Ein Pakt gegen Menschlichkeit

Der unmenschliche „Asylpakt“ der EU wird kommen, kommentiert die Europaabgeordnete Cornelia Ernst. Aber die Proteste von Aktivist:innen in ganz Europa werden bleiben

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Der 10. April 2024 wird in die Geschichte des Europaparlamentes eingehen als der Tag der Abschaffung des individuellen Asylrechtes. Die Genfer Flüchtlingskonvention war zivilisatorische Konsequenz zweier grausamer Weltkriege, in denen Millionen Menschen starben, weil sie nirgendwo Schutz fanden. Der Maßstab dieser Konvention und weiterer, die den Schutz zum Beispiel von Kindern oder von Frauen beinhalten, wurde zum Symbol freiheitlicher Demokratie in Europa. Der Schutz der Menschenwürde – ungeachtet der Herkunft, Ethnie oder Religion – gehört zu den wichtigsten Wertes eines Rechtsstaates. Weil darauf abgestellt wird, die individuellen Umstände von Asylbegehrenden zu prüfen, um deren Schutzwürdigkeit zu ermitteln und zu gewähren.

Der neue Migrationspakt, GEAS, wirft diesen Grundsatz über den Haufen. Übrig bleibt ein Asylrecht, bei dem wichtiger als die Fluchtumstände der Menschen andere Dinge sind, wie eine wie auch immer geartete Beziehung zu einem „sicheren Drittstaat“. Dazu wird es eine EU-Liste geben, neben nationalen Listen, die sich jeder Mitgliedstaat nach Lust und Laune ausdenken kann: Albanien oder Libanon, Georgien oder wie gehabt Marokko. Sogar Teile Syriens sind „dank“ Zypern, wo ich gerade war, auch im Gespräch, egal, Hauptsache weg. Man muss eines klarstellen: „Sichere Drittstaaten“ sind Augenwischerei. Das Paradebeispiel dafür ist die Türkei, die Tausende iranische und afghanische Asylsuchende in diese Länder zurückschiebt und einen Teufel tut, um Menschenrechte einzuhalten.

Snowden hätte keine Chance

Und es gibt noch zwei Kriterien, die wichtiger sind als Fluchtgründe von Asylsuchenden, wie die im Poker ausgedealte willkürliche Rate von 20 Prozent Anerkennungsquote von Asylsuchenden eines bestimmten Herkunftslandes in der EU. Nur wenn diese überschritten wird, kann man überhaupt erst Gehör finden. Danach hätte Edward Snowden null Chancen, in Europa aufgenommen zu werden. Wird er ja auch nicht, weil die Angst vor „dem großen Bruder“ größer ist als die Liebe zu Menschenrechten. Tausende Menschen fallen so durch das Raster der gebremsten Menschenliebe der EU. Besonders schnöde ist das Kriterium der „Instrumentalisierung“, das davon ausgeht, dass „böse Länder“ wie Russland oder Belarus Menschen in die EU schleusen, um unser Gemeinwesen zu unterhöhlen. Die baltischen Staaten betrachten Geflüchtete als ein Komplott Putins. In der Republik Zypern behauptet die Regierung, dass die Türkei über Nordzypern Menschen in den Süden schleust, um das Land zu zerstören. Auf so etwas muss man erst einmal kommen, wenn Menschen aus Syrien fliehen… Und noch einmal zu den Kinderrechten: Sogar Neugeborene in Familien sollen in Gefängnissen im Grenzverfahren untergebracht sein, es sei denn, man erbarmt sich bei Überfüllung des Gefängnisses und sucht eine andere Unterkunft. Kinderrechte sind damit abhängig von der Kapazität eines Gefängnisses. Mieser geht es nicht.

Steigleiter für Rassisten

Dieser Pakt, unterstützt von allen Mitgliedstaaten und der Mehrheit des Europaparlaments, ist ein Pakt der Schande. Seine Konsequenz ist die Verteufelung von Migration, durch die Rassismus und Nationalismus zu nie dagewesenen Höhen getrieben wurden. Es wird vergessen, dass Migration Bestandteil menschlichen Lebens ist, ein Motor unserer Kultur, der Sprachen, der Wissenschaften. Und dass es zu allen Zeiten auch schwerwiegende Gründe gab, die eigene Heimat zu verlassen, weil sie weder Schutz noch Perspektiven mehr bietet.

Der Pakt wird kommen. Aber die Aktivistinnen und Aktivisten in ganz Europa werden bleiben. Gemeinsam mit ihnen, den Kirchen, Nichtregierungsorganisationen müssen wir Widerstand gegen diese Politik leisten. Menschenrechte sind unteilbar, man kann sie nicht territorial begrenzen. Also sammeln wir uns, lassen wir uns nicht entmutigen! Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Ein Artikel von Cornelia Ernst

Cornelia Ernst

Dr. Cornelia Ernst ist Europaabgeordnete in der Linksfraktion THE LEFT und im Europäischen Parlament unter anderem Mitglied im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE). Im September 2019 wurde sie zudem zur Präsidentin der Iran-Delegation des Europaparlaments gewählt.

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