Im Sog der Krise

Die Führungsebene der EU ist dabei, sich ins Duell zwischen USA und China an der Seite von Donald Trump hineinziehen zu lassen.

Foto: © 123 RF

In der Europäischen Kommission, aber auch in einer Reihe von Regierungsparteien in Mitgliedstaaten der EU gibt es eine klammheimliche Freude über das Vorgehen der USA gegenüber China. Die Methoden lehnt man zwar offiziell ab, betonte aber in der neuen offiziellen EU-Chinastrategie die „systemische Konkurrenz“.

Chinas Präsident Xi Jinping besuchte gerade die Provinz Jiangxi. An dem Ort, an dem 1934 der Lange Marsch der Chinesischen Roten Armee begann, bereitete er seine Nation mit einer Grundsatzrede darauf vor, dass China am Beginn eines Neuen Langen Marsches stünde. Entbehrungen würden auf das Land zukommen. In der Provinz Jiangxi finden sich auch viele der chinesischen Fundorte für Seltene Erden. Mehr als 90 % der globalen Produktion dieser für modernste Elektronik essentiellen Rohstoffe kommen aus China. Und damit sind wir mit diesem innenpolitisch vielbeachteten Schritt sogleich bei einer neuen globalen Herausforderung: wer setzt wie Grenzen für globale Wertschöpfungsprozesse und Marktgewalt in einer stärker als je zuvor voneinander abhängigen Weltwirtschaft und welche politischen Auswirkungen haben derartige Entscheidungen auf heutige gesellschaftliche Entwicklungen in aller Welt. Der demonstrative Besuch Xi Jipings einer Produktionsstätte von Seltenen Erden macht schließlich politische Entscheidungsträger in den USA, mehr noch aber die CEOs vieler US-amerikanisch dominierter transnational agierender Unternehmen auf eine Reaktionsmöglichkeit Chinas auf den zunehmend anti-chinesischen Druck der Trump-Administration aufmerksam. Zur Erinnerung: Vor zehn Jahren hat China bereits einmal mit einem Exportverbot von Seltenen Erden nach Japan reagiert, als Ministerpräsident Abe dachte, er könne Peking einen bestimmten politischen Kurs aufzwingen.

Analysten stimmen international darin überein, dass sich der Ton in den chinesischen Medien zunehmend verändert, nachdem die 11. Runde der Handelsgespräche mit den USA in einem Fiasko endete. Und dies ist sicherlich nicht nur mediale Tonveränderung. Der Konflikt ist nicht nur zu einer Sache des nationalen Stolzes geworden, sondern berührt den Kern des gesellschaftlichen strategischen Kurses: Chinas 1,4 Mrd. Menschen bis 2050, 100 Jahre nach der Gründung der VR China am Ende des Langen Marsches, zu einem prosperierenden Land zu machen, in dem die Menschen zum Lebensniveau der hoch entwickelten Industriestaaten aufschließen und das sich zugleich neuen Herausforderungen des Klimawandels und des Umweltschutzes sowie der Veränderung der Arbeits- und Wirtschaftswelt im 21. Jahrhundert stellt. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua kommentierte: „Die Volksrepublik stand im Osten während der vergangenen 70 Jahre aufrecht. Sie hat nie ihr Haupt gesenkt und niemanden gefürchtet. Die Geschichte wird erneut erweisen, dass die Einschüchterungsversuche und Drohungen der USA nicht wirken.“

Zurück zur neuen Runde im Handelskrieg. Eigentlich hatten die Gespräche zwischen den USA und China bereits Fortschritte gemacht und die chinesische Seite hatte sich bereit erklärt, eine Reihe von Konzessionen zu machen. So sollte amerikanischen Autoherstellern und Finanzdienstleistern der Zugang zum chinesischen Markt erleichtert werden. Sie sollten in China als eigenständige Wettbewerber agieren können. Im Gegenzug erwartete China die Aufhebung der amerikanischen Strafzölle gegen chinesische Produkte. China zeigte sich auch grundsätzlich bereit, durch steuernde Maßnahmen des Staates die Einfuhren aus den USA zu erhöhen und so das Handelsdefizit zu reduzieren. Allerdings sollte die Höhe realistisch beziffert werden. Schließlich erwartete China eine amerikanische Aussage zur Achtung seiner Souveränität.

