DIE LINKE und ihre Verantwortung für Europa

Gerade für die Linkspartei ist es wichtig, zu einer konsistenten Position zur EU und zu Europa zu kommen

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DIE LINKE hat keine einheitliche Position zu Europa. Wie in der europäischen Linken insgesamt gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen zur Europäischen Union und zur europäischen Entwicklung. Sie reichen von Reformierbarkeit der EU mit Propagierung einer „Europäischen Republik“ bis hin zu Ausstiegsszenarien. Dabei ist gerade für DIE LINKE wichtig, zu einer konsistenten Position zur EU und zu Europa zu kommen. Denn der deutschen Linken kommt im Hinblick auf linke europäische Politik eine hohe Verantwortung zu. Nicht nur weil die Bundesrepublik Deutschland eine dominierende Stellung in der EU hat und wesentlich deren Politik bestimmt, sondern auch weil die deutsche Linke in der europäischen Linken einen wichtigen Faktor darstellt, auf den andere linke Parteien in Europa besonders schauen. Deshalb ist DIE LINKE dazu aufgerufen, sich stärker als bislang in der Debatte um europäische Politik zu engagieren.

Die Lage in Europa ist von tiefgreifenden Veränderungen geprägt. Die Folgen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009 sind bis heute nicht überwunden – nicht zuletzt durch die herrschende Politik in Europa selbst. Die neoliberale Austeritätspolitik mit ihren sozialen Kürzungen, Abbau von Arbeitnehmerrechten und der Schwächung der Gewerkschaften hat nicht nur nicht die Probleme gelöst, sondern sie vielmehr verschärft. Die Lage in Europa ist gekennzeichnet durch hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere in den südlichen Ländern und dabei besonders unter der Jugend, Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und enorme soziale Ungleichheit. Dies ist die Folge einer neoliberal ausgerichteten Politik, die sich zudem unter dem Druck der deutschen Regierung an der ökonomisch unsinnigen Schuldenbremse orientiert. Diese Politik verschärft nicht nur die sozialen Widersprüche, sondern ist auch ökonomisch kontraproduktiv. Wurde das europäische Projekt  anfangs noch von vielen als Hoffnungsträger für eine demokratische und soziale Entwicklung angesehen, so macht sich inzwischen in hohem Maße Skepsis und Unzufriedenheit breit. Der Brexit und das Wahlergebnis in Italien sind schlagender Ausdruck der tiefen Krise, in der sich die Europäische Union befindet. Davon profitiert vor allem die extreme Rechte. Dagegen ist die Linke eher schwach und zudem fragmentiert. Die politische Landschaft verändert sich rasant. Es entstehen neue Bewegungen, sowohl auf der konservativen (Macron) als auch auf der linken Seite (Podemos, France Insoumise). Das traditionelle Parteiensystem löst sich teilweise auf, wie man gegenwärtig in Frankreich beobachten kann. Dieser politische Umbruch birgt nicht nur Risiken, wie sie im Rechtsruck zum Ausdruck kommen, sondern auch Chancen für eine andere Politik. Diese muss die Linke nutzen, um sich als eine Kraft zu erweisen, die einen Gegenpol sowohl zur neoliberalen Politik als auch zur nationalistischen und rassistischen Politik der extremen Rechten bildet. Dazu bedarf es allerdings einer politisch-programmatischen Grundlage.

Trotz aller Differenzen gibt es doch auch wesentliche gemeinsame Positionen der Linken sowohl in Europa als auch in Deutschland. In erster Linie zählt dazu der Bruch mit der neoliberalen Austeritätspolitik und dabei besonders die Aufhebung des Fiskalpakts, der die Länder daran hindert, die dringend notwendige Investitionen zur Widergewinnung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu tätigen. Öffentliche Investitionen in gesellschaftlich wichtigen Bereichen in Verbindung dem erforderlichen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft sind dringend notwendig.

Die Linke ist sich auch weitgehend einig, dass die Rolle der Europäischen Zentralbank in der Richtung verändert werden muss, dass sie mehr Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung und dabei besonders für die Schaffung von Arbeitsplätzen übernehmen muss. Ebenso unbestritten dürften Maßnahmen zur Eindämmung der Finanzspekulation und der Regulierung der Finanzmärkte sein. Weiter das Streben nach mehr Steuergerechtigkeit und der Austrocknung von Steueroasen. In diesem Zusammenhang bedarf es auch einer anderen Verteilungspolitik mit einer deutlichen Erhöhung der Löhne und damit der Stärkung der Binnennachfrage, was gerade in Deutschland besonders wichtig ist.

Auch wenn dies in der europäischen Diskussion meist zu kurz kommt, so dürfte doch die Stärkung der sozialen Rechte, die Ablehnung der neoliberalen Arbeitsmarktreformen und die Widerherstellung der Tarifmacht der Gewerkschaften unstrittig sein. Gegenüber der xenophoben und rassistischen Politik der extremen Rechten setzt sich die Linke für eine integrative und solidarische Migrationspolitik ein. Unbestritten ist, dass die mangelnde Demokratie in der EU ein zentrales Problem darstellt. Ein weiteres und höchst aktuelles gemeinsames Feld besteht in der Zurückweisung der aggressiven Politik der NATO und der Ablehnung der Militarisierung Europas sowie im aktiven Eintreten für Frieden und Abrüstung sowie für eine neue Entspannungspolitik.

