parlament an – seinerzeit war sie Teil des Spitzenduos mit Martin Schirdewan. Der heutige Co-Parteivorsitzende der Linken und in Personalunion der Fraktion The Left im EU-Parlament hat sich noch nicht offiziell zu einer Kandidatur geäußert; in Parteikreisen gehen jedoch nicht wenige davon aus.

Im September wird der sogenannte Bundesausschuss der Partei eine Wahlliste erstellen. Das letzte Wort haben auf dem Europaparteitag in November in Augsburg die Delegierten. Und die waren schon immer für eine Überraschung gut.

Ein Artikel von Uwe Sattler

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Der Journalist gehört zudem der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" an.

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