Washington legte stattdessen eine neue Liste mit Forderungen auf den Tisch. China sollte sich verpflichten, in den nächsten beiden Jahren das Handelsdefizit mit den USA jeweils um 100 Milliarden Dollar zu reduzieren. Dahinter verbirgt sich aber eine grundsätzliche politische Positionierung der US-Administration, denn weder können die USA so viel zusätzlich produzieren, ohne auch ihre Einfuhren von Komponenten aus China zu erhöhen, noch könnte der Weltmarkt eine solche Polverschiebung verkraften. China hätte sich also verpflichten müssen, vom Netto-Gläubiger zum Netto-Schuldner zu werden.

Die Trump-Administration wollte China ferner einen Katalog von Gesetzen diktieren, mit denen amerikanische Unternehmen von Sondergerichten in China Entschädigung verlangen könnten, falls ihnen geistiges Eigentum gestohlen wurde oder sie zu Technologietransfer gezwungen worden seien. Hier sind wir bei einer globalen Herausforderung, wie technologische Entwicklung und Urheberrecht international in gemeinsamen Standards und gegenseitigen Zugängen zu Wissen und Weiternutzung geregelt werden müssen. Sicherlich nur eine erste Andeutung, wenn wir um gleichberechtigte Partnerschaften in einer globalen Wirtschaft denken, eingerechnet die künftige Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent mit bis zu 2,5 Mrd. Menschen im Jahr 2050 alleine dort.

China sollte seine staatlichen Fördermittel für Unternehmen im Rahmen seiner Industriestrategie Made in China 2025 einstellen. In dem Programm geht es um den strategischen Aufbau modernster Werke für Flugzeugbau, Elektromobilität, Robotik, Computer und Chips der nächsten Generation und Künstliche Intelligenz in China. Die USA sollten das Recht erhalten, Beschränkungen für Importe aus diesen Technologieunternehmen zu erlassen. China sollte sich verpflichten, amerikanische Beschränkungen von chinesischen Investitionen in bestimmte Zukunftstechnologieunternehmen in den USA zu akzeptieren, ohne Gegenmaßnahmen zu treffen.

China sollte „sofortige und verifizierbare“ Maßnahmen zur Unterbindung von Cyberspionage in amerikanischen Netzwerken treffen.

China sollte seine Einfuhrzölle von durchschnittlich zehn Prozent auf 3,5 Prozent senken.

China sollte seinen Dienstleistungssektor und seinen Agrarsektor für vollständigen Wettbewerb aus den USA öffnen.

Alle drei Monate sollte eine gemeinsame Kommission tagen und überprüfen, ob China seine Verpflichtungen auch einhält.

Im Fazit entspricht diese Liste einem Kapitulationsvertrag. In China wird offiziell eingeschätzt, dass die amerikanische Regierung nicht an einem Erfolg der Verhandlungen interessiert ist.

Nach der Verkündung des Scheiterns legte Trump mit Maßnahmen nach, die bereits vorbereitet waren. Für chinesische Produkte im Wert von 200 Milliarden Dollar wird der Einfuhrzoll auf 25 Prozent erhöht. Interessanter Weise war das Handelsdefizit USA-China im Jahresvergleich zuletzt gewachsen, weil die boomende amerikanische Wirtschaft noch mehr Komponenten aus China einführte. Es werden also Amerikaner sein, die diese Zölle bezahlen müssen, und zwar entweder in Dollar oder Arbeitsplatzabbau. Und die ersten Reaktionen, zusätzliche 16 Mrd. US-Dollar zum Abfangen der negativen Auswirkungen des Handelskriegs auf US-amerikanische Bürger zur Verfügung zu stellen, sprechen da eine eigene Sprache, und machen deutlich, wer die Zeche dieses Handelskrieges zahlen wird: Die Bürgerinnen und Bürger, die Verbraucher – in den USA, in China und weltweit.

Und dazu gehört auch, dass auch im Handelskrieg die Wahrheit(en) zuerst stirbt.

