„Wir werden viele Abwehrkämpfe führen müssen“

„Wir werden viele Abwehrkämpfe führen müssen“

Die Europaabgeordnete der Grünen Anna Cavazzini zu den Herausforderungen des neuen EU-Parlaments, zu ihrer Tätigkeit als Ausschussvorsitzende und zur Erstarken der Rechten in Europa

© European Parliament

Ein Interview mit Anna Cavazzini — das Gespräch führte Jürgen Klute

Anna Cavazzini

Anna Cavazzini ist seit 2019 Europaabgeordnete der Grünen. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz und u.a. stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel.

Der Podcast mit Anna Cavazzini ist Teil der Reihe „Europa to go“, die gemneinsam von die-zukunft.eu, http://europa_blog und http://ndaktuell getragen wird. Die Aufzeichnung fand im Herbst 2024 statt, das Gespräch führte Jürgen Klute. Audiodatei unten

Sie sind zum zweiten Mal ins Europäische Parlament gewählt worden. Das erste Mal 2019, nun im Juni das zweite Mal. Wenn Sie zurückblicken auf Ihre erste Wahlperiode: Hat sich viel verändert?

Die letzte Legislaturperiode war wirklich unglaublich. Durch die Klimaproteste, dadurch, dass das Klimathema in sehr, sehr vielen EU-Mitgliedstaaten Nummer eins auf der Agenda war und wir dann auch eben mit Ursula von der Leyen eine Kommissionspräsidentin hatten, die sich den Green Deal wirklich zu eigen gemacht hat, haben wir es geschafft, fraktionsübergreifend unglaublich viele Gesetze durchzubringen, die die Europäische Union auf den Pfad der Klimaneutralität bringen. Und das, würde ich sagen, war einfach eine sehr besondere Wahlperiode. Aber ich merke schon – das sieht man ja auch, wenn man auf die Wahlergebnisse schaut –, dass sich der Wind ein bisschen gedreht hat. Dass die extrem Rechte größer geworden ist, dass es jetzt drei rechte Fraktionen zwei gibt. Und dass auch die Konservativen einen ganz anderen Diskurs fahren. In der letzten Legislatur hatten sie sehr stark den Green Deal unterstützt. Jetzt bedienen sie viele Anti-Grüne-, Anti-Nachhaltigkeits-, Anti-Klimanarrative. Daher ist die Situation heute schon eine andere. Ich glaube aber, dass nicht alles verloren ist. Schon dadurch, dass wir Grüne zum Beispiel Ursula von der Leyen abermals als Kommissionspräsidentin mitgewählt haben und ihr abverlangt und abverhandelt haben, dass sie den Green Deal weitermacht. Damit ist eine gewisse Kontinuität gesichert. Aber ich glaube, wir werden auch viele Abwehrkämpfe führen müssen.

Der bayerische Ministerpräsident Söder sich mehrfach dafür eingesetzt, dass das Verbot der Verbrennungsmotoren ab 2035 aufgehoben werden soll. Der italienische Minister für Europafragen hat sich in ähnlicher Weise geäußert. Da ballt sich offenbar etwas zusammen von rechter und konservativer Seite.

Das Verbrenner-Verbot ist ein Beispiel, aber es gibt noch andere Themen, andere Gesetze, die wirklich in Gefahr sind. Ich sehe das als eine große Gefahr und nehme es sehr ernst. Weil ich auch am Ende der letzten Legislatur gesehen habe, wie schnell es gehen kann, dass man Erreichtes, zum Beispiel Umweltstandards, zurückdreht. Wir hatten am Ende der Legislatur nach den Protesten der Landwirtinnen und Landwirte eben noch mal in einem Eilverfahren die wenigen Umweltauflagen, die es in der gemeinsamen Agrarpolitik gibt, quasi abgeschwächt oder gestrichen. Wir müssen sehr wachsam sein und weiterkämpfen, aber auch Stakeholder sein und die Öffentlichkeit überzeugen, dass die Gesetze Sinn machen.

Übrigens hat der auch von Konservativen hochgeschätzte Mario Draghi, der ehemalige italienische Ministerpräsident, in seinem vor wenigen Wochen vorgelegten Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU betont, dass der Green Deal und die Gesetzgebung zur Dekarbonisierung der Wirtschaft helfen kann und auch eine Säule ist für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit.

Kommen wir zu deinem eigentlich Arbeitsschwerpunkt hier im Europäischen Parlament. Du bist Ausschussvorsitzende des IMCO. IMCO, das ist der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Was sind die wichtigsten Themen im Augenblick? Es wird ja nicht so viel in deutschen Medien darüber berichtet, was in den Ausschüssen passiert.

