Für eine offene Gesellschaft!
Eine Wortmeldung zur Debatte um die Vorschläge der Projektgruppe für ein Einwanderungsgesetz / -konzept bzw. und zum „Thesenpapier zu einer human und sozial regulierenden linken Einwanderungspolitik“
Asyl und Einwanderung nicht vermischen
Wir haben einerseits ein „vom Aussterben bedrohtes Asylrecht“ in Europa und zugleich zu wenig Rechte für Menschen, die hierher kommen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben oder darauf, ihre Familien im Ausland mitversorgen zu können. Stichwort Asyl: nach heute geltender Rechtslage ist Asyl nicht gleich Asyl. Asyl ist reserviert für Menschen, die in ihrem Heimatland systematisch von der Regierung verfolgt werden. Flüchtende aus Bürgerkriegsgebieten hingegen erhalten sogenannten temporären Schutz – und der ist zeitlich begrenzt und wird aufgehoben, wenn nach Ansicht der Bundesregierung das Land wieder sicher genug ist. Dafür ist ein gutes Beispiel der Kosovo. Die überwiegende Mehrheit der von dort geflohenen Roma sind mittlerweile dorthin abgeschoben worden, oft mit Kindern, die in Deutschland geboren wurden, bei uns in die Schule gingen und die kein Wort albanisch sprechen. Und: Nur weil die EU Kosovo zum sicheren Herkunftsstaat erklärt hat, wurde die Rundum-Diskriminierung von Roma ja nicht aufgehoben. Wenn sich also doch eine Romafamilie nach Deutschland aufmacht, hat sie z.Z. weder ein Recht auf Asyl noch den Hauch einer Chance, sich legal hier niederzulassen. Oder was geschah nach 2011 mit Arbeitsmigrant*innen aus Bangladesh in Libyen? Sie hatten jahrelang dort gearbeitet, um ihre Familien zu ernähren. Nach dem politischen Umsturz in Libyen wurden sie arbeitslos, in Lager gesteckt, vertrieben und landeten nach einer Odyssee in Lampedusa. Als Geflüchtete.
Asyl und Migration sind zwar per Definition zwei unterschiedliche Paar Schuhe, aber die Grenzen dazwischen sind für die Einzelnen manchmal fließend. Beispiele für erfolgreich integrierte Menschen, die nach Europa geflohen sind und hier jetzt leben, gibt es zuhauf. So sind zahlreiche Gemeinschaften in den Mitgliedsstaaten ansässig geworden. Für diese Perspektive zu kämpfen, ist seit jeher ein Ziel DER LINKEN. Wir brauchen also beides, eine grundlegende humanistische Reform des Asylrechts UND faire rechtliche Grundlagen für Einwanderung – und zwar in Deutschland UND in der EU, wohl wissend, dass damit unterschiedliche gesetzliche Grundlagen und Handlungsspielräume verbunden sind.
Zum Asylrecht
Wir werden uns schnell einig darüber, das Asylrecht auf menschenwürdige Grundlagen stellen zu wollen. Aber dann kommt schon die Frage, wer soll eigentlich Schutz erhalten? Politisch Verfolgte? Wer sind die „Menschen in Not“? Was ist mit der Transfrau aus Iran, die wir im türkischen Abschiebegefängnis getroffen haben? Oder der Algerierin im Abschiebe-Center einer griechischen Insel, die zwangsverheiratet wurde und deshalb aus ihrem Land floh? Wie gehen wir mit Klimaflüchtlingen um? Wir sind der Ansicht, dass es sowohl auf europäischer wie auf bundesdeutscher Ebene zwingend erforderlich ist, die Definition von Flucht- und damit Schutzgründen deutlich zu erweitern. In der Bundesrepublik muss das einhergehen mit der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dieser Punkt sollte Konsens sein in der LINKEN. Wichtig ist eine Vereinfachung des Asylrechts im Sinne der Geflüchteten, und nicht, um diese schneller loszuwerden. Humanitäre Visa, die in deutschen Botschaften ausgestellt werden dürfen sind dringend erforderlich, ebenso die Abschaffung des Konzeptes von sicheren Herkunfts- oder Transitländern.
