Ein Green Deal geht nur mit globaler Gerechtigkeit
Klimakrise und Green & Social New Deal – zweites Event im Rahmen der Online-Reihe „Zukunft Europa“ der GUE/NGL und dem Büro Brüssel der Luxemburg-Stiftung
Kernthesen und Forderungen
Michael Efler:
- Die geplante Verschärfung der europäischen Klimaziele ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nur, wenn das vom EU Parlament auch kämpferisch verteidigt wird.
- Der EU-Beschluss, bis 2050 Klimaneutralität zu erzielen, kommt „gerade noch rechtzeitig“.
- Energieeffizienz muss Vorrang haben vor technischen Lösungen.
Wir brauchen für die globalen Herausforderungen beim Kampf gegen den Klimawandel erheblich mehr finanziellen Mitteleinsatz als vorgesehen. - Der EU mangelt es an Glaubwürdigkeit: bei der Agrarreform und der Handelspolitik ist vom Green Deal nicht viel zu spüren.
- Die globale Sicht auf den Klimaschutz muss institutionell verankert werden.
- Eine Energiepartnerschaft mit dem globalen Süden müsste zu allererst die Energieversorgung der Menschen dort verbessern.
Harpreet K. Paul:
- Der Green New Deal muss die Aspekte Solidarität und Gleichheit berücksichtigen, um global zu sein.
- Eine Reduktion um 50 Prozent bis 2030 reicht nicht aus.
- Die EU Kommission muss ehrgeizigere Ziele propagieren.
- Es braucht auch mehr Gleichheit bei den Ländern des Globalen Südens untereinander.
- Die Förderung der Industrien mit dem höchsten Kohlendioxid-Ausstoß muss aufhören.
- Der Green Deal muss global gestaltet werden – auf systematische Weise.
Kernpunkte der Diskussion:
- Es muss auf Begrifflichkeit geachtet werden: European Green Deal ist nicht das Gleiche wie ein sozial-ökologisch transformativer Red & Green New Deal.
- Gerechtigkeit im globalen Maßstab ist ein Ideal, bedeutet aber auch Verzicht, den nicht jeder leisten kann.
- Für mehr demokratische Mitsprache in der Klimapolitik braucht es strukturelle Veränderungen in der EU – und die sind am schwersten voran zu bringen.
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Die Klimakrise und der europäische Green Deal – das sind an sich schon komplexe Themen. Nimmt man dabei noch die ganze Welt in den Blick, wird es erst recht kompliziert. Das wurde während der zweiten Diskussionsrunde „Zukunft Europa“ mehr als deutlich, die einen weiten Bogen zu spannen versuchte – von den aktuellen EU-Klimabeschlüssen und der Bewertung der europäischen Agrar- und Handelspolitik unter Umwelt- und Klimagesichtspunkten über mehr technische aber dennoch kontroverse Details (wie den Einsatz von Wasserstoff) bis hin zur ganz großen Frage, wie ein global gerechter Green Deal und Klimaschutz denn auszusehen habe.
Zum Auftakt der Diskussion ging Helmut Scholz (MEP Die Linke), der auch stellvertretendes Mitglied im Parlamentsausschuss für konstitutionelle Fragen ist, nochmal kurz auf den Hintergrund der Online-Reihe „Zukunft Europa“ ein. „Wir wollen einfach nicht warten, bis die EU einen offiziellen Startschuss für die Zukunftsdebatte gibt“, so Scholz. Dabei gehe es allerdings nicht darum, das EU-Gefüge als solches komplett zu verändern, sondern herauszufinden, welche Vertragsveränderungen nötig sind, um die drängenden Probleme und Ansätze, darunter eben auch Klimaschutz und Green New Deal, erfolgreich in Angriff zu nehmen. Denn da liegt derzeit noch Einiges im argen. Darauf verwies Scholz‘ Parteikollegin Gabi Zimmer, Europa-Abgeordnete von 2004 bis 2019: „Die Kritik am European Green Deal reißt nicht ab“, so Zimmer. Nur wenige hielten diesen Ansatz für „einen großen Wurf“, stattdessen gelte es, hier sehr viel nachzubessern. Besonders, wenn der Green Deal global wirken solle, dann müsse er noch viel mehr auf die Prinzipien Solidarität, Gleichheit und Frieden ausgerichtet sein.
