Jagen, sammeln, spalten?
Gleich mehrere Linksbewegungen stehen für den Europawahlkampf 2019 in den Startlöchern
Sie haben den Überblick verloren, wer nun alles auf der Linken zur Europawahl antritt? Hier kommt der Überblick zu den vier Linksbewegungen, die ins Europaparlament wollen – und was sie ausmacht.
1) Die Etablierten: DIE LINKE
Im Europaparlament stellen sie die größte Delegation in der Linksfraktion GUE/NGL: die sieben Abgeordneten der deutschen LINKEN. Bei der Wahl im Mai 2019 will die Partei den Erfolg wiederholen; laut Prognosen könnte sie sogar leicht zulegen.
Zugute kommt der LINKEN dabei, dass sie das Image einer in der Europafrage heillos zerstrittenen Partei abgelegt hat. Zwar sind die Differenzen darüber, ob und wie die EU zu reformieren ist, sicher nicht verschwunden – was auch keineswegs ein Nachteil ist, wenn sachlich darüber diskutiert wird. Von einer Zerschlagung oder der Totalablehnung der Gemeinschaft ist indes nur noch vereinzelt etwas zu hören. Dafür umso mehr davon, wo der Veränderungsbedarf liegt. Der Entwurf des Wahlprogramms stellt sozialpolitische Fragen – wie gerechte Löhne oder bezahlbare Mieten – an die erste Stelle und bricht mit der Tradition, das Programm von der Friedensfrage ausgehend durchzubuchstabieren. Auf dem Parteitag im Februar in Bonn sollen das Programm abgesegnet und die Kandidaten aufgestellt werden.
Zu Letzterem hatte der Bundesausschuss am vergangenen Wochenende eine Wahlempfehlung beschlossen. Angeführt wird die Liste vom EU-Abgeordneten Martin Schirdewan und von Özlem Demirel aus Nordrhein-Westfalen. Auf den Plätzen 3 bis 5 folgen die Europaabgeordneten Cornelia Ernst, Helmut Scholz und Martina Michels, danach Ali Al-Dailami aus Hessen und Claudia Haydt aus Baden-Württemberg.
2) Die Newcomer: DiEM25
So ganz frisch ist er eigentlich nicht mehr, der deutsche »Wahlflügel« Demokratie in Europa. Zusammengesetzt aus der Gruppierung »Demokratie in Bewegung« (»Wir holen die Politik aus den Hinterzimmern«) und dem hiesigen Ableger von DiEM25 (Democracy in Europe Movement 2025), hatte er sich bereits Anfang Juni für die Europawahl im kommenden Jahr in Stellung gebracht. Das Neue allerdings: Auf der Liste des Bündnisses zur EU-Wahl im kommenden Jahr will der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis antreten – als Spitzenkandidat. In einer Onlineabstimmung haben die DiEM25-Mitglieder dem eloquenten Wirtschaftswissenschaftler bereits ihr Votum gegeben, am Sonntag findet die offizielle »Aufstellungsversammlung« statt. An der Wahl von Varoufakis, der in Griechenland wegen unpopulärer (Spar-) Maßnahmen der SYRIZA-Regierung keine Chancen hätte, gibt es kaum einen Zweifel.
Auch die Varoufakis-Truppe setzt in ihrem »New Deal für Europa« genannten Wahlprogramm auf »Demokratie, Nachhaltigkeit, Wohlstand und Solidarität«. Stichworte sind eine (neue) Verfassung für Europa, Jobgarantie, Bildung, Klimaschutz oder fairer Welthandel. Wobei die flockig aufgeschriebenen Forderungen weitgehend unkonkret bleiben. Eines hat »Demokratie in Europa« allerdings anderen voraus: Die Basisbeteiligung funktioniert. Und mit dem Gesicht Varoufakis’ an der Spitze könnte »Demokratie in Europa« der LINKEN das eine oder andere Prozent abjagen.
3) Die Zerstrittenen: Europäische Linke
Bei der Europawahl 2014 trat sie mit dem griechischen SYRIZA-Chef und heutigen Premier Alexis Tsipras als Spitzenkandidat an: die Partei der Europäischen Linken (EL). Immerhin knapp sieben Prozent, entsprechend 52 Sitze im EU-Parlament, konnte das bunte Bündnis aus über drei Dutzend Parteien aus allen Ecken Europas holen.
Dabei ist die breite Zusammensetzung der 2004 gegründeten EL einerseits ihre Stärke – schließlich gab es in den 15 Jahren nach dem Ende des Realsozialismus praktisch keine Zusammenarbeit der Linken in Europa. Andererseits aber ist sie ihr ständiges Problem. Denn die Positionen reichen von einer klaren Ablehnung der EU (u. a. La France insoumise, portugiesischer Bloco de Esquerda, Spaniens Podemos) bis zu Parteien, die eine grundlegende Reformierung der Union für möglich halten (u. a. LINKE, KP Frankreichs, SYRIZA). Wie tief der Riss geht, zeigte sich im Sommer am Streit zwischen der von Jean-Luc Mélenchon gegründeten französischen Linkspartei und SYRIZA. Die Parti de Gauche wollte Tsipras’ »neoliberale Politik« nicht in der EL mittragen – und erklärte ihren Austritt.
EL-Präsident Gregor Gysi hat es zumindest geschafft, das Bündnis einigermaßen zusammenzuhalten. Derzeit ist er auf der Suche nach einem »Gesicht« der EL für die Europawahl. Bis Endes des Monats sollen Vorschläge vorliegen; im Januar will die EL ihre Wahlstrategie beschließen und eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten bestimmen.
4) Die Unentschiedenen: »Aufstehen«
Die Anfang September von der LINKE-Politikerin Sahra Wagenknecht gemeinsam mit anderen Vertretern ihrer Partei, von den Grünen und der SPD aus der Taufe gehobene Gruppierung »Aufstehen« versteht sich als »soziale und demokratische Erneuerungsbewegung«. Parteien im herkömmlichen Sinne stehen »Aufstehen« kritisch gegenüber. Daher lässt die Bewegung weitgehend offen, ob und wie sie zu Wahlen antreten könnte. Das betrifft auch die Europawahlen, zumal »Aufstehen« beim reinen Benennen jener Kritikpunkte an der EU stehenbleibt, die eher linke Allgemeinplätze sind.
Allerdings gibt es durchaus Stimmen, die anregen, dass »Aufstehen« bei der EU-Wahl im kommenden Jahr »sichtbar werden« sollte. Andreas Wehr, der einige Jahre für die Linksfraktion im EU-Parlament arbeitete und heute vor allem zu linkspolitischen Themen publiziert, schreibt: »Den Gegenpol zur EU-freundlichen Haltung der Partei DIE LINKE bildet Aufstehen. In ihrem Gründungsaufruf findet sich nicht die illusionäre Forderung nach einer ›demokratischen und sozialen EU‹«.
Eine eigene Wahlliste von »Aufstehen« spricht Wehr in seinem Aufsatz, der in Linkskreisen wegen der möglicherweise erwachsenden Konkurrenz für einige Unruhe sorgte, nicht an. Wohl aber ein gemeinsames Vorgehen von LINKE und »Aufstehen«, womit insbesondere die Berücksichtigung von Sympathisant*innen der Bewegung auf der LINKE-Wahlliste gemeint sein dürfte.
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