„Die Normalisierung des rechtsradikalen Diskurses ist sehr beunruhigend“

Welche Folgen hat der Wahlsieg der Rechtsparteien in Italien für die EU? Und welche Konsequenzen muss Europas Linke ziehen? Walter Baier im Gespräch

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Ein Interview mit Walter Baier — das Gespräch führte Uwe Sattler

Walter Baier

Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler gehörte zu den Mitgründern der Partei der Europäischen Linken (EL) und war Koordinator des linken Thinktank »transform! Europe«. Im Dezember 2022 wurde er zum Präsidenten der EL und auf dem Kongress am 24. Februar 2024 in Ljubljana zu deren Spitzenkandidaten gewählt.

Am Wochenende hat das von der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia geführte Bündnis die Wahl klar gewonnen. Bereits zuvor hatten die französische Rechtsextreme Marine Le Pen mit ihrem Einzug in die Stichwahl um das Präsidentenamt und die rechten Schwedendemokraten mit Platz zwei bei der Parlamentswahl Paukenschläge gesetzt. Profitieren die Rechtsparteien von Inflation und Energiekrise? Schließen sie Bündnisse? Und was bedeutet der Rechtsruck für die EU?

Welche Folgen hat der Wahlsieg des Rechtsbündnisses in Italien für Europa?

Ich glaube, auf die europäische Politik wird es kurzfristig keine dramatischen Auswirkungen geben. Denn es gibt offensichtlich eine wechselseitige Verpflichtung zum Stillhalten. Vom Standpunkt der möglichen neuen italienischen Regierung ist das verständlich. Rom bekommt 173 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds, und die werden auch gebraucht. Deshalb ist die Spitzenkandidatin, Frau Meloni, in ihrem Wahlkampf besonders vorsichtig aufgetreten. Hat also signalisiert, sie werde die Nato-Verpflichtungen weiter übernehmen, die europäische Politik und den EU-Kurs im Hinblick auf den von Russland begonnenen Krieg in der Ukraine weiterführen. Aber klar, es gibt natürlich eine europäische Dimension und es gibt einen Trend der Stärkung rechtsradikaler neofaschistischer Parteien in ganz Europa. Und das ist beunruhigend unter vielen Aspekten, auch unter dem Aspekt einer europäischen Integration.

Der Wahlsieg der Rechtskoalition wird Italien vor allem als wichtigen Pfeiler der EU verändern?

Ganz sicher. Ich denke, dass die unmittelbarsten Auswirkungen auf die italienische Innenpolitik sehr bald spürbar werden. Die Politik von Frau Meloni ist im Kern neoliberal und antisozial. Darüber hinaus wird ihre Politik zu mehr Todesopfern im Mittelmeer führen, und zu verstärktem Druck auf Migrant*innen, zu mehr Diskriminierung von Minderheiten, zu Kampagnen gegen den Schwangerschaftsabbruch. Und insgesamt wird sich der Trend zum Autoritarismus verstärken. Deshalb finde ich die Bezeichnung der Fratelli d‘Italia als postfaschistisch beschönigend. Denn »post« impliziert ja, dass es um etwas nach dem Faschismus geht. In Wahrheit geht es aber darum, mit einer vorsichtigen Taktik das faschistische Erbe wiederzubeleben. Ich fände den Begriff Neofaschismus als viel angemessener als Postfaschismus.

Wir erleben gerade in mehreren Ländern einen Aufschwung von Rechtsaußenparteien – in Frankreich stand Marine Le Pen abermals in der Präsidentenstichwahl, die Schwedendemokraten sind zweitstärkste Partei des Landes geworden, nun wird Italien unter einer Neofaschistin bekommen. Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Die Energiekrise und die Inflation?

