Die Europäische Linke am Scheideweg

Die Partei der Europäischen Linken muss auf ihrem Kongress in Malaga die Weichen stellen: zur Stärkung ihres politisches Profil und zur Kooperation mit anderen linken Kräften. Von Heinz Bierbaum

Foto: © Europäische Linke

Vom 13.-15. Dezember findet der 6. Kongress der Partei der Europäischen Linken (EL) in Málaga statt. Er ist für die Zukunft der EL von ganz wesentlicher Bedeutung. Denn die EL befindet sich in der Krise. Sie konnte sich bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nicht als starke alternative politische Kraft gegenüber der herrschenden neoliberalen Politik und der extremen Rechten präsentieren. Zwar gab es mit den guten Ergebnissen der belgischen Partei der Arbeit (PTB) und des portugiesischen Blocos sowie der sehr beachtlichen Behauptung von Syriza auch Erfolge, doch insgesamt erlitt die europäische Linke eine deutliche Niederlage. Die linke Parlamentsfraktion GUE/NGL verlor Sitze und ist nunmehr die kleinste Fraktion im Europäischen Parlament. Hinzu kommt, dass die EL längst nicht mehr die Gesamtheit der europäischen Linken repräsentiert. Wichtige Parteien wie die PTB, Podemos in Spanien, die schwedische Linkspari, die norwegischen Linkssozialisten, die Sozialistische Partei der Niederlande oder die kommunistische Partei Portugals gehören nicht der EL an. France Insoumise, die sich wegen der Regierungspolitik Syrizas schon verabschiedet hatte, tritt der EL wieder näher und will wenigstens Beobachterpartei werden.

In dieser Situation stellen sich der EL zwei zentrale Aufgaben. Sie muss ihr politisches Profil deutlich verbessern, um somit wieder sichtbar zu werden. Und sie muss die Kooperation mit den linken Kräften in Europa stärken.

Stärkung des politischen Profils

Bei der politischen Programmatik gibt es unterschiedliche Positionen, insbesondere im Hinblick auf die Europäisch Union. So ist in der europäischen Linken umstritten, ob die EU reformierbar ist oder nicht. Es ist offensichtlich, dass die Verträge von Maastricht und Lissabon keine Grundlage für das gewollte soziale, demokratische, ökologische und friedliche Europa darstellen. Doch die Frage, ob die EU reformierbar ist oder nicht, ist letztlich eine abstrakte Frage. Entscheidend sind vielmehr die politischen Prozesse, die in Gang zu setzen sind, um die EU und damit Europa zu verändern. Dieser Aufgabe hat sich die Linke zu stellen. Die Linke tritt für eine radikale Änderung der europäischen Politik ein. Und dabei gibt es eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten. An die Stelle der neoliberalen Austeritätspolitik muss eine nachhaltige Wirtschaftspolitik mit öffentlichen Investitionen in gesellschaftlich nützlichen Bereichen treten. Dazu zählen neue Energien, neue Formen der Mobilität, Wohnungen, Gesundheit und Pflege, Bildung und Kultur. Die EZB muss Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung und vor allem für die Schaffung von Arbeitsplätzen übernehmen. Die Steuerpolitik muss gerechter werden, indem hohe Einkommen und Vermögen und vor allem auch die großen Unternehmen und Konzerne stärker besteuert werden, während die unteren Einkommen entlastet werden. Steuerparadiese sind zu schließen. Finanzspekulation ist zu verbieten und es gilt, die Finanzmärkte demokratisch zu kontrollieren. Gewerkschaften und ihre Tarifvertragsmacht gilt es im Interesse einer Erhöhung der Einkommen der abhängig Beschäftigten und einer besseren sozialen Absicherung zu stärken. Und es bedarf verbindlicher sozialer Rechte.

