„Orbán hat Ungarn zum Mafiastaat gemacht“
Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund über die Brandmauer im EU-Parlament, Ungarn und die Rechtsstaatlichkeit, Korruption und sein Vertrauen in Ursula von der Leyen (II)

Teil II des Interviews mit dem Grünen-Europapolitiker Daniel Freund. Der erste Teil, in dem es u.a. um den Schulterschluss zwischen Konservativen und Rechtsextremen im Europäischen Parlament ging, erschien a, 6. August.
Bei den Grünen im Parlament sind keine Korruptions- oder kritischen Lobbyismusfälle bekannt geworden. Ist das ein Thema nur von konservativen und Rechtsaußen-Fraktionen, oder haben Sie als Grüne schlicht zu wenig Gelegenheit dafür?
Also Katar-Gate zum Beispiel war ja ein Fall, der ausschließlich Sozialdemokraten betraf. Ich glaube, am Ende, dass wir Grüne bisher Glück gehabt haben, dass es uns nicht betrifft. Ich denke, Korruption und Regelverstöße können überall passieren. Deshalb braucht es ja unabhängige Kontrolle. Wenn jemand gegen die Regeln verstößt, egal wo er oder sie herkommt, dann muss es da Sanktionen geben. Aber wenn man sich die Verurteilung von Le Pen und ihrer Partei anschaut oder die erheblichen Vorwürfe, dass die AfD und andere rechtsextreme Parteien viele Millionen Euro aus dem EU-Parlament in den letzten Jahren veruntreut, missbraucht und auch geklaut haben sollen, dann scheinen besonders die Feinde der EU dafür anfällig, europäische Gelder zu missbrauchen. Es sind übrigens dieselben, die immer am lautesten schreien gegen die Brüsseler Bürokraten und behaupten, es gäbe ausufernde Korruption in den EU-Institutionen.
Meinen Sie damit jetzt auch die ungarische Regierung?
Ja, damit meine ich auch die ungarische Regierung. Viktor Orbán ist der korrupteste Regierungschef, den wir haben in der EU. Der hat Ungarn in den letzten Jahren systematisch in einen Mafiastaat umgebaut. Mit vielen Milliarden auch EU-Geldern, die da verschwinden und das direkte Umfeld von Viktor Orbán, seine Schulfreunde, seine Familienmitglieder unfassbar reich machen. Sein Schwiegersohn hat allein im letzten Jahr seine Vermögenswerte verdoppelt auf über 500 Millionen Euro, sein Schulfreund Lőrinc Mészáros ist der reichste Mann in Ungarn, laut »Forbes« mehrfacher Milliardär mit geklauten EU-Geldern. Dass wir uns das immer noch gefallen lassen, dass immer noch EU-Gelder nach Ungarn überwiesen werden wenn wir wissen, die nutzen das, um da mit dem Privatjet auf die Malediven zu fliegen oder sich Jachten zu kaufen – das ist unfassbar. Ich habe vor ein paar Wochen einen Brief initiiert mit Abgeordneten aus allen demokratischen Fraktionen im Europaparlament. Er fordert, dass keine EU-Gelder mehr nach Ungarn überwiesen werden, solange es dort keine Antikorruptionsinfrastruktur gibt.
Den Brief kenne ich und auch die bisherigen Maßnahmen gegen Ungarn, beispielsweise das Einfrieren von Strukturfondsmitteln. Genützt hat es aber nichts.
Ich denke schon, dass die 18 Milliarden Euro, die derzeit auf Eis liegen, Wirkung zeigen. Wir haben zum ersten Mal in 15 Jahren die Situation, dass Orbán in den Umfragen hinten liegt, dass es einen Mitbewerber gibt, der aussichtsreich ist, ihn eventuell bei den anstehenden Wahlen im nächsten April zu schlagen. Das hat schon auch damit zu tun, dass wir gerade aus dem Europäischen Parlament Druck machen, die Korruption der Regierung auf den Tische gebracht und eben auch Gelder eingefroren haben. Aber natürlich würde ich mir wünschen, es würden alle Gelder eingefroren, man würde Ungarn auch das Stimmrecht in den EU-Entscheidungsgremien entziehen. Denn Orbán hat mit seinem Veto am Ende auch unsere Sicherheit gefährdet, als er zum Beispiel Sanktionen gegen Russland oder die Unterstützung der Ukraine blockiert hat.
Im Entwurf zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU, zu dem gerade die Debatte begonnen hat, wird die Zahlung von EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeitsprinzipien geknüpft. Das müsste Sie doch als jemand, der sich schon sehr lange mit diesem Thema beschäftigt, freuen, Trotzdem haben Sie Kritik daran.
