Frauen und Männer „im Reißverschluss“

Mit einem neuen EU-Wahlrecht soll es nicht nur mehr Geschlechtergerechtigkeit geben, sondern auch eine tatsächliche Europäisierung

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Das Europäische Parlament hat für eine EU-Wahlreform gestimmt, die auch eine 3,5-Prozent-Sperrklausel enthält. Der Abgeordnete Martin Sonneborn erklärt, wie es SPD und CDU gelungen ist, die umstrittene Klausel in den Entwurf zu bugsieren. Zudem macht der Satiriker erstmals öffentlich, dass auf seinem Smartphone Spuren der Spionagesoftware Pegasus gefunden wurden.

Bereits Anfang Mai hatte das EU-Parlament mit knapper Mehrheit für eine
Wahlrechtsreform gestimmt. So soll es bei der Besetzung der Wahllisten
zukünftig geschlechtergerecht zugehen. Nach dem Reißverschlussprinzip
sollen Frauen und Männer gleich stark vertreten sein. Wer bedenkt, dass
die deutsche CDU gegen entsprechende Paritätsgesetze – etwa in
Brandenburg – gestimmt hat, kann erahnen, wie die Rechtspopulisten in
Ungarn oder Polen zu diesem Reformpunkt stehen. Dabei wäre so eine Quote
hilfreich, denn in einigen Ländern wurde 2019 keine einzige Frau ins
EU-Parlament gewählt. Viel Diskussionsstoff bietet auch die geplante
europaweite Wahlliste, auf der Kandidat*innen aus allen 28
Mitgliedsstaaten antreten können. Somit hätten die Bürger*innen eine
Erststimme für ihre nationale Partei und eine Zweitstimme für die
europaweite Liste.

Kleinere Staaten fürchten jedoch, hier das Nachsehen
zu haben. Deshalb hat man sich auf einen Kompromiss verständigt, der so
kompliziert ist, dass ihn kaum jemand versteht. Nur soviel: Die
Mitgliedstaaten sollen je nach Bevölkerungszahl in drei Gruppen
eingeteilt werden. Kandidat*innen aus diesen drei Gruppen sollen dann
auf der Liste „proportional vertreten sein“.

Der sozialdemokratische Parlamentarier Domenico Ruez Devesa hat die Reform als Berichterstatter begleitet und erklärte euphorisch: „Diese Reform wird die Sichtbarkeit der europäischen politischen Parteien erhöhen“. Dabei gibt es einen Punkt auf der Reformagenda, der einige Parteien unsichtbar machen wird: Eine 3,5-Prozent-Hürde soll künftig für alle Mitgliedsstaaten gelten, die aufgrund ihrer Größe mehr als 60 Sitze im EU-Parlament beanspruchen.

„Die Regelung ist so formuliert, dass nur Deutschland etwas ändern muss
– es ist also ein Spezialgesetz gegen die Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts“, erklärt Martin Sonneborn, mittlerweile
einziger Abgeordneter der Partei DIE PARTEI. Seine als Satire getarnte
Systemkritik kommt gut an: Bei den Wahlen 2019 erhielt die von ihm
gegründete PARTEI 2,4 Prozent und zog mit zwei Abgeordneten ins
Parlament. Insgesamt konnten die kleineren deutschen Parteien, wie Volt
oder die Piraten, sieben Mandate erringen. Und auf diese Sitze haben die
ehemaligen Volksparteien ein Auge geworfen: „Es sind hier in Brüssel nur
die Deutschen, die auf die Sperrklausel bestehen. Und zwar eine Große
Koalition aus CDU, CSU und SPD.“

Erstmals hatte der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier (SPD) eine solche Sperrklausel quasi in Auftrag
gegeben. „Zweimal hat das Bundesverfassungsgericht diese wieder
kassiert“, so Sonneborn. Tatsächlich hatte Karlsruhe im Jahre 2014 eine
vorgesehene Drei-Prozent-Sperrklausel als verfassungswidrig gekippt.
2011 hatten die Richter*innen geurteilt, dass die damals beschlossene
Einführung einer Fünf-Prozent-Klausel „gegen die Grundsätze der
Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien“
verstoße. „Da Union und SPD in Deutschland mit ihrer Sperrklausel
gescheitert sind, geht man nun den Weg über Brüssel. Hier wird
europäisches Recht gegen deutsche Grundrechte in Stellung gebracht“, so
Sonneborn. Fakt ist: Vor allem Union und SPD würden vom Ausscheiden der
kleineren Parteien profitieren. „Die SPD als sterbende Volkspartei
braucht jedes Mandat“, meint Sonneborn. Es war dann auch die
sozialdemokratische Abgeordnete Gaby Bischoff, die im zuständigen
EP-Ausschuss den Änderungsantrag für eine solche Sperrklausel
einbrachte. Ursprünglich stand die Klausel nicht im Entwurf. Bischoff
hatte im Ausschuss zahlreiche Änderungsanträge gestellt, die meisten
aber zusammen mit anderen EP-Abgeordneten. „Ausgerechnet die
Sperrklausel hat sie ganz allein eingebracht“, unterstreicht Sonneborn
und sieht damit seine These bestätigt, dass die Order aus Berlin
gekommen sein muss.

Allerdings will der ehemalige Chefredakteur des Satire-Magazins Titanic
„keinen Tagessatz darauf verwetten, dass wir bei der nächsten Wahl eine
Sperrklausel haben“. Schließlich müsste sich nun der Rat mit der Sache
beschäftigen. „Initiativen wie die Wahlreform versanden dort für
gewöhnlich. Zumal die kommenden Ratspräsidentschaften das Thema nicht
oben auf die Agenda setzen werden. Wenn etwas nicht auf die Agenda
gesetzt wird, dann wird es auch nicht behandelt“, so Sonneborn. Alles
halb so wild? Nicht ganz, meint der fraktionslose Abgeordnete. „Wir
wissen aus SPD-Kreisen, dass es nicht nur um sieben Mandate geht. Wir
sollen auch keine Transparenz mehr herstellen können. Es ist schon
interessant, dass die PARTEI gezielt aus dem EU-Parlament gedrängt
werden soll.“

Überhöht Sonneborn die eigene Rolle? Irgendwer mit Einfluss und Geld
nimmt den Satiriker offenbar sehr ernst. So hätten sich auf seinem
Smartphone Spuren der Spionagesoftware Pegasus gefunden, mit der auch
polnische Oppositionelle oder katalanische Politiker*innen bespitzelt
wurden. „Wir hatten mein Handy mit der Software von Amnesty
International prüfen lassen“, so Sonneborn. Wer ihm die Software, die
unbemerkt Mikrofon und Kamera aktiviert und sämtliche Daten abgreift,
aufs Handy spielen ließ, weiß der Satiriker nicht. Ein Mitglied
des Chaos Computer Clubs, das er in der Sache konsultierte, habe nur
gemeint: „Die wollen euch signalisieren, dass nichts ungehört bleibt,
was ihr besprecht“.

Der Text erscheint auch auf https://www.nd-aktuell.de/

Ein Artikel von Fabian Lambeck

Fabian Lambeck

Fabian Lambeck arbeitet als Journalist mit Schwerpunkt Europäische Union in Brüssel.

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