„Die Europäische Linke ist so gut, wie sie die Mitgliedsparteien haben wollen“
Die Partei der Europäischen Linken muss aus einem Label in ein Werkzeug der praktischen politischen Auseinandersetzung verwandelt werden, meint deren Präsident Walter Baier zum 20. EL-Geburtstag
Die Partei der Europäischen Linken (EL) wird 20 Jahre alt, Sie waren einer ihrer Gründungsväter und sind heute ihr Präsident. Was steht zum Jubiläum auf der Haben-Seite?
Das lässt sich am besten mit aktuellen Beispielen zeigen. Vor drei Wochen haben wir mit dem portugiesischen Linksblock die No-Pasaran-Konferenz in Lissabon organisiert, auf der Genoss*innen aus vier Kontinenten und vielen europäischen Ländern ihre Kämpfe gegen die Rechtswende abgestimmt haben. Anfang April haben wir zusammen mit der Partei der Arbeit Belgiens, der zypriotischen AKEL und der slowenischen Levica zu einer Konferenz in Brüssel eingeladen und mit Vertreter*innen von 25 Parteien, Gewerkschafter*innen und Sprecher*innen sozialer Bewegung über eine linke Strategie in Sachen Klimawandel, Sozial- und Beschäftigungspolitik beraten. Bewusst wollten wir damit auch ein Zeichen der Kooperation der Linken setzen. Im November wird in Budapest die nächste Ausgabe des maßgeblich von der EL organisierten Europäischen Forums der progressiven Kräfte stattfinden. Dass der Veranstaltungsort Budapest sein wird, hat wegen des bei den EU-Wahlen drohenden Rechtsrucks auch symbolische Bedeutung. Was ich sagen will, ist, dass die EL ein stabiler offener Raum des linken Dialogs ist und als solcher geschätzt wird.
Das war nicht immer so. Nicht zuletzt deshalb, weil es innerhalb der Europäischen Linken, die inzwischen über 40 sehr verschiedene Parteien vereint, immer wieder Differenzen und – teilweise heftige – Konflikte gegeben hat.
Ja, aber die Europäische Linke ist nun einmal divers. Und sie ist deshalb divers, weil die Umstände, unter denen linke Parteien arbeiten, unterschiedlich sind. Ebenso wie die Traditionen, aus denen sie kommen. Die Aktionseinheit der Linken in Europa herzustellen, ist eine ständige Herausforderung.
Einer der jüngeren Konflikte in der EL war die Auseinandersetzung um den Ukraine-Krieg und insbesondere auch die Positionierung zu Russland und zur Nato. Gibt es dazu inzwischen eine gemeinsame Haltung?
Die unterschiedlichen Auffassungen in diesen Fragen bestehen weiter. Das hängt auch mit der jeweiligen geografischen Lage zusammen – Parteien aus Nordeuropa ziehen aus dem Ukraine-Krieg und Putins Aggression andere Schlussfolgerungen als andere Parteien. Was wiederum Konsequenzen dafür hat, ob die Nato als aggressiver Pakt oder sogar auch als Sicherheitsgarant wahrgenommen wird. Bemerkenswert ist aber, dass sich die EL auf ihrem Kongress in Wien im Dezember 2022 trotz dieser unterschiedlichen Sichtweisen darauf einigen konnte, die Beendigung des Krieges in der Ukraine mit politischen und diplomatischen Mitteln zu fordern.
Gilt das auch für den Nahost-Konflikt?
Ja, aber hier ist es anders. Zwar gibt es Unterschiede im Ton, in dem die Parteien argumentieren, aber nicht in der grundsätzlichen Einschätzung. Alle Mitgliedsparteien der EL haben den terroristischen Angriff der Hamas auf die israelischen Zivilisten und Zivilistinnen am 7. Oktober verurteilt. Und alle Linksparteien fordern ein Ende des blutigen Rachefeldzugs der israelischen Armee, der seither 35 000 Palästinenser*innen das Leben gekostet hat. Für die Bevölkerung von Gaza ist seit sieben Monaten jeder Tag ein 7. Oktober. Dieses Massaker muss beendet werden. Wir fordern daher eine Feuereinstellung, humanitäre Hilfe sowie die Freilassung aller Geiseln und politischen Gefangenen. Von der EU verlangen wir, dass sie ähnlich wie gegen Putin ökonomische Sanktionen gegen die Netanjahu-Regierung verhängt und Palästina als Staat anerkannt, um Voraussetzungen für eine Zweistaatenlösung zu schaffen.
