»Europa nimmt in Sachen Pressefreiheit keine gute Entwicklung«

Lutz Kinkel zu Angriffen auf die Pressefreiheit, europäische Staatschefs, die kritische Medien auf ihre Linie bringen wollen, und die Reaktion der EU

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Ein Interview mit Dr. Lutz Kinkel — das Gespräch führte Uwe Sattler

Dr. Lutz Kinkel

Dr. Lutz Kinkel ist Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (engl. European Centre for Press and Media Freedom, ECPMF) in Leipzig.

Sie haben vor wenigen Tagen vor vor dem für Pressefreiheit zuständigen Kulturausschuss des Europaparlaments auf eine Zunahme der gewaltsamen Übergriffe auf Journalist*innen verwiesen. Nahezu zeitgleich ist der niederländische Investigativreporter Peter De Vries an seinen Verletzungen nach einem Anschlag verstorben. Beobachten Sie eine Tendenz von der verbalen hin zur körperlichen Gewalt?

Der Anteil körperlicher Gewalt ist immer noch deutlich kleiner als jener von verbaler Gewalt, von Beschimpfungen, von Bedrohungen, von Einschüchterungen. Wir haben das für das erste Halbjahr 2021 erfasst. Etwa 22 Prozent der Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten waren körperliche Attacken, 46 Prozent verbale. Zum Teil ist es natürlich miteinander kombiniert. Das heißt, die körperlichen Attacken sind zwar immer noch der kleinere Teil, aber qualitativ sieht es anders aus. Qualitativ sind die Morde, die wir in den letzten Monaten und Jahren beispielsweise in Malta und der Slowakei beobachteten, tatsächlich etwas, was die Debatte dominiert. Diese Morde sind ja nicht nur »einfache« Morde, es sind demonstrative Hinrichtungen, Exekutionen am helllichten Tag. Damit ist eine Botschaft verbunden: Haltet euch zurück. Das ist massive Einschüchterung.

Was Gewalt gegen Journalist*innen und Medien angeht, war die EU bisher wenig betroffen. Ändert sich das gerade?

Europa nimmt definitiv im Moment keine gute Entwicklung in Sachen Pressefreiheit, sondern die Zustände werden immer schlechter. Dazu hat auch die Covid-Pandemie beigetragen, die Zugänge zu Informationen sind viel enger geworden. Manche Staaten, wie zum Beispiel Ungarn, haben die Pandemie als Vorwand benutzt, um generell die Medienfreiheit weiter einzuschränken. Außerdem haben wir nach wie vor die Welle des Rechtspopulismus und eine Stärkung autokratischer Regime in Europa. Rechte und Autokraten machen Journalistinnen und Journalisten immer das Leben schwer, weil sie diese zu Feindbildern erkoren haben. Europa, das im Vergleich zu anderen Erdteilen immer noch relativ hohe Standards bei der Medienfreiheit hat, erlebt bei diesen Standards gerade eine deutliche Verschlechterung. Das betrifft gar nicht in erster Linie die Großen der Branche. Aber insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene müssen immer mehr kleine Medien und Tageszeitungen dichtmachen.

Wirkt die Pandemie als Katalysator bei der Einschränkung der Pressefreiheit einerseits und bei Übergriffen auf Journalist*innen andererseits?

Klares Ja. Der Kern des Problems im Moment sind Verschwörungserzählungen. Und diese Verschwörungserzählungen haben eines gemeinsam, nämlich das Feindbild Presse. Diese Erzählungen gehen alle davon aus, dass die etablierten Journalistinnen und Journalisten dem Publikum etwas vorenthalten, nicht die Wahrheit sagen und es bewusst irreführen – im Interesse von imaginären dunklen Mächten und Eliten, die im Hintergrund die Geschicke lenken. Die Pressefeindschaft ist das integrierende Moment zwischen den unterschiedlichen Verschwörungserzählungen. Wir haben das in unseren Untersuchungen zu Deutschland deutlich herausgearbeitet. Die Studien nennen sich folgerichtig auch »Feindbild Journalist«. Und da sieht man ganz klar, dass zum Beispiel die Querdenken-Bewegung ganz unterschiedliche Milieus und ganz unterschiedliche politische Gruppierungen über die Klammer der Pressefeindschaft zusammenführt. Wir haben dort also nicht nur die Angriffe auf die freie Presse als programmatischen Punkt, sondern zugleich auch als verbindendes Element.

Das ist eine Seite. Wir haben auf der anderen Seite Politiker wie Ungarns Staatschef Viktor Orbán, der die Medien in seinem Sinne gleichschalten will. Potenzieren sich beide Tendenzen?