Wir sind als gesamtes Europaparlament gerade in einer Übergangsphase. Wir haben noch nicht mit der Gesetzgebung für die neue Legislatur begonnen. Viele Abgeordnete, auch wir Grüne, wollen zum Beispiel unbedingt, dass die Kommission eine Revision der Beschaffungsrichtlinien vorschlägt, damit wir endlich bestimmte Kriterien wie Tarifbindung, nachhaltige Kriterien, aber auch regionale Kriterien stärker in der Beschaffung verankern.

Ein weiterer Schwerpunkt deiner politischen Arbeit sind die Beziehungen zu Brasilien, zu Lateinamerika insgesamt. Du bist in der Delegation für Brasilien und auch damit automatisch im sogenannten Eurolab-Ausschuss. Das ist eine parlamentarische Versammlung zwischen Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Parlamentariern aus lateinamerikanischen Ländern. Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Herausforderungen, die wichtigsten Themen zum Bereich internationaler Handel?

Ich finde, wir haben hier auch in der letzten Legislatur viel erreicht, um die Lieferketten nachhaltiger zu machen. Wir haben das Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht, wir haben ein Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit auf den Weg gebracht, oder zum Beispiel das Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten. Und auch hier sehe ich, dass es Angriffe darauf gibt. Es gibt Akteure, die das wieder zurückdrehen wollen. Wir müssen das Erreichte verteidigen. In der letzten Legislatur haben wir außerdem durchgesetzt, dass die Kommission einen neuen Ansatz für bilaterale Handelsabkommen auf den Weg bringt, wo mehr Nachhaltigkeit verankert ist – Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, die Umwelt stärker berücksichtigen. Und wir sehen auch hier, dass jetzt die Kommission ganz leicht sagt, ah, das besteht ja einen Praxistest nicht, viele Länder des globalen Südens wollen das nicht, wollen nicht mehr Nachhaltigkeit in den Handelsabkommen verankern. Aber ich glaube, das ist der zentrale Punkt für uns Grüne und auch anderer progressiver Akteure, dass wir diesen neuen Ansatz für mehr Nachhaltigkeit in den Handelsabkommen weiterhin durchfechten für alle zukünftigen Handelsabkommen.

Wo es gerade Spitz auf Knopf steht, ist das Abkommen mit den Mercosur-Ländern. Wir haben das als Parlament damals gestoppt unter dem Präsidenten Bolsonaro, weil der einen massiven Kahlschlag betrieben hat – was den Regenwald angeht, aber auch, was die Menschenrechte angeht. Mit der Regierung Lula verhandelt die Kommission seitdem nach. Wirklich auch auf Druck von uns im Parlament, auch von Zivilgesellschaft, dass das Mercosur-Abkommen sich auch stärker in Richtung Nachhaltigkeit ausrichtet.

Noch ein ganz anderes Thema. Das Europäische Parlament ist nach den letzten Wahlen ein ganzes Stückchen weiter nach rechts gerutscht. Was denkst du, welche Maßnahmen, welche politischen Richtungen muss das Europäische Parlament, muss die Europäische Union einschlagen, um diesen Rechtsruck zu stoppen?

Also ich finde, eigentlich hat die Europäische Union die wichtigsten Hebel in der Hand, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Denn ich glaube, und das zeigen ja auch viele, auch psychologische Studien, dass gerade eine krasse Unsicherheit herrscht, dass die Leute wegen der verschiedenen Krisen – wir hatten Corona, dann haben wir den Angriffskrieg in der Ukraine, den Krieg in Nahost, dann haben wir die Klimakrise. Und ich glaube, dass die Europäische Union Pfeiler gegen diese ganzen Krisen ist, auch Sicherheit schafft für die Menschen, ist total wichtig. Ich finde schon, dass wir nicht so einen schlechten Job gemacht haben in der letzten Legislatur. Ich finde, die Corona-Pandemie wurde einigermaßen gut gehandlet auf europäischer Ebene. Und auch im Falle des Kriegs in der Ukraine zum Beispiel steht die Europäische Union eng zusammen. Aber das reicht halt nicht. Wir müssen noch mehr die Menschen davon überzeugen, dass wir diese Krisen bewältigen können. Und ich glaube, es braucht auf progressiver Seite einfach auch emotionale, mit Hoffnungen besetzte Zukunftsideen, Zukunftsprojekte, damit wir rauskommen aus dieser Krisenstimmung, die sich ja die Rechtsextremen super schlau, das muss man leider sagen, zunutze machen.

Der Podcast »Europa to go« ist eine Kooperation der Plattformen »Europa.Blog« und »die-zukunft.eu« sowie von »nd.DerTag/nd.DieWoche«

AUDIODATEI:

„Wir werden viele Abwehrkämpfe führen müssen“

Ein Artikel von Jürgen Klute

Jürgen Klute

Jürgen Klute ist Theologe und Europapolitiker. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des EU-Parlaments (Delegation DIE LINKE). Jürgen Klute betreibt die Internetseite europa.blog. Er publiziert insbesondere zu Themen wie linke Kräfte in Europa und zur Rechtsentwicklung in der EU. (Foto: © Uli Winkler)

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