»Eine Neuauflage des alten Verhältnisses funktioniert nicht«

Handelsexperte Helmut Scholz zu den Beziehungen zwischen der EU und den USA sowie der westlichen Allianz gegen China

© iStock

Ein Interview mit Helmut Scholz — das Gespräch führte Uwe Sattler

Helmut Scholz

Helmut Scholz ist Europaabgeordneter und Handelspolitischer Sprecher der Delegation DIE LINKE. im Europäischen Parlament. Er ist unter anderem Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel (INTA), im Ausschuss für Konstitutionelle Fragen (AFCO) und in den Delegationen für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und zu China.

Unter US-Präsident Donald Trump war das Verhältnis zwischen EU und Vereinigten Staaten angespannt, was sich nicht zuletzt in „Strafmaßnahmen“ im Handelsbereich zeigte. Wird Joe Biden beim EU-USA-Gipfel am Dienstag moderater agieren als sein Vorgänger?

Es ist ein demonstratives Signal, dass Joe Bidens erste Auslandsreise nach Europa führt. Vor ihm war US-Außenminister Blinken bereits mehrere Male in den letzten Monaten in Brüssel. Das Gipfeltreffen in einer so frühen Phase der Präsidentschaft ist also die nach außen getragenen Bereitschaft, wieder stärker mit der EU zusammenzuarbeiten. Bidens Ankündigung, auf Sanktionen wegen Nord Stream 2 zu verzichten, wird auf der EU-Seite als Schwenk in der amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik gedeutet. Zugleich dürfte diese vor allem an Deutschland gerichtete Geste der Preis für die Umsetzung der US-Forderung nach vertiefter transatlantischer Zusammenarbeit gegen den neuen großen politischen und wirtschaftlichen Rivalen China sein. Dieser Richtungswechsel der Biden-Harris-Administration wird von den EU-Mitgliedstaaten begrüßt und als ein Anknüpfen an die alten Traditionen der transatlantischen Kooperation gefeiert. Das aber würde ich hinterfragen: Wo haben die Europäer eigene Interessenlagen? Lassen sich die EU-Länder nach den Erfahrungen mit Trump einfach wieder auf Gedeih und Verderb in die US-Politik und -Strategie einbinden? Eine bloße Neuauflage des alten Verhältnisses wird nicht funktionieren: Die heutigen Herausforderungen und globalen Bedingungen sind ganz andere als noch vor fünf Jahren. Und übrigens: Die Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumprodukte aus Deutschland und der EU werden noch immer erhoben. Trotz viermonatiger Aussetzung des Streits um die Airbus/Boeing-Subventionen ist eine dauerhafte Lösung nicht in Sicht, bleiben weitere Fragen wie die Besteuerung der Tech-Konzerne akut und Drohkulisse für den Verhandlungstisch.

Positiv aber ist doch zumindest, dass Bidens Unterstützung für die zeitweilige Aufhebung des Patentschutzes für Covid-Impfstoffe in der Welthandelsorganisation auch zu einem Umdenken in der EU geführt hat.

So einfach kann man das nicht sagen. Es ist natürlich richtig, dass die USA zu den über 100 Staaten gehören, die die in der WTO von Südafrika und Indien offiziell eingebrachte Forderung nach zeitweiliger Patentschutzaussetzung, den sogenannten Trips-Waiver, im Rahmen des Trips-Abkommens unterstützen. Es ist ebenso richtig, dass die EU, die genau dies vehement ablehnt, damit weiter unter Druck gerät. Diese US-amerikanische Positionsänderung erfolgte jedoch erst, als in den USA genügend Impfstoff bereitstand, vorher wollte man es sich nicht mit der Pharmaindustrie verderben. Vor allem aber ist offen, ob die EU den Waiver mitträgt und hier transatlantisches Einlenken befördert. Viel hängt von Deutschland, aber auch Frankreich, die sich mit dem Argument des Erhalts von Wettbewerbsfähigkeit  gegenüber amerikanischen Pharmariesen, aber auch anderer Wettbewerber bislang verweigern. Umso wichtiger und ein deutlicher Wink zum US Kongress ist, dass in der vergangenen Woche eine beachtliche Mehrheit des Europaparlaments sich für die zeitweilige Patentschutzaufhebung für Corona Impfstoffe ausgesprochen hat, nicht zuletzt auf Initiative und monatelanges Agieren der Linksfraktion hin. Ob dies beim EU-Rat, also den Regierungen, zum Umdenken führt, ist leider noch offen. Das Fehlen jeglichen Hinweises auf diesen wichtigen Aspekt globaler Bekämpfung einer Pandemie im G7-Abschlussdokument verlangt nun dringliche Nacharbeiten beim EU-US-Gipfel.

Biden ist vor einem knappen halben Jahr mit dem Versprechen angetreten, mit der Politik seines Vorgängers zu brechen und die US-amerikanische Gesellschaft zu einen. Ist davon etwas zu bemerken?