Auf jeden Fall. Die Autokraten selbst pflegen ja die Verschwörungserzählungen. Wie zum Beispiel der slowenische Ministerpräsident Janez Janša. Der glaubt, er stehe einer kommunistischen Verschwörung gegenüber, die es nur darauf abgesehen hat, seine Regierung zu demontieren. Alle kritischen Medien sind für ihn Teil dieser Verschwörung. Und in Ungarn hat Viktor Orbán tatsächlich bereits geschätzt 80 Prozent der Medien unter seiner Kontrolle, der öffentliche Diskurs in dem Land ist eigentlich schon vollkommen lahmgelegt. Und er betreibt diese Politik auch weiter. Zum einem mit massivem Druck auf die Medien, zum anderen auch mit dem ökonomischen Hebel. Indem er ganz offen mit Anzeigen aus dem Staatsapparat oder auch aus der Partei regierungsnahe und regierungsfreundliche Medien stützt und andere, missliebige, eben wirtschaftlich gegen die Wand laufen lässt. Das ist übrigens auch dieselbe Strategie, die wir in Polen und in verschiedenen anderen autokratisch geführten Staaten sehen.

Polen, Ungarn, Slowakei und Slowenien, das gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat: Bildet sich auch hier eine Gruppe, die europäische Werte wie die Pressefreiheit aushebeln will?

Es gibt tatsächlich eine Vernetzung im Kampf gegen kritische Medien. Janez Janša ist ein Freund von Viktor Orbán und betrachtet ihn als Vorbild – wie auch die polnische PIS-Regierung. Zugleich kaufen ungarische Oligarchen in Slowenien Medien auf und trimmen sie auf Regierungskurs. Das ist die Schützenhilfe, die Orbán direkt für seinen Freund Janša leistet. Der slowenische Regierungschef selbst versucht offensiv, die kritischen Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen. Dazu gehört auch die nationale Presseagentur, die zwar mit einem staatlichem Budget versorgt wird, aber nach wie vor kritisch auch gegenüber der Regierung ist. Janša versucht gerade, der Agentur den finanziellen Hahn zuzudrehen. Auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk versucht der Regierungschef, analog wie in anderen Autokratien, auf Regierungslinie zu bringen.

Was kann die EU tun, um Presse- und Medienfreiheit zu schützen?

Die EU tut ja schon etwas, insbesondere das Europaparlament drängt darauf, dass die Konditionalität eingeführt wird und tatsächlich auch umgesetzt wird. Und zwar in dem Sinne, dass Mitgliedstaaten, die die EU-Werte nicht beachten, und dazu gehört auch die Pressefreiheit, keine weiteren Subventionen mehr bekommen. Das ist etwas, was einem Regierungschef durchaus wehtut, was ihn auch zum Einlenken und Umsteuern motivieren könnte. Alle anderen Instrumente, die es gibt im Moment, haben sich dagegen als relativ wirkungslos erwiesen. Wir erleben das ja gerade im Konflikt um die polnische Justizreform. De facto ist es so, dass die autokratisch orientierten Staaten alle Versuche, den europäischen Werten Geltung zu verschaffen, schlichtweg ignorieren oder ausbremsen.

Was können die Medienhäuser selbst tun, um sich gegen Einschränkungen der Pressefreiheit zu wehren und Journalist*innen vor Angriffen zu schützen?

Es ist vollkommen klar, dass auf allen Seiten mehr getan werden muss, um Journalistinnen und Journalisten zu schützen. Das betrifft insbesondere die Polizei. Demonstrationen sind inzwischen der gefährlichste Arbeitsort für Journalistinnen und Journalisten. Und dort kommt es ganz wesentlich darauf an, wie die Polizei in der Lage ist, tatsächlich die Medienvertreterinnen und -vertreter zu schützen. Dafür brauchen wir intensive Schulungen der Polizei, damit sie das gewährleisten kann. Und wir brauchen auch eine vernünftige Einsatzplanung. Da tut sich zwar inzwischen einiges, insbesondere auch in Sachsen. Aber es ist eben noch nicht genug. Und was die Medienhäuser selbst tun können: Es gibt den Kodex für Medienhäuser, der bestimmte Sicherheitsmaßnahmen anregt, wie beispielsweise Security-Einsätze bei der Berichterstattung oder Rechtsschutz für auch online angegriffene Medienschaffende. Natürlich lässt sich nicht alles umsetzen, es ist ja letztlich auch immer eine finanzielle Frage. Aber es ist ein Ansatz. Nicht zuletzt sollten von Angriffen betroffene Medienvertreterinnen und -vertreter dies auch auf Plattformen wie zum Beispiel www.mappingmediafreedom.org, die wir als ECPMF betreiben, bekannt machen. Denn Öffentlichkeit herzustellen ist ebenfalls ein wirksamer Schutzmechanismus.

Ein Artikel von Uwe Sattler

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Der Journalist gehört zudem der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" an.

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