Geheimsache Bürgerinitiative

Stell‘ dir vor, man kann die EU-Politik mitbestimmen und niemand weiß es! Von Ronald Blaschke

Aktion zum EU Sign Day in Brüssel © privat

Die Bürger*innen kennen ihre Mitbestimmungsrechte in der EU-Politik nicht. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die ein EU-weites Bündnis von laufenden Europäischen Bürgerinneninitiativen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Auftrag gegeben hat.

In Deutschland haben 7 Prozent von der Möglichkeit einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) gehört und wählten unter den möglichen Antworten: „Ja, ich weiß, was das ist“. Das waren 138 von 2.057 Befragten. Von diesen 138 Bürger*innen fanden aber nur 29, also knapp jede*r Fünfte, die richtige Antwort unter vier möglichen, was eine Europäische Bürgerinitiative wirklich ist und bewirkt. In Deutschland wissen also nur 1,4 Prozent, was eine EBI ist. Damit ist Deutschland Schlusslicht im Vergleich zu den anderen drei Ländern, in denen ebenfalls befragt wurde. In Finnland hatten 1,5 Prozent der Befragten von einer EBI gehört und konnten richtig benennen, was diese ist. In Italien sind es 3,4 Prozent, in Portugal 4,1 Prozent. Im Durchschnitt bezogen auf alle befragte Bürger*innen in diesen Ländern hat die EBI einen Bekanntheitsgrad von 2,4 Prozent (Zusammenfassung der Umfrageergebnisse und im Detail https://eci-ubi.eu/wp-content/uploads/2021/05/YouGovSurvey-Summary.pdf).

Angesichts dieses ernüchternden Umfrageergebnisses stellt sich die Frage, ob die verantwortlichem EU-Institutionen ihrer Aufklärungspflicht hinsichtlich der Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger*innen nachgekommen sind. Klaus Sambor vom EU-Organisationsteam der Europäischen Bürgerinitiative zu bedingungslosen Grundeinkommen in der EU meint dazu: „Wenn die EU-Kommission die Partizipationsmöglichkeiten der Menschen ernst nimmt, müssen von ihr wesentlich stärkere Maßnahmen für eine erfolgreiche Umsetzung und zur Aufklärung über die EBI als wirksames Instrument politischer Mitbestimmung in der EU getroffen werden.“

Eine Million für eine Million

Viele Europäische Bürgerinitiativen leiden unter der mangelnden Information über die Möglichkeit der EBI. Die Unterschriftensammlung für ein bestimmtes Thema einer Bürgerinitiative wird dadurch enorm behindert: Denn faktisch müssen die ehrenamtlich arbeitenden Bürger*innen die Aufklärungsarbeit über die Möglichkeit und Wirkung einer Bürgerinitiative mit übernehmen – eine Arbeit, die die EU-Institutionen leisten müssen. Aus meiner Sicht braucht es eine ausreichende finanzielle Förderung von Europäischen Bürgerinitiativen für Infrastruktur und professionelle Unterstützung. Denn sie müssen um erfolgreich zu sein, also von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament angehört zu werden, eine Million Unterzeichnungen über Ländergrenzen hinweg in der EU nachweisen. Das bedeutet einen großen Arbeitsaufwand für Ehrenamtliche. Eine Million Euro wäre eine angemessene Summe für jede laufende Initiative, die erfolgreich ist. Das wären ein Euro pro Unterzeichnung. Vergleichbar wäre eine solche Förderung mit der Wahlkampfkostenerstattung für Parteien, die sich an den Wahlen beteiligen – mit dem Unterschied, dass eine pauschale, rückzahlungsfreie Anschubfinanzierung für Initiativen von Bürger*innen unerlässlich ist. Diese müsste sofort nach der Registrierung der Bürgerinitiative von der Europäischen Kommission gewährt werden. Denn die Initiator*innen können im Gegensatz zu den Parteien nicht mit mehreren Tausend Euro in Vorleistung gehen. Eine solche einfache Regelung würde auch die Chancen von Bürgerinitiativen erhöhen, hinter denen keine großen oder finanzkräftigen Organisationen stehen.

Aktion zum EU Sign Day in Brüssel

Ein EU-weites Bündnis hat derweil das Heft des Handels in Hand und den Europatag (9.Mai) zum Anlass genommen, auf die Möglichkeit der Unterzeichnung von Europäischen Bürgerinitiativen hinzuweisen. So wurde der Europatag zum EU Sign Day erklärt. Aktionen fanden statt, eine gemeinsame Plattform wurde erstellt. Zu diesem EU-weiten Bündnis gehören die EBI Start Bedingungslose Grundeinkommen in der gesamten EU https://www.ebi-grundeinkommen.de/, EBI Stop Global Warming, EBI Voters Without Borders, EBI Freedom To Share, EBI Save Bees and Farmers, EBI Reclaim Your Face sowie neun zivilgesellschaftliche Organisationen. Es gibt eine große Bereitschaft der Aktivist*innen Europäischer Bürgerinitiativen zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen. Sind doch die EBI-Themen keine von den gesellschaftlichen Transformationsprozessen losgelösten Themen, sondern weisen einen Bezug auf einander auf und ergänzen sich gegenseitig.

Auch in Deutschland engagierten sich zum Europatag Aktivist*innen der EBI Bedingungslose Grundeinkommen. „Mit einer bunten Fotoaktion unterstützten wir den EU Sign Day am 9. Mai”, erklärte Nadja Lutter vom EBI-Kampagnenbündnis in Deutschland. Diesem Bündnis in Deutschland gehören über 31 Initiativen, Verbände, kleinere Parteien und Personennetzwerke in größeren Parteien an. Ziel dieser EBI ist die Einführung bedingungsloser Grundeinkommen in der gesamten EU, welche jedem Menschen die materielle Existenz und die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe sichert. Das, so die Auffassung vieler Grundeinkommensaktivist*innen würde die Europäische Union zu einer demokratischen und sozialen Union machen, die attraktiv für alle in der EU Lebenden ist. Jeder Mensch kann sich materiell erpressungsfrei und abgesichert in die Gestaltung der Gesellschaft und Politik einbringen.

Demokratisch und sozial – ohne dem ist eine lebendige EU nicht zu haben.

Ein Artikel von Ronald Blaschke

Ronald Blaschke

Ronald Blaschke ist Netzwerkrat beim Netzwerk Grundeinkommen und Mitgründer des europäischen Netzwerks Unconditional Basic Income Europe (UBIE). Er hat zwei Europäische Bürgerinitiativen zum Grundeinkommen mitorganisiert.

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