Wie geht man als Präsident mit Konflikten in der EL um?
Am schwersten finde ich, eine Balance zwischen dem, was ich selber für richtig halte, und dem, was die Kompromissfindung erfordert, zu finden. In welchem Ausmaß mir das gelingt, müssen meine Genoss*innen beurteilen. Eine wichtige Voraussetzung ist aber, dass wir in der Führung der EL darin übereinstimmen, dass es kontraproduktiv wäre, Konflikte, die sich daraus ergeben, dass in mehreren Ländern Linksparteien bei den Wahlen gegeneinander antreten, auf der europäischen Ebene auszutragen. Wir betrachten die EL und das Forschungsnetzwerk transform als zu wichtig, als dass wir sie zum Objekten von Rivalitäten zwischen Parteien werden lassen wollten.
Stichwort Europawahl. Die EL hat ein sehr ambitioniertes Programm vorgelegt, untersetzt mit vielen konkreten Punkten. Wird dieses Papier in den nationalen Parteien aufgegriffen?
Es gibt Politikbereiche, die per se europäisch sind. Dazu gehören die Friedenspolitik und die sozial-ökologische Transformation. Dier EL hat sich mit ihrem Politischen Manifest bemüht, die Schnittstellen zwischen europäischer Politik und nationalen Politiken zu zeigen. Beim Thema Wohnen etwa: In den Programmen aller unserer Mitgliedsparteien wird die Wohnungsnot aufgegriffen. Als europäische Partei fordern wir, dass das Recht auf ordentliches und leistbares Wohnen ins europäische Primärrecht hineingeschrieben wird. Wir verlangen eine EU-Direktive, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, rechtliche Mietobergrenzen zu beschließen und Zwangsräumungen von Hauptwohnsitzen zu untersagen. Außerdem schlagen wir vor, dass die EU durch die Schaffung eines europäischen Fonds zur Finanzierung kommunalen und genossenschaftlichen Wohnbaus zur Lösung des Wohnproblems beiträgt.
Trotzdem werden auch Europawahlen noch immer national gewonnen oder verloren. Wo haben Linksparteien gute Chancen?
Gute Chancen haben wir überall. Europaweite Umfragen lassen uns hoffen, dass die Linken mit mehr Mandaten ins EU-Parlament einziehen werden als vor fünf Jahren. Und besonders gute Chancen haben wir derzeit in Belgien, in Irland, in Österreich. Es ist nicht sicher, dass die Kommunistische Partei Österreichs die recht hohe Hürde ins Europaparlament schaffen wird, aber die Chance besteht, und sie besteht das erste Mal seit vielen, vielen Jahren.
Nach 20 Jahre EL – was bleibt auf der Soll-Seite?
Die EL ist so gut, wie sie die Mitgliedsparteien haben wollen. Auf der Soll-Seite steht vor allem, dass wir vom Reden ins Tun kommen müssen. Die EL muss kampagnenfähig werden. Im Kampf gegen den Neofaschismus gibt es bereits gemeinsame europäische Aktionen. Wir unterstützen außerdem die Aktionen der europäischen Gewerkschaften gegen eine Neuauflage der Sparpolitik. Wir haben auch ein Netzwerk zum sozialen Wohnen und sollten versuchen, eine europäische Kampagne auf der Grundlage gemeinsamer Forderungen zu organisieren. Wir könnten zeitlich abgestimmte Initiativen in den nationalen Parlamenten und im Europaparlament setzen, wir könnten öffentliche Meetings in europäischen Städten organisieren, eine Karawane quer durch Europa durchführen. Worum es geht, ist, die EL aus einem Label in ein Werkzeug der praktischen politischen Auseinandersetzung zu verwandeln.
