EU-Bürgerinitiative: Feigenblatt oder Demokratisierung?

Das EU-Parlament hat die Europäische Bürgerinitiative reformiert. Der große Wurf bei der Verbesserung dieses Demokratieinstruments blieb allerdings aus, meint Ronald Blaschke

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Die Europäische Bürgerinitiative soll mehr Mitsprache ermöglichen. Allerdings ist sie an kaum erfüllbare Auflagen geknüpft. Die daher jetzt im EU-Parlament angenommene Reform entpuppt sich als Reförmchen.

Es ist ein Trauerspiel: Die Europäische Union gibt den Bürger*innen die Möglichkeit, durch Europäische Bürgerinitiativen (EBI) die Politik der EU mitzubestimmen. Allerdings haben die Bürger*innen kaum eine Chance, dieses Instrument der Mitbestimmung effektiv zu nutzen. Entweder scheitern sie an dem hohen Quorum von einer Million Unterstützer*innen, oder an der Ablehnung bis hin zur offensichtlichen Ignoranz seitens des Adressaten der Bürgerinitiative, sprich der Europäischen Kommission. Man muss sich den demokratischen Sinn der EBI vergegenwärtigen: Bürger*innen verschiedener EU-Mitgliedsländer sollen sich zusammentun und ein relevantes Problem bei der Ausgestaltung der EU den über 400 Millionen europäischen Wahlberechtigten nahebringen. Sie haben ein Jahr Zeit, um für die Unterstützung ihres Lösungsansatzes zu werben. Die EBI wird – sollte die eine Million erreicht sein – der EU-Kommission vorgelegt, damit diese aktiv wird.

Man muss auch bedenken, was die für die EBI engagierten Bürger*innen leisten: nämlich zwei bis drei Jahre intensive, zeit- und ressourcenaufwändige Arbeit über Ländergrenzen hinweg. Es müssen Mitstreiter*innen, Personen wie Netzwerke, in mindestens sieben EU-Ländern und rechtlich wasserfeste Formulierungen für den Text der Bürgerinitiative gefunden, danach die Registrierung der EBI bei der Kommission erstritten werden. Ist dies gut ausgegangen, braucht es Webseiten, eine Menge Ehrenamtliche für Unterstützungssammlungen auf den Straßen, für die Organisation von Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Veranstaltungen. Wohlgemerkt: All das erfolgt ohne einen einzigen Cent direkter finanzieller Förderung seitens der EU.

Seit der über zehn Jahre bestehenden Möglichkeit von Bürgerinitiativen auf europäischer Ebene wurden 100 Initiativen registriert, 25 von der Kommission für unzulässig erklärt. Bisher haben sage und schreibe nur neun der von der Kommission registrierten Bürgerinitiativen die erforderliche Anzahl Unterschriften erreicht – also nicht einmal zehn Prozent. Selbst diese quantitativ erfolgreichen Bürgerinitiativen wurden nicht oder nur teilweise durch die Kommission umgesetzt. Für engagierte und beteiligte Bürger*innen ein Schlag ins Gesicht! Wer sich gemäßigt ausdrücken möchte, nennt die EBI ein Feigenblatt der EU, um seine Bürger*innenferne zu kaschieren. Drastischer ausgedrückt kann man es auch als Verarsche bezeichnen – mit dem zweifelhaften Erfolg, dass Beteiligte, von den Organisator*innen bis hin zu den Millionen Unterstützer*innen, an der Demokratiefähigkeit der EU zweifeln.

Dies kann nur beendet werden, indem Europäische Bürgerinitiativen ernsthaft reformiert werden. Jüngst hat dazu das EU-Parlament eine Resolution verabschiedet. Aber auch diese blieb hinter den Möglichkeiten zurück, die es gibt. Damit die EBI ein – wenn auch bescheidenes – Instrument zur Demokratisierung der EU werden kann, müsste vieles passieren: Erstens sollte eine EBI nach Erreichen eines Mindestquorums mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden, orientiert an der erreichten Unterstützer*innenanzahl. Zweitens wäre abzusichern, dass sowohl quantitativ erfolgreiche Bürgerinitiativen (als auch ein Mindestquorum erfüllende) eine Europäische Bürger*innenversammlung nach sich ziehen. Diese soll neben Parlament, Kommission und Vertreter*innen der EBI über die Themen öffentlich beraten und Empfehlungen abgeben. Drittens dürfen Beratungen in der Kommission nur mit Beteiligung der Organisator*innen einer EBI und nicht hinter verschlossener Tür stattfinden. Und viertens müssen gerichtliche Instanzen zeitnah über die Rechtmäßigkeit von möglichen Ablehnungen der Registrierung einer EBI entscheiden, ebenso zeitnah bei Ablehnung einer EBI-Forderung durch die Kommission. Fünftens schließlich sind die von der EU finanzierten EU Direct Informationszentren in den EU-Mitgliedsländern (in Deutschland allein 50) zu verpflichten, regelmäßig Vertreter*innen einer EBI zu Veranstaltungen einzuladen, damit über deren Themen informiert und diskutiert werden kann. Mit diesen und weiteren Reformen könnte aus dem Trauerspiel EBI ein Lustspiel Demokratie werden.

Ein Artikel von Ronald Blaschke

Ronald Blaschke

Ronald Blaschke ist Netzwerkrat beim Netzwerk Grundeinkommen und Mitgründer des europäischen Netzwerks Unconditional Basic Income Europe (UBIE). Er hat zwei Europäische Bürgerinitiativen zum Grundeinkommen mitorganisiert.

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