Spätestens hier befinden wir uns in einem europarechtlichen Rahmen, der Anwendungsvorrang hat. Asylpolitik und übrigens auch Einwanderungspolitik kann nie nur national gedacht und umgesetzt werden, erst recht nicht in einem Schengen-Europa. Mit Blick auf das Asylrecht: Humanitäre Visa sind seit langem eine Forderung des Europaparlamentes, die Einführung scheitert regelmäßig am Rat der EU, in dem die Innenminister schalten und walten. Oder nehmen wir das Asylpaket (Verfahrens-RL, Qualifikations-RL, Dublin-VO, Aufnahme-RL), das gegenwärtig komplett reformiert wird. Bis auf die Aufnahme-Richtlinie werden alle bisherigen Richtlinien künftig EU-Verordnungsrang haben und den Regierungen nur wenig Spielraum lassen. Schon deshalb ist es geboten, sich in den Mitgliedsstaaten dazu wahrnehmbar zu äußern und auch die Bundesregierung mit klaren Aufträgen auszustatten. Das Mandat des Europaparlamentes zur Dublin-Verordnung sieht zwar leider immer noch keine freie Auswahl des Ziellandes vor, würde aber dennoch faktisch die Abschaffung des bisherigen Dublin-Systems bedeuten, demzufolge meistens die Menschen dort bleiben müssen, wo sie zum ersten Mal die EU betreten haben. Das EP schlägt eine Mischung aus objektiven Kriterien vor, gepaart mit einem, wenn auch begrenzten, Auswahlelement für die Antragsteller*innen. Zudem enthält es die bislang größten Fortschritte zur Humanisierung des Asylrechtes seit sehr vielen Jahren. Der Kommissionsentwurf zur Dublin-Reform, der die de facto Abschaffung des Asylrechtes beinhaltete, wurde gekippt. Es gibt Regelungsvorschläge im Mandat, die der dringenden Unterstützung bedürfen, wie die Abschaffung einer Zulässigkeitsprüfung vor dem eigentlichen Asylverfahren als Filter unter Anwendung des Sichere-Staaten-Konzeptes. Denn mit einem solchen Filter würde das Asylrecht aus Europa ausgelagert. Das Parlamentsmandat umfasst weitreichende Regelungen für unbegleitete Minderjährige, einen für Antragsteller unentgeltlichen Rechtsbehelf in allen Verfahrensphasen und einen Kriterienkatalog, der dem Dublin-Verfahren vorgeschaltet ist. Zu diesen Kriterien gehören das Recht auf Familienzusammenführung unabhängig vom Schutzstatus, die Anerkennung von Diplomen, Qualifikationen, die möglicherweise in einem Mitgliedsstaat (MS) erworben wurden, auch persönliche Bürgschaften und humanitäre Gründe, kulturelle, soziale Bindungen zu einem MS, Sprachkenntnisse. Trifft ein Kriterium zu, ist automatisch der MS für den Antragsteller zuständig, zu dem es eine solche Anbindung gibt. Vor allem diese Kriterien, die, wie unschwer zu erkennen ist, nicht nur asylrechtlich begründbar sind, müssen in den Verhandlungen mit dem Rat verteidigt werden.