EU Parlament muss verschärftes Klimaziel verteidigen
Um zumindest an diesem Abend den Bogen von der europäischen zur globalen Ebene erfolgreich zu spannen, repräsentierten die beiden eingeladenen Referenten*innen – Harpreet Kaur Paul, Menschenrechtsanwältin und Expertin für Klimagerechtigkeit, und Michael Efler, Sprecher für Energie- und Klimapolitik und Demokratie, Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin – sozusagen beide Seiten der Medaille. Entsprechend widmete sich Michael Efler zunächst den europäischen Beschlüssen. Die aktuelle Forderung, das Klimaziel noch zu verschärfen und eine Reduzierung der Emissionen um 60 Prozent bis zum Jahre 2030 anzustreben, sei grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung, so Efler. Allerdings nur, wenn das EU-Parlament jetzt für die Durchsetzung dieses Zieles kämpfe – auch gegen mögliche Widerstände aus den Mitgliedsstaaten „und falls der Ministerrat das nochmal zurückdrehen will“. Gelängen die 60 Prozent, wäre das jedoch ein erheblicher Sprung angesichts der Tatsache, dass bislang nur 23 Prozent an Einsparung erreicht wurde. Das Ziel, bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen, hält Efler hingegen für „gerade noch so“ rechtzeitig. Positiv bewertete er wiederum den Ansatz, der Energie-Effizienz und Verbrauchsreduktion Vorrang vor technischen Lösungen einzuräumen. Falsch sei aber, dass Subventionen für Erdgas noch für eine gewisse Zeit ermöglicht werden. Wie auch insgesamt die Verlagerung auf Erdgas-Energie nach Eflers Ansicht keine Zukunftsoption ist. Und beim Wasserstoff müsse darauf geachtet werden, dass dieser nur gezielt eingesetzt wird.
„Beim Geld genauer hinschauen“
Auch mit Blick aufs Geld, das für den Klimaschutz bereitgestellt wird, zeigte sich Efler eher skeptisch: „Eine Billion Euro, das hört sich erst mal toll an. Doch wenn man genauer hinschaut, erkennt man, dass das für 10 Jahre gedacht und überdies nicht klar ist, aus welchen Quellen das kommen soll.“ Tatsächlich brauche die globale Herausforderung einen erheblich höheren Mitteleinsatz. 275 Millionen Euro würden allein für energiesparende Gebäudesanierung benötigt. Und für die Transformation des öffentlichen Verkehrs sowie für die soziale Abfederung der Klimaschutz-Maßnahmen, etwa in Osteuropa, würden beträchtliche Mittel benötigt. Eher vernichtend fällt das Urteil Eflers aus, wenn es darum geht, wie glaubwürdig die EU ihre Green-Deal-Ziele in konkrete Politik umsetzt. „Die Agrarreform ist in dieser Hinsicht eine Enttäuschung. Hier wurden Spielräume nicht genutzt“, so Efler. Ähnliches drohe nun auch bei der Handelspolitik zu passieren. Das EU-Mercosur-Abkommen jedenfalls werde dem Green Deal überhaupt nicht gerecht. Eine Meinung, die im Übrigen auch Ko-Referentin Harpreet K. Paul vertrat.
Unabdingbarer Idealismus
Die begann ihre anschließenden Ausführungen mit einer klaren Ansage: „Ich komme jetzt wohl für Sie eher von der idealistischen Seite daher“, so die Menschenrechtsanwältin. Doch Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit zu gewährleisten, sei nun mal unabdingbar. Paul: „Der Green Deal muss global werden.“ Kurzfristige Maßnahmen reichten nicht, um der „planetarischen Herausforderung“ gerecht zu werden. Dass die absolut Armen, also nach offizieller Definition die Menschen, die mit weniger als 1,25 US Dollar pro Tag auskommen müssen, besonders vom Klimawandel betroffen, aber ihrerseits nur für 10 Prozent der durch Konsum erzeugten Emissionen verantwortlich sind, müsse immer wieder betont werden. Die Forderungen Pauls sind daher klar:
- Stopp der Förderung von Industrien mit hohem Kohlendioxid-Ausstoß
- Umstrukturierung der Handelspolitik und keine Handels- und Investment-Abkommen mehr, die „auf dem Umweltauge blind“ sind.
Ein wahrer Green Deal müsse zudem noch viele weitere Faktoren globaler Gerechtigkeit, wie etwa die Situation der Geflüchteten, in den Blick nehmen.