Beispiel Huawei: Dieses global agierende chinesische Technologieunternehmen ist eines der wenigen internationalen, die eine ernsthafte Konkurrenz zu den marktführenden amerikanischen Unternehmen sind. Es wurde nun auf eine schwarze Liste gesetzt. Wer Huawei Aufträge gibt oder Produkte zuliefert, kann bestraft werden. Google sah sich bereits zur Ankündigung gezwungen, für künftige Huawei-Smartphoneentwicklungen keine Google-Produkte mehr anbieten zu können und die Android-Lizenz zu entziehen. Andere Technologiefirmen folgen bereits dem regulatorischen Eingriff Washingtons. Was bedeutet es für die etablierten Wettbewerbsregeln in der Welt, wenn die US-Regierung diese per Federstrich aushebelt? Huawei ist kein Staatskonzern, sondern ein Unternehmen in Belegschaftsbesitz, von dem auch in Europa zehntausende Arbeitsplätze abhängen.

Die Spekulation hat begonnen, ob Huawei ein eigenes Betriebssystem einführen wird. Skepsis besteht vor allem, ob das chinesische Unternehmen es schaffen könnte, Ersatz für all die Google-Apps anzubieten, an die sich die meisten Smartphone-Benutzer so gewöhnt haben. Auf dem chinesischen Markt, der die Hälfte des Unternehmensumsatzes ausmacht, wird allerdings bereits eine ganze Reihe eigener Apps angeboten, nicht zuletzt auch deshalb, weil bereits heute viele Google-Produkte in China nicht zugelassen sind.

Trumps Maßnahmen gegen den Konkurrenten Huawei werden mit Spionageabwehr begründet. Beweise wurden dafür bislang nicht vorgelegt. Fälle von systematischer Ausnutzung des eigenen Technologiemonopols bei Internetknotenpunkten kennen wir allerdings schon. Im PRISM-Programm griffen amerikanische und britische Geheimdienste in gewaltigem Umfang illegal auf Daten und Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger anderer Staaten zu.

Das Vorgehen gegen Huawei ist eine weitere Maßnahme, mit der die Trump-Administration den Konflikt der USA mit China zu einem Konflikt auf den internationalen Märkten ausweitet. Es geht um den verzweifelten Versuch zum Erhalt technologischer und damit letztlich wirtschaftlicher und politischer Vorherrschaft. China als moderner Mit-Wettbewerber in der globalisierten Welt soll kleingehalten werden. Anstelle sich in geeigneten internationalen, Völkerrecht setzenden Gremien wie im UN-System oder der WTO und ILO und Weltklimarat über heutige notwendige Standards und Werte zu verständigen und gemeinsam sich den globalen Aufgaben zu stellen, bleibt es seitens der USA beim neokolonialen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. Im Stahlkonflikt mit Mexiko und Kanada lautete die Lösungsformel, dass beide Seiten sich verpflichteten, ein „Durchleiten“ chinesischer Produkte durch ihre Länder auf den amerikanischen Markt zu verhindern. Trump forderte dabei erfolgreich Vasallentreue ein.

Auch EU-Kommissionspräsident Juncker sprang Trump im Konflikt mit China bereits helfend zur Seite. Er verpflichtete die EU zu einer signifikanten Erhöhung der Einfuhren von amerikanischem Soja, um einen Teil der Ausfälle durch ausbleibende Bestellungen aus China zu kompensieren. Er verpflichtete die EU, amerikanisches Fracking-Gas als LNG in großen Stil in die EU zu importieren, um das Platzen der Investitionsblase in der amerikanischen Frackingindustrie zu verhindern. Für die entsprechenden Lagerkapazitäten steuerte die EU-Kommission bereitwillig entsprechende Mittel durch Umschichtungen im Haushalt zusätzlich bereit. Fracking lohnt sich nur, wenn der Ölpreis sehr hoch ist. Der Ölpreis steigt in Zeiten der Krise, wenn die Straße von Hormus bedroht ist und die Förderung in Venezuela sinkt. Viermal kreuzten dieses Jahr bereits US-Kriegsschiffe im Rahmen so genannter „Freedom of Navigation Operations“ durch umstrittene Gebiete im Südchinesischen Meer.