Noch ein Wort zum Thema Fluchtursachen bekämpfen: dazu bekennt sich ja nunmehr fast jede und jeder, selbst die Kanzlerin. Selbstverständlich finden auch wir, dass hier vielmehr getan werden muss. Das fängt beim Verbot von Waffenexporten u.ä. an. Dazu gehört eine faire Handels- und Wirtschaftspolitik gegenüber weniger entwickelten Drittstaaten. So etwas wie einen Marshall-Plan für größere Regionen, um nachhaltige Entwicklung zu fördern, ist dafür absolut zwingend. Wir brauchen ein völliges Umdenken und neue Strategien im Verständnis von Handel und Wandel mit Drittstaaten in benachteiligten Regionen der Welt, basierend auf Fairness, Augenhöhe, Nachhaltigkeit. Das war übrigens eine Erfahrung, die wir in Jordanien machten. Dort haben uns die Behörden immer wieder gesagt, dass Geflüchtete als Chance wahrgenommen werden, die Infrastruktur des Landes zu entwickeln. „Wir brauchen gezielte Förderung zur Entwicklung des Landes, damit Jordanien ein Land der Beschäftigung, auch für Geflüchtete, werden kann“, so der O-Ton des Infrastrukturministers eines kleinen Königreiches. Solche Vorschläge müssen ernsthaft geprüft werden. Dennoch reicht das eben nicht aus, wenn ganz konkrete Menschen an der EU- Außengrenze ankommen und um Aufnahme und Schutz bitten. Dann mit den Defiziten des Weltkapitalismus zu argumentieren, ist zynisch und Zeichen einer Denkweise, die Ideologie über die Bedürfnisse von Menschen stellt. Stattdessen müssen wir uns pragmatisch entscheiden, ob und wie wir Unterstützung gewähren.
Zu Grenzen und Grenzkontrollen
Das Leitbild einer offenen Gesellschaft dürfen wir nicht in die Zukunft verschieben. Der Offenheit für Waren und Beziehungen des Kapitals müssen wenigstens wir – und gerade heute – offene Grenzen und die Grundrechte der Bürger*innen entgegenhalten. Dass wir bei der Umsetzung dieses Zieles schrittweise vorgehen müssen, dürfte klar sein. Im Thesenpapier heißt es, dass Grenzkontrollen nicht per se gewaltsam oder menschenfeindlich seien. Das halten wir für eine idealistische und naive Sichtweise, die so tut, als ob die staatliche Sicherheitsarchitektur ein neutrales Gebilde frei von Machtdynamik sei. Es lohnt auch die Wirksamkeit von Grenzkontrollen zu hinterfragen. Sehr wirksam gegen Terroristen oder Spione sind sie ohnehin nie gewesen, und „erfolgreich“ nur, wenn z.B. am Brenner möglichst kein Geflüchteter durchkommt. Wir haben das monatelang an der deutsch-französischen Grenze erlebt, wo wir als Europaparlamentarier durchgewinkt wurden, und Autos, in denen Menschen mit dunklerer Hautfarbe saßen, rausgeholt und kontrolliert wurden. Ethnisches Profiling nennt man das und es ist eine rassistische Praxis. Grenzkontrollen zwischen den Beitrittskandidatenländern und der EU dienen übrigens auch dazu, Einwanderer und Flüchtende zu stoppen, Roma-Familien nimmt man dabei gern den Pass ab. Insofern sind Grenzkontrollen nicht neutral. Und was die EU-Außengrenze angeht: Niemand hat Einwände dagegen, dass diese Grenze gegen Überfälle o.ä. geschützt wird. Die jetzt geplanten 10.000 Frontex-Grenzbeamten allerdings, die sich künftig an den Außengrenzen herumtummeln sollen, sehen ihr Hauptziel ganz klar in der „Flüchtlingsabwehr“. Ihre zweite Priorität ist der Kampf gegen Schmuggel – von Menschen, nicht von gefälschtem Parfüm, wohlgemerkt. Und dafür werden entsprechende Instrumente bereitgestellt. Noch etwas zum Datenaustausch: Schengeninformationssystem II, Eurosur, das elektronische Einreise- und Ausreisesystem, das Visainformationssystem, die kommende Reiseautorisierung ETIAS – all das sind Datenkonvolute, die Milliarden Datensätze sammeln und die Grundsätze von Privatsphäre und Rechtsstaatlichkeit für die Bürger*innen systematisch untergraben. Das nächste Projekt ist die sogenannte Interoperabilität – all die genannten Datenbanken werden zusammengeschlossen mit dem Ziel, eine Datenbank aller nicht-EU-Bürger*innen zu errichten. Das ist nicht nur symbolisch eine Festung, sondern faktisch. Wir als LINKE müssen uns unsere gesunde Skepsis gegenüber solchen Praktiken erhalten, deren Ziele offenlegen und das Recht der Bürger*innen auf Freizügigkeit verteidigen.
