„Die EU-Politik gegenüber Russland bedarf einer grundsätzlichen Neuorientierung“
Helmut Scholz im Gespräch: Die EU muss endlich wieder mit Russland ernsthaft einen ergebnisorientierten Dialog aufnehmen, statt aus dem fernen Brüssel die Konfrontation zu schüren
Am 11. März wurde im Plenum des Europaparlaments der Resolutionsentwurf zu den Beziehungen EU-Russland debattiert. Der Bericht liest sich wie die Charakterisierung einer Diktatur.
Am Montagabend wurde im Plenum des Europaparlaments der Resolutionsentwurf zu den Beziehungen EU-Russland debattiert. In dem Bericht ist von Interventionen Moskaus in einer ganzen Reihe von Staaten die Rede, von der Unterstützung rechtsextremer Parteien in Europa, von der Missachtung der Menschenrechte oder der Verfolgung politischer Kritiker des Kreml. Das liest sich wie die Charakterisierung einer Diktatur.
Antwort: Der Bericht ist ohne jeden Zweifel einseitig und thematisiert die Probleme offensichtlich ohne jegliches Aufzeigen von realen Lösungsansätzen. Er geht weder auf das objektiv existierende Anliegen der EU nach gutnachbarlichen Beziehungen zu Russland geschweige denn auf berechtigte Interessen der Russischen Föderation ein. Bereits seit einigen Jahren gibt es insbesondere bei Mitgliedern der konservativen Fraktion des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments die Tendenz, Konflikte mit Russland zu verschärfen statt zu entspannen. Der am Montag behandelte Bericht der christdemokratischen lettischen Abgeordneten Sandra Kalniete reiht sich in diese Entwicklung ein. Die EU sollte ihre durchaus berechtigte kritische Bewertung der Innen- und Außenpolitik Russlands durch eine selbstkritische Analyse ihrer eigenen Politik ergänzen. Und das erwarte ich auch von allen politischen Verantwortlichen in der Russischen Föderation.
Wirtschaftliche Verflechtungen, gemeinsame Anstrengungen zur Begrenzung des Klimawandels, das Beharren auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und solidarisches Einfordern von Menschenrechten, auch durch Kontakte mit der Zivilgesellschaft, müssen Eckpfeiler unseres künftigen Verhältnisses zu den Menschen und politischen und wirtschaftlichen Verantwortlichen in Russland sein. Angesichts des von der USA angezettelten und von Russland leider übernommenen neuen Rüstungswettlaufs dürfte sich vor allem die Mitteleuropäer an die Zeiten des Kalten Kriegs und der Auf- und Nachrüstung mit all ihren Gefahren erinnern.
Sind die Vorwürfe gegen die russische Führung haltlos?
A.: Keinesfalls. Tatsächlich gibt es Einmischungen in die Angelegenheiten anderer Staaten, es gibt die Krim-Annexion, Einschränkungen der Bürger- und Menschenrechte, die Verfolgung politisch Andersdenkender. Daher teile ich den Ansatz einer gemeinsamen Resolution, die fordert, endlich die koordinierten Angriffe auf Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten zu beenden, Nichtregierungsorganisationen entsprechende Möglichkeiten der Untersuchung von Menschenrechten einzuräumen und zugleich alle rechtlich verbrieften demokratischen Rechte, einschließlich der sich aus den internationalen Abkommen ergebenden Pflichten für die staatlichen und gesellschaftlichen Organe, ungehindert auf der Grundlage geltenden Rechts der Russischen Föderation zu garantieren und umzusetzen. Das betrifft ebenso einen sofortigen Stopp der Diskriminierung und Verfolgung von LGBTIQ-Personen insbesondere in der Teilrepublik Tschetschenien.
Ich bin jedoch überzeugt davon, dass dies einen ebenso sachlichen wie kritischen Dialog mit Moskau erfordert. Veränderungen in der russischen Politik können nicht gegen, sondern nur mit der dortigen Führung durchgesetzt werden. Daher halte ich auch nichts von der weiteren Verschärfung der ohnehin schon bestehenden Sanktionen oder von der Übernahme der sogenannten Magnitzki-Gesetzgebung der USA, nach der russische Regierungsvertreter mit Einreise- oder Kontensperrungen belegt werden können. Insbesondere die gegenseitigen parlamentarischen Sanktionen müssen aufgehoben werden. Die EU muss endlich den Dialog mit Moskau suchen und dabei konsequent die Einhaltung von Menschen- und Grundrechten einfordern.
Dialog bedarf aber Sprachkenntnisse, weswegen in der EU das Erlernen der russischen Sprache absolut fördernswert ist, um die Kontakte zwischen den Bürgerinnen und Bürgern beider Seiten zu erleichtern. Auch Austausch-Programme müssen unbedingt fortgeführt und verstärkt werden.
Wie soll es in den Beziehungen EU-Russland weitergehen?
A.: Die EU-Politik gegenüber Russland bedarf einer grundsätzlichen Neuorientierung, denn Rüstungswettläufe und die wachsende politische und militärische Konfrontation zwischen der EU und der Russischen Föderation gefährden Frieden und die Stabilität. Das heißt ganz praktisch, dass die EU endlich wieder mit Russland ernsthaft einen ergebnisorientierten Dialog aufnehmen muss, statt aus dem fernen Brüssel die Konfrontation zu schüren. Auf die Tagesordnung europäischer Politik gehört das aktive Eintreten für eine europäische Friedensordnung, die die Sicherheit aller Staaten, das friedliche Zusammenleben, gute Nachbarschaft und Kenntnisnahme der Interessen der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet. Für mich ist es nicht hinnehmbar, dass zwar russische Aufrüstungsschritte zurecht kritisiert werden, gerade in EU-Ländern aber, die zugleich Nato-Mitglieder sind, Militär gegen Russland in Stellung gebracht wird. Es gilt dagegen, Abrüstung anzustreben, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken, Menschenrechte zu garantieren, die Kontakte mit der Zivilgesellschaft sowie Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.
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