Die Europäische Union hatte kürzlich eigentlich einen recht erfolgreichen Gipfel mit Chinas Premierminister Li Keqiang, bei dem sich beide Seiten auf wichtige Fortschritte im Ausbau ihrer Handels-, Investitions- und Kulturbeziehungen verständigten. Nun überraschte der Europäische Rat jedoch mit einer Entscheidung, erstmals einen Überprüfungsmechanismus institutionell einzusetzen, der die Einhaltung der chinesischen Verpflichtungen überprüfen soll – de facto am Europäischen Parlament vorbei. Beweist sich die Maßnahme als erfolgreich, soll sie später auch jeweils für andere bilaterale Vereinbarungen eingesetzt werden. Gab es hier eine amerikanische Inspiration?

In der Europäischen Kommission, aber auch in einer Reihe von Regierungsparteien in Mitgliedstaaten der EU gibt es eine klammheimliche Freude über das Vorgehen der USA. Die Methoden lehnt man zwar offiziell ab, betonte aber in der neuen offiziellen EU-Chinastrategie die „systemische Konkurrenz“. Das ist eine Begrifflichkeit aus der Rhetorikkiste des Kalten Krieges. In den USA ist diese Sprache im Umgang mit China und besonders auch Russland bereits wieder zur Normalität geworden. In Europa war man bislang immer noch im letzten Moment pragmatisch umgeschwenkt auf eine Betonung der gemeinsamen Interessen mit China. Nun wird der Ton jedoch auch hierzulande konfrontativer.

Diese Entwicklung wäre ein grundsätzlicher Fehler. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten dürfen sich von der Regierung Trump nicht in den eskalierenden Konflikt mit der Volksrepublik China hineinziehen lassen. Dieser Konflikt ist nicht im Interesse der EU und aller Bürgerinnen und Bürger in den 28 EU-Mitgliedstaaten. Bereits das erwartete Absinken der chinesischen Wirtschaftsdaten wird auch für Arbeitsplätze in Europa Konsequenzen haben. Es wäre kurzsichtig und ökonomisch absurd, unsere Kooperationsnotwendigkeiten mit chinesischen Unternehmen zu negieren, um die dortige Entwicklung vielleicht noch ein paar Jahre zu verlangsamen.

Chinas Anspruch auf seinen aufrechten Gang ist legitim. In Europa müssen wir lernen, unsere alte eurozentristische Selbstsicht endlich zu überwinden und partnerschaftliche Koexistenz mit den aufstrebenden Regionen in anderen Teilen der Welt zu entwickeln. Die für den EU-Gipfel im Juni zum Beschluss vorliegende Strategie für die Entwicklung der EU 2019-2024 geht leider gerade gar nicht in diese Richtung. Betont wird die Durchsetzung „Europäischer Interessen“ im politischen und wirtschaftlichen Bereich in der Welt, statt auf Kooperation zu setzen. Dieser machtpolitisch diktierte Ansatz mag in Washington gern gehört werden, aber er bremst, wäre ebenso rückwärtsgewandt wie die Handelskriegsstrategie der gegenwärtigen US-Administration, die ja nebenbei auch gegenüber der EU angewandt wird, wenn es amerikanischer Interessenlage entspricht und verhindert letztlich das notwendige Interesse, und Bestreben, gemeinsam mit China und anderen Ländern den Klimawandel aufzuhalten und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bis 2030 zu erreichen. Denen haben wir uns alle verpflichtet. Und das neue Europäische Parlament wie die neue EU-Kommission werden daran zu messen sein, wie sie dieser Herausforderung weltoffen, partnerschaftlich und im Verständnis gegenseitiger Abhängigkeiten und Interessenabwägungen mit konstruktiver Politik entsprechen wird.

Ein Artikel von Helmut Scholz

Helmut Scholz

Helmut Scholz ist Europaabgeordneter und Handelspolitischer Sprecher der Delegation DIE LINKE. im Europäischen Parlament. Er ist unter anderem Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel (INTA), im Ausschuss für Konstitutionelle Fragen (AFCO) und in den Delegationen für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und zu China.

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