Zur Einwanderung
Wenn wir Ja sagen zu offenen Grenzen, dürfen wir als LINKE dann auch Regelungen zur Einwanderung vorschlagen? Gäbe es Gründe, die das rechtfertigen? Zum einen gilt es festzustellen, dass jede Regulierung, auch die beste, irgendwelche Begrenzungen vornimmt. Zum anderen können Regelungen, die wir als LINKE vorschlagen, Einwanderung fördern, erleichtern und auf diese Weise darauf hinwirken, die Gesellschaft, in der wir leben, weiter zu öffnen.
Und ja, es ist durchaus möglich, dass mit dem Vorschlag der Projektgruppe die Attraktivität von Deutschland als Einwanderungsland und als Ziel von Flüchtenden enorm zunimmt, vor allem wenn wir den Fokus nur auf die Bundesrepublik richten. Ein linkes Einwanderungskonzept sollte den Focus nicht nur auf den nationalstaatlichen Rahmen richten, sondern mindestens europäisch gedacht werden.
Einwanderung ist ein täglicher Fakt. Einwanderung gibt es seit Menschengedenken und die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Gegenwart führen dazu, dass Migration eher zunimmt. Und egal, was wir und wie wir regeln, wir werden uns auch nie aussuchen können, wer letztlich zu uns kommt. Das muss auch klar sein. Wir brauchen daher einen europäischen Rahmen für Einwanderung UND nationale Regelungen, wenn mit zunehmenden Migrationsbewegungen menschenwürdig umgegangen werden soll.
Auch wenn der Wille der meisten Mitgliedsstaaten, sprich der Regierungen, dazu nicht vorhanden ist, dürfen wir als LINKE dieses Ziel nicht beiseitelegen. Gegen deren Festungspolitik müssen wir die offene Gesellschaft verteidigen. Dazu gehört als ein Element ein humanes und Freizügigkeit förderndes Einwanderungsrecht. Andernfalls müssten wir uns mehr oder weniger mit dem Status Quo abfinden, wie mit der weithin ausgeprägten Rechtlosigkeit von Einwanderern, ihrer oft hemmungslosen Ausbeutung und Ausspielung gegen die einheimische Bevölkerung. Und wir sollten starke Einwanderungsrechte einfordern, die auch einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, da sie sonst nicht einklagbar sind.
Auch wir sind der Meinung, dass Einwanderung nicht auf ein Nützlichkeitsprinzip verkürzt werden darf, „angebotsorientierte Einwanderungspolitik“ lehnen wir ab, gehört diese doch eher in koloniale Denkstrukturen. Die Projektgruppe argumentiert, es geht ihr um ein inklusives Wir, derer, die hier leben, was wir ausdrücklich teilen. „Im Mittelpunkt eines Einwanderungsgesetzes stehen für DIE LINKE die Bedürfnisse der Menschen und damit individuelle Gründe und Ursachen für Migration, nicht die Bedürfnisse und ökonomischen Zwänge des deutschen Arbeitsmarktes“. Für uns ist dies Ausdruck einer modernen linken Position, die versucht, individuelle Bedürfnisse und Rechte mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Interessen besser zu vereinbaren.
