„Eine Linkspartei in Europa muss auch eine europäische Sicht haben“

Heinz Bierbaum über das Programm der Linkspartei, Corona und die EU-Zukunftskonferenz

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Ein Interview mit Heinz Bierbaum — das Gespräch führte Uwe Sattler

Heinz Bierbaum

Heinz Bierbaum ist Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bis Dezember 2022 war der Wirtschaftsprofessor Präsident der Partei der Europäischen Linken (EL).

Seit über einem Jahr hat Corona Europa im Griff. Hat die Pandemie die EL-Parteien weiter zusammengeschweißt oder haben sich die nationalen Tendenzen verstärkt?

Wir haben beides gesehen. Sowohl nationale Alleingänge, weil die einzelnen Parteien natürlich in ihrem jeweiligen nationalen Kontext gefordert sind. Wir haben aber uns aber zugleich verständigen können auf zentrale Punkte im Zusammenhang mit der Pandemie. So haben wir eine gemeinsame Plattform geschaffen, mit der wir gemeinsame Aktivitäten initiieren und koordinieren. Wir haben aufgrund der Pandemie mehr Meetings, das politische Sekretariat tagt öfter, der Vorstand ebenso. Kurz: Die Pandemie behindert uns erheblich, aber sie hat auch dazu geführt, dass wir uns ziemlich gut untereinander verständigen können.

Worüber?

Zum Beispiel über die politische Situation in Europa und die Zukunft der Linken. Oder die Europäischen Foren, bei denen wir zusammen mit weiteren progressiven und ökologischen Kräften, mit Gewerkschaften, Bewegungen, Initiativen der Zivilgesellschaft zusammentreffen und gemeinsame Positionen abstimmen.

Das klingt sehr abstrakt. Gab es auch konkrete Aktionen?

Zum Beispiel haben wir im Hinblick auf den 1. Mai ein sehr interessantes Webinar mit den Generalsekretären des Europäischen Gewerkschaftsbundes und der internationalen Gewerkschaftsföderation IndustriAll sowie den Generalsekretären europäischer Gewerkschaften durchgeführt. Auch im Zusammenhang mit dem EU-Sozialgipfel vom 6. bis zum 8. Mai in Porto wird es Aktionen geben.
Ein anderes Beispiel: Wir als EL unterstützen die Europäische Bürgerinitiative No profit on pandemic, auch mit Aktionen. So haben wir in Saarbrücken zusammen mit Genossinnen und Genossen der PCF aus Frankreich Kundgebungen an der Goldenen Bremm, der Grenze Frankreich-Deutschland, organisiert.

Warum wurde in Deutschland so wenig über die Kampagne bekannt?

No profit on pandemic läuft vor allem in Italien sehr gut. Bei den Deutschen ist es wie immer etwas schleppend. Wir haben die Initiative mehrfach im Linke-Parteivorstand eingebracht, es gab auch einen entsprechenden Beschluss. Bei den konkreten Aktivitäten müsste aber noch einiges nachgelegt werden.

Warum sind die Deutschen bei gemeinsamen linken Aktivitäten in Europa so zögerlich? Auch im Wahlprogramm wird Europa recht stiefmütterlich behandelt.

Das ist richtig. Beim gesamten internationalen Bereich und bei der Europafrage sind wir längst nicht auf dem Niveau, das ich erwarte. Ich hoffe, dass die Themen nach der Bundestagswahl neuen Schwung bekommen. Wir haben eine sehr starke Binnensicht und die Linke, die Partei, beschäftigt sich auch furchtbar gern mit sich selber. Das zu verändern, ist sehr mühsam. Aber diese Binnenorientierung liegt vielleicht auch etwas an der Geografie. Eine Partei wie die linke PDB in Belgien ist ganz anders europäisch drauf. Sie hat auch No profit on pandemic forciert.

Sind gerade Linksparteien in großen Staaten stark binnenorientiert? In Frankreich sieht es ähnlich aus wie in Deutschland.

Die Franzosen übertreffen uns sogar noch deutlich. Die französische Sicht ist sehr auf die Nation ausgerichtet, bei allen Parteien. Gerade bei den Linken bedaure ich das sehr. Ich finde, eine Linkspartei in Europa muss auch eine europäische Sicht haben.

