Die Karten neu mischen

Der Green New Deal als Zukunftspakt. Eine Analyse von Johanna Bussemer und Katja Kipping

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Die Zeit drängt und das heißt auch, es ist Zeit für Neues: Weltweit wird ein Green New Deal diskutiert, um die Klimakatastrophe und ihre verheerenden Folgen abzuwenden. In Elektromotoren zu investieren und grüne Kosmetik am Kapitalismus zu betreiben, wird jedoch nicht reichen. Vom historischen New Deal unter Franklin D. Roosevelt und Frances Perkins in den 1930er Jahren können wir den Mut zum Konflikt erlernen. Nachhaltig wirkt ein solches Programm nur, wenn es mit grundlegenden sozialpolitischen Weichenstellungen und der Bereitschaft zum wirtschaftspolitischen Umdenken verknüpft wird.

Vor rund 90 Jahren, in den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts, startete unter dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt in den USA in Reaktion auf Rezession und die bis dahin größte Wirtschaftskrise der kapitalistischen Geschichte der New Deal. Anfangs ging es vor allem um die Regulierung der Finanzmärkte sowie um massive Investitionen. Später aber auch um Rechte für Beschäftigte und um gute Arbeit, kurz um die Anfänge eines Sozialstaates. Jetzt, rund 90 Jahre, später zeichnen sich deutlich die Umrisse einer neuen, globalen Krise ab: der hereinbrechende Klimakollaps. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weisen seit Langem auf die Gefahren der weitgehend menschengemachten globalen Erwärmung hin, politische und zivilgesellschaftliche Bewegungen versammelten sich spätestens seit den 1980er Jahren hinter dem Ziel von Umweltschutz, mit Beginn des 20. Jahrhundert erklingen verstärkt die Rufe nach Klimagerechtigkeit.

Vor rund 15 Jahren kommen hierzulande schließlich die ersten Debatten um einen Green New Deal auf. Damit war das Thema auch auf die Ebene eines möglichen Regierungsprogramms gelangt, wenn auch nicht bei den zu dieser Zeit tatsächlich Regierenden. Die dabei verhandelten Konzepte knüpften zwar sprachlich an den historischen New Deal unter Roosevelt an, ließen jedoch anfangs noch die Bereitschaft zum Konflikt mit der Kapitalseite vermissen, die das historische Vorbild ausgezeichnet hatte. Vielmehr waren diese ersten Debatten hierzulande stark durch das Bestreben geprägt, Klimaschutz und Kapitalismus zu versöhnen.

Konflikt zwischen kapitalistischer Wirtschaftsweise und nachhaltiger Klimaschutz

Nicht wenige kritisierte damals den Green New Deal als Versuch, uns allen einzureden, ein grüner Kapitalismus sei möglich. Inzwischen hat sich rumgesprochen, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise und nachhaltiger Klimaschutz miteinander im Konflikt stehen. Dass ist auch den weltweiten Bewegungen für Klimagerechtigkeit zu verdanken. Niemand bringt es so gut auf den Punkt wie Naomi Klein mit ihrem Buchtitel Die Entscheidung: Klima versus Kapitalismus.

Im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts häuften sich dann Green-New-Deal-Ansätze, in denen soziales und ökologisches Umsteuern zusammengedacht und konzipiert wurde: Von den linken Demokrat:innen Alexandra Ocasio-Cortez und Bernie Sanders in den USA über das Programm der britischen Labour-Partei und Konzepten der Partei DIE LINKE in Deutschland. Es ist handelt sich allerdings wahrlich nicht nur eine Debatte der westlichen Welt – im Gegenteil. Wichtige Stimmen stammen aus dem globalen Süden, nicht zuletzt wohl deshalb, weil hier sowohl die sozialen als auch die klimatischen Folgen des Klimawandels schon jetzt in einem Ausmaß zu spüren sind, der bei uns noch fast unvorstellbar ist. Auch die Climate Justice Charta aus Südafrika, die in einem breiten gesellschaftlichen Prozess über Jahre erarbeitet wurde, und der Pacto Ecosocial del Sur für die lateinamerikanischen Länder und die Karibik aus dem Jahre 2020 zeugen beispielsweise davon.

Corona als Symptom für allgemeine Krisenanfälligkeit

Und dann schlug zu Beginn der 20er Jahr dieses Jahrhunderts die Corona-Pandemie ein. Sie krempelte Gewissheiten um, stellte vieles auf den Kopf und noch mehr infrage. Dabei lässt sich die aktuelle Pandemie auch als Symptom für die allgemeine Krisenanfälligkeit unserer Weltgesellschaft insgesamt verstehen. Wir müssen uns als der Frage stellen, welche grundlegende Schlussfolgerungen aus dieser Krise zu ziehen sind.

Nach über einem Jahr Corona-Krise, also im Frühling 2021, haben wir uns jedenfalls ernsthaft befragt, ob diese Krise unsere Sicht auf den Green New Deal ändert, ob sie etwa die Dringlichkeit seiner Umsetzung relativiert. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass jetzt mehr denn je ein übergeordnetes Projekt des gesellschaftlichen Umbaus gefragt ist. Allerdings ist nun zu der Notwendigkeit, die ökologischen und die sozialen Krisen zu entschärfen, eine weitere Aufgabe hinzugekommen.