Es charakterisiert die Linke, dass sie die ökologische und die soziale Frage miteinander verbindet und daher die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft betont. Dabei darf es allerdings nicht bei einem bloßen Bekenntnis bleiben. Vielmehr muss sie die zentrale Ausrichtung darstellen und damit zum Markenkern der Linken gemacht werden. Notwendig ist, dass sie in dieser Hinsicht wesentlich inhaltlicher und auch politischer werden muss. Und man darf daraus auch keine Generationenfrage machen, sondern verdeutlichen, dass dies eine Klassenfrage ist. Erforderlich ist, dass inhaltlich mehr Anstrengungen unternommen werden, was auch bedeutet, dass die Debatte um Inhalte und Ausrichtung einer linken Industriepolitik intensiviert werden muss. Der gesellschaftliche Produktionsprozess ist in einem tiefgreifenden Umbruch. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sich inzwischen die dramatischen ökologischen Auswirkungen einer auf fossilen Energien basierenden Industrieproduktion nicht mehr übersehen lassen. Gefordert sind weniger Ressourcenverbrauch und damit nachhaltige wirtschaftliche Konzepte. Es bedarf nicht nur einer neuen Energiepolitik, sondern insbesondere auch neuer Konzepte im Bereich der Mobilität. Notwendig sind umfangreiche Investitionsprogramme im Sine eines „New Green Deal“, der aber über eine kapitalistische Modernisierung hinausgehen muss. Dies muss zugleich mit einer stärkeren Beteiligung der Beschäftigten selbst und damit mit wirtschaftsdemokratischen Konzepten verbunden sein. Es bedarf eines grundsätzlich neuen Entwicklungsmodells, eben einer grundlegenden Transformation kapitalistischen Wirtschaftens. Die sozial-ökologische Transformation ist die politisch entscheidende Frage. Dabei hat die Linke sich besonders auch mit der Frage der Transformation und damit der grundlegenden Veränderung der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Dabei ist zu verdeutlichen, dass dies in einer am Profit ausgerichteten Wirtschaft nicht gelingen kann. Es geht um die sozialistische Perspektive. Dies unterscheidet die Linke wesentlich von ökologischen Modernisierungskonzepten kapitalistischer Entwicklung, wie sie etwa von den Grünen vertreten werden.

Kooperation der linken Kräfte

Anfang November fand in Brüssel das dritte Europäische Forum statt. Dieses Forum geht auf einen Beschluss des Kongresses der EL im Dezember 2016 in Berlin zurück. Es wird von der EL in Zusammenarbeit mit weiteren progressiven und auch grünen Kräften organisiert. Es stellt eine Plattform für die politische Debatte um linke europäische Politik dar. Es ist ausgesprochen positiv zu werten, dass dieses Forum praktisch die gesamte Breite der progressiven Kräfte einschließlich der Gewerkschaften repräsentiert. Freilich ist die Diskussionskultur verbesserbar, da das Forum wie schon das vorige im letzten Jahr durch eine Vielzahl vorbereiteter Beiträge bestimmt war, was eine wirklich offene Debatte nahezu unmöglich machte. Inhaltlich ging es vor allem um den engen Zusammenhang von sozialer, ökologischer und demokratischer Entwicklung und dabei um einen die kapitalistischen Grenzen überwindenden neuen Entwicklungspfad. Innerhalb des Forums fanden besondere Versammlungen für Frauen, Jugend und GewerkschafterInnen statt. Diese können Ausgangspunkte für eine vertiefte und kontinuierliche Kooperation europäischer linker Kräfte sein. Besonders deutlich war dies beim Gewerkschafter-Treffen, das sich für eine solch kontinuierliche Zusammenarbeit und der Kooperation mit anderen linken gewerkschaftlichen Netzwerken wie dem Trade Unionists European Network (TUNE) sowie für gemeinsame Aktionen aussprach. Gerade bei den Frauen sind solche gemeinsamen Aktionen wie etwa der feministische Streik bereits gängige Praxis.

Stärkung der EL

Insgesamt geht es darum, die EL politisch zu stärken, sie sichtbarer zu machen und sie zu einem organisierenden Zentrum der europäischen Linken zu machen. Da Gregor Gysi als Präsident nicht mehr antreten wird, muss auch die Führung der EL neu bestimmt werden. Gregor Gysi hat viel für die Bekanntheit der EL getan und sich um die Zusammenarbeit mit anderen linken Kräften stark bemüht. Die strukturellen Probleme der EL bestehen jedoch fort. Die Führungsfrage ist bis heute noch nicht gelöst. Das wird wohl erst auf dem Kongress selbst der Fall sein. Mehrheitlich wird eine Doppelspitze angestrebt, deren Zustandekommen jedoch davon abhängt, ob ein Konsens über die personelle Besetzung erreicht werden kann. Schließlich gilt in der EL das Konsensprinzip. Übereinstimmung besteht darin, dass die künftige Führung kollektiver mit einer klaren Aufgabenverteilung sein soll.

Es ist zu wünschen, das der Kongress in Málaga Signalwirkung für einen neuen Aufbruch der EL und damit der Linken in Europa insgesamt hat.

Ein Artikel von Heinz Bierbaum

Heinz Bierbaum

Heinz Bierbaum ist Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bis Dezember 2022 war der Wirtschaftsprofessor Präsident der Partei der Europäischen Linken (EL).

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