Biden will vieles, was Trump an Verzerrungen, Verbiegungen, hinsichtlich der gesellschaftlichen Spaltung angerichtet hat, wieder reparieren. Er setzt auf Verständigung und auf Dialog in der US-amerikanischen Gesellschaft. Inwieweit ihm dies gelingt, ist noch schwer abzuschätzen. Er muss jedoch gerade den vielen jungen Menschen, die entscheidenden Anteil an seinem Wahlsieg haben und die eine radikalen Bruch mit der Trump-Ära einfordern, entgegenkommen. Zu Recht: ein Weiter-so kann es angesichts der Kluft in der amerikanischen Gesellschaft nicht geben, soll wirklich eine Modernisierung in Angriff genommen werden. Aber das amerikanische Geschäftsmodell, das Trump nur bis zur Perversion trieb, das „America first, Amerika wieder stark machen,“ bleibt Grundlage der Wirtschafts- und Gesellschaftsstrategie – ist es doch Voraussetzung für den Anspruch rigoroser Absicherung der dominierenden Rolle in der Weltwirtschaft und in der Weltpolitik. Und das ist auch Bidens Linie. Da knüpft er nahtlos auch an seine Erfahrungen aus der Vizepräsidentschaft unter Barack Obama an, an seine jahrelangen Erfahrungen als Chef-Außenpolitiker der Demokratischen Partei im US-Kongress. Daher bin ich überzeugt, dass der EU-USA-Gipfel für Washington auch dazu dienen soll, nicht nur auszuloten, ob man mit den Europäern gegen den globalen Hauptkonkurrenten – China – kooperieren kann. Sondern um Nägel mit Köpfen zu machen. Die Signale aus Brüssel, Berlin, Paris und Warschau dafür dürften Biden optimistisch stimmen.

Also eine europäisch-amerikanische Anti-China-Allianz?

Das wäre eine fatale Entwicklung. Es ist klar, dass die globalen Herausforderungen wie Klimawandel oder die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele nicht gegen-, sondern nur miteinander zu bewältigen sind. Der US-Präsident hat da durchaus Akzente gesetzt, etwa mit dem Wiedereintritt ins Pariser Klimaabkommen. Zugleich zeigt sich, dass es zu wenig Bereitschaft dabei gibt, die Kernsubstanz eigener machtpolitischer Strategien anzutasten, wenngleich neue Räume des Agierens aufgeschlossen werden. Letzteres ist neu, da unterscheidet sich Biden von seinem Vorgänger. Dazu gehört übrigens auch, Russland einzubinden; ein Treffen Bidens mit Präsident Putin steht diese Woche ebenfalls auf der Agenda. Wenn da wenigstens eine Wiederbelebung atomarer Abrüstung und die Wiedereinsetzung des Open-Skies-Abkommens rauskommen würde, wäre ein wichtiger Punkt gesetzt: Politik und Diplomatie gehen wieder. Insgesamt gehören die gesamte Weltwirtschafts- und Handelsbeziehungen auf den Prüfstand, ob und wie sie zur Lösung der Menschheitsprobleme beitragen können. Handelskriege sind da gar keine Option.

In der Realität scheinen sich aber gerade die Handelskriege zu verstärken, auch, weil der internationale Handel offensichtlich mehr und mehr als außenpolitisches Instrument genutzt wird. Gerade auch gegen China.

Da würde ich zustimmen. Ich sehe gegenwärtig wenig Bereitschaft, von Konfrontation auf Kooperation umzusteigen. Im Gegenteil: China wird als DIE wirtschaftliche und gesellschaftspolitische »Bedrohung des Westens« definiert und auch wahrgenommen. Es wird mehr und mehr Usus, ja politische Doktrin, unterschiedliche Wertvorstellungen der Ausgestaltung der innenpolitischen gesellschaftlichen Entwicklung zum Ausgangspunkt für die Bewertung in Gut und Böse vorzunehmen. Das widerspricht Geist und Buchstaben der Vereinten Nationen, das widerspricht der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, und vor allem der gemeinsamen Verantwortung für die Bewahrung des Weltfriedens und der aktiven Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030. Es bleiben nur noch neun Jahre. Das widerspricht auch allen Erfahrungen aus der Überwindung der Blockkonfrontation. Und dies alles im Bewusstsein der gravierenden Folgen für Millionen Menschenleben und wirtschaftliche wie gesellschaftliche Stabilität und Entwicklung. Um es ganz, ganz dick zu unterstreichen: Menschenrechte, Fragen der Arbeitsstandards, der nachhaltigen Entwicklung, allen voran die Einbeziehung der Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen sind wichtige Aspekte in jedem handelspolitischen Vertragswerk. Und das muss auch die bestimmende Logik wirtschaftlicher und handelspolitischer Kooperation von EU und USA sein. Gerade wir Linken haben uns stets dafür eingesetzt, Stichwort Lieferketten. Aber diese Fragen zu instrumentalisieren, um einen Vorteil gegenüber einem wirtschaftlichen und politischen Konkurrenten zu haben, ist hoch problematisch. Die Bedeutung des anstehenden EU-USA-Gipfels für die Bestimmung der künftigen Richtung transatlantischer Kooperation ist enorm: Es steht viel auf dem Spiel.

Ein Artikel von Uwe Sattler

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Der Journalist gehört zudem der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" an.

Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?

die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.