In der Linksfraktion im EU-Parlament sind die deutschen Linken zahlenmäßig am stärksten, die Fraktionsspitze ist seit Jahren deutsch besetzt, die EL-Präsidentschaft ebenso. Das Ansehen der deutschen Linken scheint doch recht hoch.

Die deutsche Linkspartei ist in der EL ein sehr wichtiger Pfeiler. Wir haben allerdings eine starke Fokussierung auf Südeuropa; insbesondere Spaniens KP und Izquierda Unida spielen eine sehr große Rolle. Auch die griechische Syriza, die ein bisschen abgetaucht ist, seit sie in der Opposition ist, ist immer noch sehr aktiv in der Europäischen Linken. Im Norden ist vor allem die Red-Green-Alliance aus Dänemark aktiv, was ich auch künftig von der finnischen Left-Alliance erwarte.

Wurden die Linksparteien in der Pandemie stärker wahrgenommen oder weniger sichtbar?

Das würde ich dialektisch sehen. Auf der einen Seite ist es völlig klar, dass Parteien insgesamt in der Pandemie zurückgesetzt sind, es ist die Stunde der Exekutive, die Stunde der Regierungen. Das trifft auch die Linke. Auf der anderen Seite bietet diese Situation für die Linke auch eine große Chance, nämlich, für eine Veränderung der Politik zu werben. Viele der Schritte, die jetzt zumindest ansatzweise umgesetzt werden, fordern Europas Linksparteien schon lange. Sei es die Einführung eines Recovery Funds oder die Suspendierung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Die Linke muss dafür kämpfen, dass diese Veränderungen dauerhaft werden. Daher die Dialektik, dass wir einerseits zurückgesetzt sind, andererseits aber durchaus in dieser Situation Chancen für unser Wachstum und unsere Sichtbarkeit haben.

Auch in der großen EU-Zukunftskonferenz, die am Europatag, dem 9. Mai, beginnen wird?

Diese Konferenz ist für uns Linke sehr wichtig. Mag die Konferenz auch stark von den Institutionen bestimmt sein und in ihren Konsequenzen beschränkt – sie ist eine Chance, die wir nicht verpassen dürfen, um unsere Positionen zu Europa einzubringen. Wir haben einen eigene Arbeitsgruppe gebildet zur Vorbereitung der Beratungen. Ich sehe in der Zukunftskonferenz auch einen »positiven Zwang« für uns. Denn wir müssen klarmachen: Was wollen wir eigentlich als Europäische Linke? Es wird ein entsprechendes Positionspapier geben, das sich unter anderem mit Themen wie sozialökologische Transformation, soziale Rechte, öffentliche Dienstleistungen, auch Gesundheit befassen wird, nicht zuletzt, sondern als sehr, sehr wesentliche Punkte auch mit Abrüstung und Frieden. Das sind für uns als Europäische Linke alles zwar keine neuen Aspekte. Aber sie werden jetzt noch einmal neu aufgelegt, und in dieser Richtung werden wir Schwerpunkte setzen.

Thema Gesundheitspolitik. Die EU hat ein 750 Milliarden Euro schweres Wiederaufbauprogramm vorgelegt. Vor einem Jahr hatte die EL für einen Gesundheitsfond 100 Milliarden Euro gefordert. Sie müssten sehr zufrieden mit »Brüssel« sein.

Nein. Denn erstens ist es gar nicht so viel. Die 750 Milliarden sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aber den muss man natürlich in Verbindung mit dem Gesamthaushalt der EU sehen. Der ist ja ein Stück gekürzt worden. Das NextGenerationEU-Programm kann jedoch durchaus als Erfolg gelten. Aber es geht nicht nur um Wiederaufbau der Wirtschaft, sondern auch um deren Umgestaltung, also die bereits angesprochene sozialökologische Transformation. Und das ist noch nicht ausgemacht. Zudem wurde die Einigung abermals nur mit diversen Deals erreicht und sorgt bereits jetzt für weitere Streitereien.

Haben Sie keine Sorge, dass für die Hilfen künftige Generationen zahlen müssen?

Schulden kann man auch streichen.

Ein Artikel von Uwe Sattler

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Der Journalist gehört zudem der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" an.

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