Ich glaube, das ist ein langfristiger Trend, in Österreich zum Beispiel hatte der Mitte der 1990er Jahre begonnen. Ich sehe drei Faktoren. Der erste Faktor ist die soziale Verunsicherung der Mittelschicht. Da spielen Inflation und Energiekrise sicher eine Rolle. Aber auch das ist ein langfristiger Trend, eine Folge der neoliberalen Gegenreformen der letzten Jahrzehnte, und die jetzt auf dem Hintergrund verschärfter Krisenerscheinungen die Existenzängste anwachsen lassen. Das zweite beunruhigende Element, das den Aufstieg dieser Parteien fördert, ist die Wahlenthaltung. Ganz signifikant ist das jetzt in Italien, wo sie gerade bei 40 Prozent gelegen ist. Und das zeigt, dass große Teile der Bevölkerung das Vertrauen in das parlamentarische System und in die institutionalisierte Politik verloren haben. Vor allem die Armen und die Jugend. Das heißt nicht, dass die Jungend unpolitisch geworden ist. Im Gegenteil. Ich habe gerade in einem Artikel gelesen, dass im Wahlkampf nur 0,5 Prozent der Redezeiten der Spitzenkandidaten sich mit der Frage der ökologischen Krise beschäftigt haben, also ein Wahlkampf an den wirklichen Existenzproblemen der gesamten Gesellschaften und wenn man so will der Menschheit vorbei geführt worden ist! Wen wundert da die Wahlenthaltung? Und das dritte Element, das möglicherweise den Aufstieg dieser Parteien erklärt, ist die Normalisierung des rechtsradikalen Diskurses. Und ich glaube, dass das zu den beunruhigendsten Momenten dieser Entwicklung gehört, dass der Rechtsradikalismus von den Medien und den bürgerlichen Parteien zunehmend akzeptiert wird als Teil des normalen gesellschaftlichen Spektrums.

Es ist den Rechtsparteien in Europa aber trotz wiederholter Ansätze nicht gelungen, ein Bündnis quer durch Europa zu schaffen. Sind die Unterschiede doch zu groß?

Es gibt natürlich solche Tendenzen. Aber es ist ja wirklich ein paradoxes Projekt, eine Internationale der Nationalisten zu bilden. Doch um zu zerstören, braucht man auch keine gemeinsame Partei auf europäischer Ebene. Die wesentlichste Entscheidungsinstanz in der EU ist ja nach wie vor der Rat der Regierungen. Und dort wird es zur Allianzbildung der Nationalisten kommen. Dafür braucht´s eben keinen formellen Zusammenschluss, sondern die informelle und intransparente und in dem Sinne auch unkontrollierbare Zusammenarbeit auf Regierungsebene. Und das wird sich in den kommenden Jahren im Rat auswirken. Und es wird sich zeigen, dass der Mangel an Demokratie in der EU ein Sprengsatz an der europäischen Integration ist.

Sie haben lange Zeit Tranform!Europe vorgestanden, der Denkfabrik der Partei der Europäischen Linken. Was kann die Europäische Linke der Rechtswende in der EU entgegensetzen?

Man muss die Frage weiter stellen. Es geht um die Aufgaben der Linken in Europa, der nationalen Parteien und ihrer europäischen Kooperation. Da spielt die EL eine ausschlaggebende Rolle. Wenn wir uns das Wahlergebnis in Italien ansehen, ist das auch ein Resultat der Selbstzerstörung der großen kommunistischen Partei. Es ist vergleichsweise leicht, eine Linkspartei zu zerstören, aber es fällt sehr schwer, danach die einzelnen Trümmer wieder zusammenzusetzen. Da besteht eine große Verantwortung der Akteure und Akteurinnen. Auf der anderen Seite, in Frankreich zum Beispiel, wäre und ist die Zusammenarbeit der verschiedenen linken Gruppen tatsächlich in der Lage, eine Alternative sowohl zum Neoliberalismus à la Macron als auch zum rechtsradikalen Nationalismus zu bilden. Und das gilt in dem Sinne auch für Europa. Es ist das Wichtigste, eine Einheit der Linken zustande zu bringen. Wir müssen wahrnehmen, dass für immer größere Teile der Gesellschaften, insbesondere für die Jugend, die etablierte Politik, die institutionalisierte Politik, keine Alternative darstellt. Und darum meine ich, dass für uns die Bewegungen, die Gewerkschaften und insbesondere die Jugend, also die außerparlamentarischen Formen der Demokratie, die wichtigsten Bezugspunkte sind. Wenn wir nicht imstande sind, uns mit diesen Kräften zu verbinden und uns nur auf die Ebene der Regierungen und Parlamente schauen, wird die Demokratie verlieren.

Ein Artikel von Uwe Sattler

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Der Journalist gehört zudem der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" an.

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