Michael Efler sprach sich daraufhin ebenfalls dafür aus, „die globale Sicht immer mitzudenken.“ Das müsse auch institutionell verankert werden. Als Beispiel nannte er die Forderung der Bewegung Ende Gelände, in die so genannte Kohlekommission auch Betroffene aus Ländern des Globalen Südens mit aufzunehmen und anzuhören. Efler: „Das wurde letztlich nicht gemacht, wäre aber ein guter Schritt gewesen“. Paul zeigte sich da jedoch eher ein wenig skeptisch. Zwar sei auch sie immer für Partizipation, doch letztendlich müsse die Umorientierung der Klimapolitik systematisch und nicht nur durch einzelne Beteiligungen erfolgen. Bisher gäbe es zu dem Thema, welche Verluste und Schäden durch den Klimawandel und die Emissionen des Nordens angerichtet würden, noch viel zu wenig Debatten. Stattdessen würde die Anpassung des Globalen Südens an den Klimawandel in den Vordergrund gestellt. Paul nannte das Beispiel Mosambiks – dort richtete ein Sturm im vergangenen Jahr massive Schäden unter anderem in der Stadt Beira an – einer Stadt mit so vielen Einwohner*innen wie Manchester. Dies zeige das Ausmaß der Verwüstungen vielerorts.
In der anschließenden Debatte kristallisierten sich folgende Schwerpunkte heraus:
– Mit Begrifflichkeiten muss sauber umgegangen werden. Der European Green Deal ist nicht das Gleiche wie der Green New Deal, i.e. ein Konzept, das von linken und grünen Organisationen und Bewegungen befürwortet wird und auf eine sozial-ökologische Transformation abzielt. Hier habe sich die EU-Kommission geschickt dran gehängt, bemerkte eine Teilnehmerin, doch beides müsse deutlich unterschieden werden. Damit nahm sie indirekt Bezug auf den Titel des Abends, wonach es ja auch darum gehen soll, zu einem „Red“ & Green New Deal zu kommen.
– Das Thema Gerechtigkeit muss einen zentralen Stellenwert einnehmen. So sei zu hinterfragen, wer eigentlich warum Subventionen bekomme. So hätten mit Blick auf die Covid-19 Krise vor allem die Luftfahrt- und Automobilindustrie enorme finanzielle Hilfen erhalten – und das, obwohl letztere über rund 180 Milliarden Euro an Rücklagen verfüge.
– Die Frage nach der Gerechtigkeit mache allerdings auch Dilemmata deutlich. Globale Gerechtigkeit beim Klimaschutz sei nur durch Verzicht zu erreichen, so ein Teilnehmer. Das könnten sich aber selbst in den reicheren Teilen der Welt nicht alle Menschen gleichermaßen leisten. „Auch dort leben viele in prekären Verhältnissen.“
Darüber hinaus ist der Begriff der Klimagerechtigkeit (Climate Justice) nicht selbst erklärend. Es muss deutlich kommuniziert werden, dass hier noch viel weitergehende Aspekte, wie Flucht wegen den Auswirkungen der Klimakrise oder auch Entmilitarisierung mit hineinspielen, wie eine Teilnehmerin betonte.
Es muss daher vor allem auch um die Frage gehen, wie die demokratische Mitsprache in der (EU)-Klimapolitik voran zu bringen ist. Helmut Scholz: „Was bieten die Verträge da an? Reicht das aus? Wo müssen wir nachbessern?“ Und mit Blick auf afrikanische Staaten sei zu hinterfragen, ob die EU ihnen überhaupt die Möglichkeit gibt, klimafreundlicher zu agieren – indem sie etwa eine eigene Kreislaufwirtschaft aufbauen könnten. Scholz: „Hier müsste die EU als Gestalterin auftreten. Aber das sehe ich nicht.“
Bei der Forderung nach strukturellen Veränderungen auf EU-Ebene im Sinne einer demokratischeren Klimapolitik zeigte sich zum Abschluss Michael Efler eher skeptisch. „Wir wissen alle, dass solche Veränderungen am allerschwierigsten zu erreichen sind.“ Energiepartnerschaften mit dem globalen Süden bewertete er ebenfalls kritisch – zumindest solange sie nur der Energieversorgung des Nordens dienen. Efler: „Wir müssen erst mal dafür sorgen, dass die Leute vor Ort selbst ans Stromnetz angeschlossen sind.“ Harpreet K. Paul bekräftigte nochmals ihre Forderung nach einer Globalisierung des Green Deal sowie einer konsequenten Umorientierung der europäischen Handelspolitik. Eine genaue Analyse des Kapitels zur nachhaltigen Entwicklung im Mercosur Abkommen jedenfalls ergebe, dass dieses nun wirklich nicht „fit for purpose“ sei.
Wie bringen wir denn nun den EU Green Deal und globale Forderungen zusammen?
Diese Frage, so Moderatorin Gabi Zimmer abschließend, lasse sich nur Schritt für Schritt beantworten. Die Diskussion darüber ende daher auch nicht an diesem Abend, sondern müsse in jedem Fall weiter geführt werden. Zimmer: „Wir stehen vor einer kolossalen Aufgabe.“
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