Die Corona-Krise hat uns noch einmal unsere Verletzlichkeit vor Augen geführt. Das ist eine Erfahrung, die von vielen gerne verdrängt wird, weil sie uns daran erinnert, dass wir dringend umsteuern müssen, wenn wir unsere Welt krisensicherer machen wollen. Anknüpfen können wir dafür erneut an dem ermutigenden, historischen Beispiel des New Deals mit seiner Bereitschaft zum Konflikt. Anknüpfen können wir an den substanziellen Überlegungen der jüngsten, progressiven Green New Deal Konzepte, die sowohl national angelegt sind, wie auch global zur Umsetzung drängen. Anknüpfen können wir an wissenschaftlicher Expertise zur Agrarwende, Energiewende, Verkehrswende, Bauwende und für Umbauprogrammen in der Wirtschaft. Doch wer heute über Umsteuern und Weichenstellungen schreibt, muss zugleich die Erfahrungen des Corona-Schocks reflektieren. Wir tun dies im Folgenden exemplarisch im Bereich der Kunst- & Kulturpolitik, der sozialen Garantien sowie für die Frage der Geschlechterverhältnisse und der Zeitpolitik. An diesen Beispielen wird deutlich: Die Pandemie wirft nicht die bisherigen Überlegungen im Rahmen der Green-New-Deal-Debatten über den Haufen, doch die Pandemie hat eine weitere Dimension eröffnet. Es gab einen weiteren Weckruf.

Der Green New Deal eröffnet eine Veränderungsperspektive

Wir meinen, der historische New Deal unter Roosevelt sowie die aktuelleren Green New Deal Debatten liefern in der Summe eine entscheidende Orientierung für eben jene notwendige Reaktion auf die Krisen unserer Zeit. Eine Orientierung, die zu einem Plan verdichtet werden kann. Denn der Green New Deal eröffnet eine Veränderungsperspektive, die in der Welt, in der wir leben, bereits funktioniert und zugleich darüber hinausverweist. Dieser Plan bietet zudem ein Dach, unter dem sich schon jetzt verschiedene Akteure und Akteurinnen sammeln. Insofern birgt er das Potential für gemeinsame Handlungsfähigkeit über Grenzen hinweg – über territoriale, politische sowie über sozio-kulturelle Grenzen hinweg. Letztlich geht es um die Frage, wie ausgehend von den Debatten um den Green New Deal ein Zukunftspakt durchgesetzt werden kann, der dem Ziel verpflichtet ist, die sozialen wie die ökologischen Krisen nachhaltig zu entschärfen und der zudem die richtigen Konsequenzen aus dem Corona-Schock zieht.

In dem Essay „Green New Deal als Zukunftspakt“ sind die Ideen und Erkenntnisse verschiedener Diskussionen und Gespräche eingeflossen, die wir im Laufe der letzten Jahre zusammen mit vielen anderen geführt, organisiert und erlebt haben. Insbesondere unsere politischen Reisen nach England und die dortigen Treffen mit Akteuren aus dem linken Flügel der Labourpartei und rund um die Organisationen Momentum und The World Transformed haben dazu geführt, dass uns das Nachdenken über den Green New Deal nicht mehr losgelassen hat. Dabei inspirierte uns, dass fortschrittliche Akteure, Organisationen und Parteien weltweit debattieren, ob und wie unter dem Dach des Green New Deal ein gemeinsamer Handlungskatalog entstehen kann; ein Katalog, der gleichermaßen im Rahmen von Nationalstaaten wie überregional und multilateral Anwendung finden kann. Diese Debatten laufen auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umbrüche. Die Hegemonie des Neoliberalismus schwindet, aber noch ist sie nicht so nachhaltig geschwächt, dass sie nicht wiederkommen könnte und sei es als Zombie-Version, z.B. durch eine neue strategische Verbindung von Neoliberalismus und autoritärem Rechtspopulismus, deren Entstehung vieler Orts bereits zu beobachten ist. Erhebende Entwicklungen, wie die großen, globalen Klimaproteste und eine an Kraft gewinnende neue feministische Bewegung, stehen dem Erstarken rechter und autoritärer Kräfte auf der ganzen Welt gegenüber. Angesichts all der ermutigenden Potentiale einerseits und der bedrohlichen Szenarien anderseits wird immer klarer: Wenn die fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräfte diese offene Situation für sich entscheiden wollen und die Krisen nachhaltig entschärft werden sollen, braucht es mehr als ein Rumdoktern an den Symptomen, es braucht mehr als einen Buben im Kartenblatt oder das Hoffen auf ein Ass. Vielmehr müssen die Karten neu gemischt und Regeln umgeschrieben werden.

Dieser Text basiert auf Ausschnitten des Buches „Green New Deal als Zukunftspakt – Die Karten neu mischen“ von Johanna Bussemer und Katja Kipping, welches am 22.7.2021 in August Verlag erscheinen wird.

https://www.augustverlag.de/en/catalog/green-new-deals-als-zukunftspakt/

Ein Artikel von Katja Kipping und Johanna Bussemer

Katja Kipping

Katja Kipping ist Mitglied des Deutschen Bundestages und war von 2012 bis 2021 gemeinsam mit Bernd Riexinger Vorsitzende der Partei DIE LINKE.

Johanna Bussemer

Johanna Bussemer ist Leiterin des Referates Europa im Zentrum Internationaler Dialog der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zuvor war die studierte Politologin Referentin für Außenpolitik bei der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag.

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