Nein, nein, die Bindung von Zahlungen an Einhaltung der Werte unterstütze ich natürlich. Aber das ist auch heute eigentlich schon der Fall. Man kann das immer noch verstärken, noch deutlicher machen, vielleicht auch die Verfahren vereinfachen. Aber die Möglichkeit, aus diesem Grund Gelder zurückzuhalten, die gibt es heute schon, nur wird sie eben nicht vollumfänglich genutzt. Am Ende braucht es auch den politischen Willen, da in die Auseinandersetzung zu gehen. Aber ja, alles, was den Schutz von Rechtsstaat, von Demokratie, von Grundrechten verbessert, da bin ich sehr dafür. Und vor allen begrüße ich den vorgeschlagenen neuen Mechanismus, dass die Gelder, wenn sie eingefroren werden, so wie wir das in Ungarn seit zweieinhalb Jahren haben, dann umgeleitet werden sollen in Antikorruptions- und Demokratiearbeit. Die Schwierigkeit ist jetzt natürlich, dass dieser nächste Finanzrahmen nicht nur vom Europaparlament, sondern einstimmig auch von den Regierungen beschlossen werden muss. Also auch von Ungarn oder der Slowakei, wo es ebenfalls Probleme mit Rechtsstaatlichkeit und Korruption gibt.
Das Einstimmigkeitsprinzip ist aber nicht zuletzt eingeführt worden, gerade um kleinere Staaten vor Bevormundung zu schützen.
Ich halte diese Einstimmigkeit für einen der größten Konstruktionsfehler der Europäischen Union. Aber ich kann wie Sie verstehen, wo das herkommt. Als wir mal mit sechs Ländern angefangen haben, wollte man dem kleinen Luxemburg etwas an die Hand geben, damit es nicht vom großen Deutschland, vom großen Frankreich, vom großen Italien übergangen wird. Aber nun sind wir hier mit 27 Ländern. Wir machen gemeinsam Gesetze, wir wollen in der Verteidigung enger zusammenarbeiten, all so etwas. Und da führt die Einstimmigkeit einfach immer häufiger zur Erpressung und dazu, dass wir uns immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Und das ist in einer Welt, wo die Amerikaner weniger verlässlich sind, mit einem aggressiven Putin im Kreml. Das Einstimmigkeitsprinzip ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen ran an die Art, wie wir Entscheidungen treffen in der EU, da braucht es dringend Reformen. Auch, weil wir die EU noch mal erweitern wollen, mit der Ukraine, mit den Ländern des Balkans.
Das sind Forderungen, die auch von der EU-Zukunftskonferenz, an der sich Zehntausende Europäer*innen beteiligten, erhoben wurden. Fast 200 konkrete Empfehlungen wurden nach über einem Jahr Beratungen am 9. Mai 2022 an die Spitzen der EU-Institutionen übergeben. Das Europaparlament hatte beschlossen, an deren Umsetzung dranzubleiben. Passiert ist aber nichts, oder?
Wir haben das im Parlament schon sehr ernst genommen. Nicht nur, dass wir weiter im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern über diese Reformen bleiben wollen. Sondern wir haben daraus ein sehr konkretes Reformpaket geschnürt. Es ist ja so, dass ich als Europaabgeordneter kein Initiativrecht habe, ich darf keine Gesetze vorschlagen, das kann nur die Europäische Kommission. Aber ich habe Initiativrecht bei Vertragsänderungen. Und dieses Initiativrecht haben wir nach der Zukunftskonferenz zum ersten Mal genutzt. Ich war einer der fünf Berichterstatter für die Zukunftskonferenz. Wir haben uns von den Konservativen bis zur Linken gemeinsam hingesetzt und das Reformpaket, das die Konferenz vorgelegt hat, in konkrete Änderungen an den Verträgen übersetzt. Und das wurde dann auch im Parlament mit deutlicher Mehrheit beschlossen.
Trotzdem hat sich nichts getan.
Naja, wir können zwar ein Vertragsänderungsverfahren auf den Weg bringen, aber wir können es nicht alleine beschließen. Und man muss einfach konstatieren, dass die Staats- und Regierungschefs uns jetzt seit zwei Jahren ignorieren, noch nicht mal den Dialog zu dem Thema suchen. Man kann ja sagen, all die Vorschläge, die das Parlament gemacht hat, sind Unfug. Aber noch nicht mal ins Gespräch zu gehen, das geht nicht. Ich finde es schon problematisch, wenn Staats- und Regierungschefs wie Merz, Macron oder Meloni oder wer auch immer in Sonntagsreden davon sprechen, dass wir enger zusammenstehen müssen auf europäischer Ebene. Aber dann blockieren, wenn es konkret darum geht, das auch umzusetzen mit entsprechenden Änderungen an Verträgen und Gefüge der EU. Wir müssen diese Vorschläge, die aus einem breiten Debattenprozess in der Zukunftskonferenz hervorgegangen sind, ernst nehmen. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns.
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