EU-Mobilitätswende nicht ohne das Fahrrad!

Im EU-Parlament wurde erstmals eine Resolution beschlossen, die das Fahrrad als wichtigen Teil der Verkehrswende anerkennt. Ein starkes Signal, meint Anna Deparnay-Grunenberg

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Von allen Bereichen ist der Verkehrssektor europaweit der einzige, in dem die klimaschädlichen Treibhausgase in den letzten 30 Jahren immer weiter gestiegen sind. Angesichts dieser Tatsache ist klar: Eine Mobilitätswende hin zu klimafreundlichen Verkehrsträgern ist dringender denn je, um die Pariser Klimaziele noch einhalten zu können.

Tatsächlich steht die Verkehrspolitik in Europa am Scheideweg: Während konservative Kräfte unter Druck der Autolobby am Autobahnbau festhalten und den Verbrennungsmotor verteidigen, zeigte eine progressive Mehrheit im Europäischen Parlament vergangene Woche in Straßburg den Pfad hin zu einem emissionsfreien Verkehr auf. Der Beschluss über das Verbrenner-Aus bis 2035 kann als wegweisende Entscheidung gewertet werden – allerdings ist der Weg zu einer echten Mobilitätswende noch weit. Ein wichtiger Bestandteil für diese Wende, der bisher auf EU-Ebene wenig Beachtung gefunden hat: das Fahrrad.

Das Rad war in der europäischen Verkehrspolitik zuvor ein Randthema und wurde vor allem als Hobby und Sport angesehen. Dabei sind die Vorteile des Radfahrens im Alltag schon lange bekannt: Keine CO2-Emissionen, kein Schadstoffausstoß, kein Lärm – all das würde die Lebensqualität in den staugeplagten und luftverschmutzten Städten Europas steigern. In Sachen Umwelt- und Klimaschutz kann kein anderes Verkehrsmittel mithalten: Das Fahrrad verbraucht wenig Fläche, ist effizient und einfach mit anderen Verkehrsträgern wie Bus und Bahn zu kombinieren.

Das Potenzial ist riesig: Die Hälfte der Strecken, die in der EU mit dem Auto gefahren werden, sind kürzer als fünf Kilometer – hier spart das Fahrrad im Schnitt sogar Zeit, insbesondere durch die immer häufigere Nutzung von E-Bikes. Lastenräder machen das Verkehrsmittel auch für den Transport attraktiv: In einer Studie von 2018 gaben fast die Hälfte der Befragten an, dass sie ansonsten ein Auto benutzt hätten. Das Auto stehen zu lassen, lohnt sich auch finanziell: Die Instandhaltungskosten des Fahrrads sind um ein Vielfaches günstiger – ganz zu schweigen von den Spritkosten, die eingespart werden.

Warum ist der private Pkw dann für so viele immer noch die erste Wahl? Die Antwort liegt häufig in der Stadtplanung, die über Jahrzehnte am Auto ausgerichtet wurde: Keine oder schmale Radwege, unsichere Straßenführung, mangelnde Abstellmöglichkeiten. Bei einer derart fahrradunfreundlichen Gestaltung unserer Umgebung – in Deutschland wurde das Fahrradklima mit einer ernüchternden 3,9 bewertet – ist der geringe Anteil an Alltagswegen mit dem Rad kein Wunder.

Das soll sich nun ändern – zumindest, wenn es nach dem EU-Parlament geht. Mit der am vergangenen Donnerstag beschlossenen Resolution wurde die EU-Kommission aufgefordert, eine Radstrategie zu entwickeln und das Jahr 2024 als »Europäisches Jahr des Fahrrads« auszurufen. Konkret soll das Rad künftig in Gesetzgebungsprozessen, z.B. zu den Transeuropäischen Netzwerken, berücksichtigt werden. Investitionen sollen verstärkt in sichere Fahrradinfrastruktur und in Synergien mit anderen Verkehrsträgern fließen. Auf diese multimodale Vernetzung wird in der Resolution besonders großer Wert gelegt: Das Rad kann für die »letzte Meile« auf dem Arbeitsweg eine große Rolle spielen – wenn genügend Stellplätze an Bahnhöfen, in Zügen oder in Bussen vorhanden sind.

Neben der Infrastruktur soll auch die Radindustrie gestärkt werden – insbesondere in klein- und mittelständischen Unternehmen werden eine Million zukunftsfähige Arbeitsplätze mehr bis 2030 anvisiert. Ein reduzierter Mehrwertsteuersatz für Verkauf, Verleih und Reparatur würde den Verkehrsträger noch attraktiver machen. Kurz gesagt: Die Vorstellungen des Parlaments sind umfangreich.

Doch wie geht es jetzt weiter? Der Spielball liegt nun bei der Kommission: Ruft sie 2024 tatsächlich zum Jahr des Fahrrads aus und veröffentlicht anschließend eine EU-Radstrategie, könnten gleich mehrere Gesetze zur Stärkung des Fahrrads auf den Weg gebracht werden. Anschließend ginge es an die Umsetzung in den Mitgliedsstaaten. Einige EU-Länder haben bereits nationale Radstrategien, die durch die Gesetze der EU gestärkt werden könnten.

Wie eine gelungene Radverkehrsstrategie auf lokaler Ebene aussehen kann, machen viele Städte bereits vor: In Kopenhagen wurde ein ganzes Netzwerk aus »Protected Bike Lanes« geschaffen, das sich bis auf die ländliche Umgebung ausdehnt. Aber auch scheinbar kleine Details wie Fußstützen an Ampeln, »Drive-by Mülleimer« oder Reparatursäulen tragen zu fahrradfreundlicher Stadtplanung bei. Mobilitätsstationen mit leihbaren E-Bikes und Lastenrädern sind zentral, um möglichst viele Menschen zum Umstieg zu bewegen. Die Datenlage ist klar: Dort, wo gute und sichere Radinfrastruktur vorhanden ist, wird diese auch genutzt. Die finanziellen Anstrengungen unterscheiden sich jedoch gravierend: Während Utrecht 132€ pro Kopf in Radinfrastruktur investiert, sind es in München nur 2,30€.

All das zeigt: Eine gesamteuropäische Strategie für das Fahrrad, die sich an Best-Practice Beispielen wie Kopenhagen oder Utrecht orientiert, ist dringend notwendig. Und auch wenn die konkrete Umsetzung noch aussteht: Der Beschluss des EU-Parlaments ist ein starkes Signal zur Anerkennung des Fahrrads als vollwertiges Verkehrsmittel, das die Mobilitätswende maßgeblich voranbringen kann!

Ein Artikel von Anna Deparnay-Grunenberg

Anna Deparnay-Grunenberg

Anna Deparnay-Grunenbergist seit 2019 deutsch-französische Europaabgeordnete für Bündnis’90/Die Grünen. Sie ist Mitglied des Verkehrs- und des Landwirtschaftsausschusses und setzt sich für ein deutsch-französisches Tandem in Europa ein, das eine Vorreiterrolle im ökologischen Wandel übernehmen soll.

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