Strittig ist vor allem Frage des Plan B, der oft verkürzt als reines Ausstiegsszenario interpretiert wird. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Plan B auf einen Plan A Bezug nimmt, der eine Abkehr von der neoliberalen Austeritätspolitik und eine umfassende Demokratisierung der EU vorsieht. Sollte dies nicht gelingen, sollte den Ländern vorbehalten sein, auch aus dem Euro und aus der EU auszusteigen. Generell ist umstritten, inwieweit die EU reformierbar ist. Hier überwiegt die Skepsis. Mehrheitlich wird eine andre Politik auf der Grundlage der bestehenden Verträge nicht für möglich gehalten. Deshalb spricht auch die deutsche Linke ebenso wie die Partei der Europäischen Linken (EL) von einem Neustart der EU und damit der Schaffung einer neuen vertraglichen Grundlage.

Mit Ausnahme der Exit-Position gibt es somit eine breite Übereistimmung in zentralen Fragen einer alternativen europäischen Politik. Damit müsste auch eine Verständigung über eine gemeinsame poltisch-programmatische Plattform möglich sein, die durchaus auch Raum für kontroverse Positionen wie z.B. in der Währungsfrage oder der nationalen Souveränität lässt. Das für November vorgesehene und von der Partei der Europäischen Linken organisierte Europäische Forum in Bilbao könnte dafür den geeigneten Rahmen darstellen. DIE LINKE sollte sich dafür aktiv einsetzen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie selbst endlich zu einer solch politisch-programmatischen Verständigung kommt. Bislang ist die Debatte um Europa stark von der Kritik an der EU und ihrer neoliberalen Ausrichtung und aktuell auch an der militärischen Aufrüstung bestimmt. Dies ist zweifellos berechtigt. Doch das reicht nicht. Ausgehend von den vorhandenen Gemeinsamkeiten ist es notwendig, ein Minimalprogramm mit politischen Eckpunkten zur Schaffung eines demokratischen, sozialen, integrativen und friedlichen Europas zu erarbeiten. Das Kokettieren mit der Exit-Option ist nicht hilfreich. DIE LINKE sollte klarstellen, dass dies für sie keine politische Alternative darstellt.

DIE LINKE muss Verantwortung für Europa übernehmen. Dies betrifft nicht nur die Erarbeitung einer politisch-programmatischen Plattform für die europäische Politik sowohl im nationalen als auch im europäischen Rahmen, sondern auch das Ringen um die strategische Ausrichtung, wie denn die Linke in Europa stärker und zum Gegenpol gegenüber der Rechten werden kann. Varoufakis mit DiEM25 und Mélenchon mit France Insoumise plädieren für eine Volksbewegung von unten mit dem Ziel einer umfassenden Demokratisierung. Mélenchon ist etwas radikaler und spricht von einer „révolution citoyenne“, die sich nicht länger das Korsett der EU-Verträge gefallen lässt. Beide bemühen sich um Kooperationspartner, wobei vor allem der Bloco und Podemos mit France Insoumise zusammenarbeiten. Inzwischen haben sich allerdings auch einige skandinavische Linksparteien angeschlossen. Die EL versucht ebenfalls, ihr politisches Profil zu stärken – nicht zuletzt mit dem Europäischen Forum, das den linken Kräften über die EL hinaus eine Plattform bieten und die Linke auch sichtbarer machen soll. Generell ist zu begrüßen, dass es zu vermehrter Kooperation unter den linken Kräften kommt. Doch beinhaltet die gegenwärtige Entwicklung auch die Gefahr einer weiteren Fragmentierung der europäischen Linken. Es muss Aufgabe gerade der deutschen Linken sein, diesen Fragmentierungstendenzen entgegen zu wirken und für die Einheit der Linken einzutreten. Einheit bedeutet dabei keineswegs Einförmigkeit, sondern schließt kontroverse Positionen ein.

Gleichzeitig bedarf es aber auch einer strategischen Debatte, warum es der Linken nur sehr unzureichend gelingt, politisch in Europa präsent zu sein. Von einer europäischen Volksbewegung, wie von Varoufakis und Mélenchon gefordert, ist kaum etwas zu sehen. Abhilfe könnte ein gemeinsames politisches Projekt schaffen. Ansatzpunkte gibt es genug – so z.B. in der Steuerpolitik mit der Abschaffung der Steueroasen, in der Migrationspolitik, in der Wirtschaftspolitik mit der Forderung nach einem Investitionsfond für solidarische Ökonomie oder aber in der Sozialpolitik mit verbindlichen sozialen Rechten. Soziale Auseinandersetzungen und Bewegungen finden vor allem auf nationaler Ebene statt. Die Linke hat es bislang nicht vermocht, sich zu vernetzen und diesen Kämpfen wie z.B. gegen die neoliberalen Arbeitsmarktreformen in Frankreich oder zuvor auch in Italien eine europäische Dimension zu geben. Neben der politisch-programmatischen Verständigung als der Basis für politisches Agieren ist es daher notwendig, sich stärker zu vernetzen und in sozialen Konflikten zu gemeinsamen Aktionen zu kommen.

Ein Artikel von Heinz Bierbaum

Heinz Bierbaum

Heinz Bierbaum ist Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bis Dezember 2022 war der Wirtschaftsprofessor Präsident der Partei der Europäischen Linken (EL).

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