20 Jahre Europäische Linke: Von Rom bis Ljubljana – eine Chronik
Vertreter*innen von fast zwei Dutzend Parteien aus 15 Ländern Europas gründen auf einem Treffen am 8. und 9. Mai 2004 in Rom die Partei der Europäischen Linken. »Unser Ziel ist die menschliche Emanzipation, die Befreiung von Männern und Frauen von allen Formen der Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung«, heißt es im Gründungsdokument. Strukturen für die Zusammenarbeit mit Bewegungen, Gewerkschaften und eigenständigen thematischen Netzwerken wird auf den Weg gebracht, die Einführung einer Einzelmitgliedschaft als Projekt im Projekt ermöglicht. Der italienische Linkspolitiker Fausto Bertinotti wird zum ersten Vorsitzenden der EL gewählt. In seine Amtszeit (2004 – 2007) fallen unter anderem die Beschlüsse, sich sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zu öffnen und gemeinsam für ein anderes Europa zu streiten, sowie die Gründung der »Denkfabrik« Transform.
Auf dem ersten Kongress der EL im Oktober 2005 in Athen wird die Absicht bekräftigt, gemeinsam mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und politischen Linken für ein soziales, friedliches und demokratisches Europa zu kämpfen.
Der 2. Kongress in Prag im November 2007 verabschiedet den »Prager Appell für ein anderes Europa« verabschiedet. Gefordert wird ein »Politikwandel für mehr Demokratie und Gerechtigkeit, für Arbeit, ökologische Nachhaltigkeit und für Frieden«. Die Delegierten wählen den deutschen Vorsitzenden der Linkspartei, Lothar Bisky, zum EL-Präsidenten. Unter Biskys Führung wurden die ostdeutsche PDS und die im Westen entstandene WASG zu Die Linke. Bisky galt in der EL als Vereinigungsmanager.
Auf dem 3. Kongress in Paris 2010 übernahm Frankreichs KP-Chef Pierre Laurent das Spitzenamt der Europapartei; Bisky hatte mit Verweis auf »Beziehungsprobleme« in der EL aufgegeben. Die Europäische Linke rückt insbesondere den Kampf gegen die sogenannte Austeritätspolitik ins Zentrum ihres Handelns. Die Strukturen der Mitgliedschaft werden um Beobachterparteien erweitert. Die Öffnung für Themen wie Feminismus wird auch auf dem 4. Kongress in Madrid 2013 fortgesetzt.
Der Parteikongress im Dezember 2016 wählte den deutschen Linkspolitiker Gregor Gysi an die EL-Spitze. In Gysis Ägide fallen unter anderem der Ausbau der Sommeruniversitäten, vor allem aber die (Mit-)Begründung der Europa-Foren, die nach Vorbild des Foro Sao Paulo »linke, grüne und progressive« Kräfte zusammenbringen sollen.
Der Vorsitzende der Internationalen Kommission der deutschen Linkspartei Heinz Bierbaum übernahm von Gysi die EL-Präsidentschaft auf dem »Reset Europe« überschriebenen Kongress 2019 in Málaga. Neben der Weiterentwicklung des European Forum wurden unter Bierbaums Führung vor allem die Beziehungen zu den Gewerkschaften ausgebaut.
Im Dezember 2022 tritt der langjährige Chef von transform! europe Walter Baier die Präsidentschaft der Partei der Europäischen Linken an. Zentrale Elemente der Erklärung des Wiener Kongresses sind die sozial-ökologische Transformation, der Ausstieg aus fossilen Energien sowie ausgeweitete und garantierte soziale Rechte in der EU, wofür Europas Linke die Verankerung eines sozialen Fortschrittsprotokolls im europäischen Vertragswerk fordert.
Im Februar 2024 beschloss die EL in Ljubljana ihr Programm zur EU-Wahl. In zehn Kapiteln – von Frieden über Armutsbekämpfung, von Feminismus bis Kooperation mit dem Globalen Süden – werden konkrete Maßnahmen zur Veränderung der EU-Politik vorgeschlagen. Walter Baier wurde zum Spitzenkandidat gewählt.
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.
Hinweis
Guter Journalismus ist nicht umsonst.
Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.
Kontakt
Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.
Zahlungsmethode
Hinweis
Guter Journalismus ist nicht umsonst.
Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.
Zahlungsmethode
Kontakt
Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.