Wenn wir in Deutschland über Einwanderung sprechen, dann müssen wir einen Zusammenhang zum Leben in diesem Land herstellen, so die Autor*innen des Thesenpapiers. Richtig, und was ist ihr Vorschlag? Eigentlich nichts. Linke Einwanderungskonzepte sollen nicht destabilisieren, und die Arbeiterklasse schwächen und außerdem sollen sie nicht kleine mobile Minderheiten privilegieren. Aber wer ist damit gemeint? Wer aus- bzw. einwandert, dem wird eine gewisse Mobilität abverlangt. Es gibt zahlreiche Gründe einzuwandern, nicht nur wirtschaftspolitische. Auch, eine spezielle Ausbildung oder eine bestimmte Arbeit zu bekommen, oder Familiennachzug, was auch immer Menschen dazu veranlasst, in einem anderen Land leben zu wollen. Daran gibt es nichts zu beargwöhnen. Weiter heißt es im Thesenpapier, wir Sozialist*innen sollten kollektive und gesellschaftliche Lösungen anbieten. Was bitteschön ist das? Und welche Rolle spielt darin das Individuum? Das verursacht ein höchst unwohles Gefühl bei uns. Außerdem sei Integration nicht kostenneutral, heißt es sinngemäß weiter. Richtig, auch eine neue Autobahn ist auch nicht kostenneutral, aber im Unterschied dazu ist die Investition in Menschen eine wirklich nachhaltige. Es gibt leider keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem vorgeschlagenen Text der Projektgruppe, außer dem Verweis auf ein DGB-Papier, das vor der sogenannten „Flüchtlingskrise“ entstanden ist. Und das reicht eben nicht. Wir leben in einer Zeit, in der gesellschaftliche Fortschritte den überregionalen Austausch zur Voraussetzung haben und insofern ist Einwanderung eine Chance für alle Beteiligten, auch für die ankommende Gesellschaft.
Mangels Argumentation im Thesenpapier zu den kritisierten Inhalten, die die Projektgruppe zur Diskussion freigegeben hat, beziehen wir die nachfolgenden Bemerkungen auf das Papier der Projektgruppe.
Festzuhalten ist, dass die Projektgruppe weder eine unregulierte Arbeitsmigration noch die Aushebelung des Rechtsstaates vorschlägt. Im Gegenteil, ihre Vorschläge beinhalten Einreisebedingungen und Voraussetzungen, die an einen legalen Aufenthalt gebunden sind. Äußerst positiv ist der Vorschlag, minderjährigen Personen ohne Vorbedingungen bis zur Volljährigkeit einen befristeten Aufenthalt zu geben. Hier geht es um das Kindeswohl, das prioritär ist, eine Bedingung, die wir als LINKE stets eingefordert haben. Und es muss grundsätzlich soziale Anknüpfungspunkte für Einzuwandernde geben. Das finden wir richtig, wir fordern aber zugleich die Debatte dazu ein, in welcher Weise und wann diese Anknüpfungspunkte im Einwanderungsverfahren geltend gemacht werden müssen und wie damit flexibel umgegangen werden kann. Damit wollen wir keine zusätzlichen Hürden aufzustellen, sondern Klarheit herbeiführen. Ausdrücklich enthalten die Kriterien ja auch die Aufnahme von Arbeit und Ausbildung, sodass das System vielen Menschen offen stünde. Auch Sprachkenntnisse, kulturelle Anbindungen sollten dazu gehören. Aber wie auch immer, Menschen, die eingewandert sind und die einen Anspruch auf Staatsbürgerschaft erhalten werden, sollten definitiv eines dieser Kriterien erfüllen. Das kann dann ein Erfolg für alle Beteiligten werden, wenn sich auch in unserer Gesellschaft etwas ändert. Dazu ist auch eine entsprechende Infrastruktur erforderlich, die Offenheit atmet und nicht bürokratische Hürden aufbaut und Einwandernde mit bündelweisen Anträgen erschlägt. Diese Infrastruktur muss schon im Vorfeld Bedingungen schaffen, damit Einwanderung nicht elitär wird. Ohne einen Wandel in den Institutionen, in der Schule, Hochschule, bis hin zu den Arbeitsagenturen, Handwerkskammern usw. ist das nicht zu machen. Die Willkommenskultur, von der wir in Deutschland so oft sprechen, sie müssen wir an vielen Stellen erst noch schaffen, in allen Bereichen, in Verwaltung, Polizei, Behörden.
