Die Aufwärtsentwicklung der Lebensstandards muss das Ziel sein

Redebeitrag bei der Konferenz “Sozialer Zusammenhalt, öffentliche Dienste und Investitionen in den Kommunen”

Foto: © Nora Schüttpelz

Die EU-Regional- bzw. Kohäsionspolitik wie der Fachjargon sagt, ist Ausdruck der Solidarität in Europa und de facto ein Verfassungsauftrag innerhalb der EU-Politik. Ihr Ziel ist die Angleichung und Aufwärtsentwicklung der Lebensstandards überall in Europa. Angesichts der vielen und zum Teil anhaltenden Krisen der vergangenen Jahre wäre es sinnvoll und notwendig, den EU-Haushalt in diesem Bereich aufzustocken.

Es ist eine Frage, wie man die Brexit-Haushaltslücke ausgleichen kann, von der viel die Rede ist. Aber im Kern geht es doch um die Frage: Wie soll die Zukunft der Europäischen Union aussehen? Wird es ein solidarisches Europa, bei dem die Angleichung der Lebensverhältnisse oberste Priorität hat?

Der von der Kommission vorgeschlagene Siebenjahreshaushalt (2021-2027) jedoch setzt völlig andere Prioritäten.  Massive Kürzungen bei der Finanzierung der Kohäsionspolitik, dem wichtigsten Solidaritätsinstrument der EU sind dort zu finden. Stattdessen zielen die Mittel für so genannte “neuen Herausforderungen und Prioritäten” darauf ab, mehr Geld für „Festung Europa” und für Konjunkturprogramme für Sicherheits- und Militärunternehmen auszugeben.

Die Verantwortung liegt natürlich bei der Kommission, die die Gesetzesvorschläge macht. Aber auch bei den nationalen Regierungen. Auch ihre Sparideologie hat alle Krisen immer nur verschärft.

In Brüssel lautstark von der EU Lösungen einzufordern und zu Hause in den Mitgliedsstaaten Wege zu blockieren, sei es die Transaktionssteuer oder andere Einnahmenveränderungen, verhindert auf Dauer die Investition in ein gerechteres, sozialeres, nachhaltiges und friedliches Europa des Zusammenlebens. Das sage ich klar auch den Regierungsparteien in Deutschland.

Auch bei den konkreten Vorschlägen zu den Regionalfonds gibt es eine Menge Kritikpunkte und keinen Grund zur Euphorie:

Besorgt sind wir vor allem über die geplante Zentralisierung bei Programmplanung und Verwaltung der EU-Mittel.

Die Kommission behauptet, Regionen, Städte und Kommunen seien einfach nicht in der Lage, EU-Mittel zu verwalten und einzusetzen.  Wie kann die Kommission behaupten, dass durch mehr Macht-Konzentration die Rolle der Regionen gestärkt wird? In welcher Welt soll das funktionieren?

In Deutschland erfolgt durch die EU-Regionalförderpolitik eine Umverteilung, die die Bundesregierung selbst offensichtlich auch nach 25 Jahren Wiedervereinigung nicht hinkriegt oder auch gar nicht will. Wenn sie nun auch noch Prioritäten für den Einsatz der EU-Mittel festlegen soll, hat das mit den Bedürfnissen vor Ort und Umverteilung vermutlich ebenso wenig zu tun. Eine Renationalisierung schadet dann am Ende auch dem europäischen Gedanken.

Zusätzlich sollen nach dem Willen der Kommission weiterhin Konditionalitäten gelten, auf die die Regionen keinen oder kaum Einfluss haben: die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakt, der Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters, Rechtsstaatlichkeit. Konditionalität heißt: Bereits zugesagte Mittel können im Extremfall durch die EU-Kommission zurückgehalten werden, bis sich ein Mitgliedstaat „bessert“. Das trifft aller Erfahrung nach immer die falschen.

Auch scheint uns unklar, warum der Fonds für ländliche Entwicklung nun nicht mehr unter die StrukturfondsrahmenVO fallen soll. Das Europaparlament hat in dieser Legislatur immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Entwicklung der unterschiedlich großen und kleinen Städte und der umliegenden ländlichen Regionen als komplementär zu betrachten. Natürlich sind viele konkrete Probleme in Stadt und Land sehr unterschiedlich: zu wenige Wohnungen in der Stadt, Leerstand auf dem Land. Kein ÖPNV, manchmal kaum befahrbare Straßen in der Fläche, Verkehrskollaps in städtischen Gebieten. Doch gemeinsam ist die Herausforderung, universellen Zugang zu guten öffentlichen Diensten, Verwaltung, Gesundheit, Bildung, Information, Kultur usw. zu organisieren und das geht nur mit übergreifenden Strategien.

Ein weiterer Trend betrifft die Vermarktwirtschaftlichung der Kohäsionspolitik: Als Linke stehen wir den zunehmenden Einsatz von Finanzinstrumenten äußerst kritisch gegenüber und vor allem der Übertragbarkeit von 5% der Strukturfondsmittel auf den neuen EFSI (InvestEU). Öffentlich abgesicherte Kreite können sicherlich KMU sinnvoll unterstützen. Aber für viele Projekte sind sie erfahrungsgemäß ungeeignet. Wirtschaftsförderung ist natürlich Teil regionaler Entwicklungsstrategien, aber eben nicht ihr Kern.

Ein letzter Punkt: Künftig sollen, so die Kommission, Länder und Kommunen höhere Eigenanteile für EU-geförderte Vorhaben aufbringen. Dafür gebe es etwas mehr Flexibilität und Vereinfachung im Austausch– so begründet die Kommission ihre Entscheidung. Alarmiert sind davon natürlich vor allem die ärmeren Regionen bzw. Vertreter der insgesamt ärmeren Mitgliedstaaten. Die ärmsten Regionen der EU, aber auch andere haben bereits bei der aktuellen Beitragsrate Probleme, die Eigenmittel aufzubringen.

Ein Artikel von Martina Michels

Martina Michels

Martina Michels ist Europaabgeordnete der LINKEN und u.a. Mitglied im Ausschuss für Regionale Entwicklung und für Kultur. Sie ist zugleich Sprecherin der Delegation DIE LINKE im Europäischen Parlament.

 

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