Auf diese Weise dürfte auch weitgehend vermieden werden, Menschen nach einer gewissen Zeit wieder auszuweisen. Das ist für uns als LINKE enorm wichtig, wissen wir doch um die negativen Effekte von Abschiebungen für betroffene Menschen, aber auch für die Gesellschaft bei uns. Als LINKE sind wir gegen Abschiebungen und die damit verbundene rigide Politik gegenüber Migrant*innen. Die von der Projektgruppe formulierten Abschiebehindernisse sind absolut notwendig, aber egal, was wir sonst noch als mildernde Umstände im Vorschlag der Projektgruppe vorfinden, Ausweisungen würden damit nicht absolut verhindert. Was würde das konkret für Ausreisende bedeuten? Da haben wir leider keine guten Bespiele parat. Darüber müssen wir dringend nochmal mit Expert*innen sprechen.
Besonders wichtig sind die Vorschläge zu Einwanderungsrechten. Hier können wir als LINKE sehr viel einbringen, unser Wissen und unsere Erfahrungen aus den letzten 20, 30 Jahren. Die Rechte der Einwanderer müssen deutlich gestärkt und so ausgerichtet sein, dass sie auf eine zügige Gleichstellung mit der einheimischen Bevölkerung abgestellt werden. Das ist auch eine Frage des sozialen Friedens und gelebter Selbstbestimmung. Wichtig wäre es, die Vorschläge mit Migrant*innen selbst zu debattieren. Vermutlich werden dann die Prioritäten noch anders aussehen.
Wie sagen wir es zuhause?
Was auch immer wir konzeptionell vorschlagen, ohne Transparenz, ohne Einbeziehung aller Beteiligten, werden wir erfolglos sein. Eine ehrliche Diskussion ist vonnöten, um die volkswirtschaftlichen und finanziellen Folgewirkungen ermessen zu können, und um zu verdeutlichen, dass dies auch für uns Veränderung bedeutet. Dabei geht es nicht nur um Geld, das investiert werden muss, sondern auch darum, den Bürger*innen in den Städten und Gemeinden Ängste zu nehmen, sie nicht außerhalb der Prozesse zu belassen. Projekte der Integration dürfen nicht nur die Ankommenden meinen. Sie müssen erlebbar für die Menschen in unserem Land sein. Die berechtigte Frage: Wo sind wir in eurem Konzept? Was bringt mir das persönlich? sollten wir ernst nehmen. Sie braucht eine faire Antwort.
Wir sind überzeugt, dass Einwanderung Vorteile für alle Seiten mit sich bringt. Aber diese Vorteile müssen bei allen Beteiligten letztlich ankommen. Denn wir diskutieren hier nicht über eine kleine Detailregelung, sondern über ein großes politisches Projekt, wie die Energiewende oder die Grundsicherung.
Mit Hilfe dieses Vorschlages und der Diskussion darum werden wir in die Lage versetzt, Alternativen zur gegenwärtigen nationalstaatlichen und europäischen Politik auf diese Feldern ins Gespräch zu bringen. Allein das ist schon ein wichtiges Ziel. Die sogenannte Alternativlosigkeit oder das Einknicken vor Pegidisten und AfD braucht eine mutige Kampfansage. Und wir stehen keineswegs allein da. Seit vielen Jahren engagieren sich Menschen unterschiedlichster Organisationen, Initiativen für diese Ziele, auch die Kirchen und ganz viele Leute, die gar keiner Organisation angehören.
Das sollte uns Mut machen. Denn wir sind Viele.
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