Neue belgische Regierung: Rechtsruck light

Mit der neuen „Arizona“-Regierung wird Belgiens Politik nach rechts verschoben. Aber es gibt Widerstand – sogar aus der Koalition selbst

© Pixabay

Man mag es kaum glauben: Bereits 236 Tage nach den Wahlen vom 9. Juni 2024 hat Belgien seit Montag eine neue föderale Regierung. Nach den vorletzten Wahlen vom Mai 2019 sah es ganz anders aus: Damals dauerte es 494 Tage bis das Kabinett stand. Erst nachdem zu Beginn der Corona-Pandemie zunächst eine sechsmonatige Notregierung mit sehr begrenzten Kompetenzen installiert wurde, kam es Anfang Oktober 2020 zur Bildung einer Regierung, der sieben Parteien angehörten. Der neuen belgischen Regierung gehören hingegen nur fünf Parteien an: N-VA (flämische Nationaldemokraten), CD&V (flämische Christdemokraten), Vooruit (flämische Sozialisten), Les Engagés (frankophone Zentrumspartei) und MR (frankophone Liberale). Entsprechend der Kombination der Parteifarben, die der Flagge des US-amerikanischen Bundesstaates Arizona gleichen, wird nun von der Arizona-Regierung gesprochen. Unterm Strich bleibt, dass die belgische Politik mit der neuen Regierung einen Rechtsruck vollzogen hat – aber bei weitem nicht so weitgehend wie in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich oder Italien.

Welche politischen Veränderungen sind von der Arizona-Regierung zu erwarten? Sozialpolitisch steht Belgien deutlich besser da als Deutschland. Die Arbeitslosenversicherung ist bisher unbefristet. Und es gibt regelmäßig zu den tariflichen Lohnerhöhungen einen Inflationsausgleich (Indexierung genannt). Gleichzeitig hat Belgien eine vergleichsweise hohe Staatsverschuldung. Im Frühjahr 2024 lag sie bei 106 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dementsprechend hoch ist der Druck der EU-Kommission auf die belgische Regierung, die Staatsausgaben zu kürzen. Es galt, für 2024 einen Betrag von 23 Milliarden Euro einzusparen.

Vorgesehen hat die Regierung einerseits Kürzungen im Bereich der Krankenversicherungen und der Altersrenten einschließlich einer Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Allerdings kann man nach 42 Jahren sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung unter bestimmten Bedingungen weiterhin ab Anfang 60 in Rente gehen.

Gleichzeitig will die neue Regierung durch eine Erhöhung der Beschäftigungsquote auf 80 Prozent (derzeit liegt sie in Belgien bei 72,1 Prozent und im belgischen Bundesland Flandern bei 76,8) und des Mindestlohns Steuereinnahmen erhöhen und zugleich Sozialausgaben senken. Arbeitgeber sollen zudem stärker an der Finanzierung der Leistungen für Langzeitkranke beteiligt werden, damit die Motivation der Unternehmen steigt, durch Verbesserungen der Arbeitsbedingungen den Krankenstand zu verringern.

Vooruit – die einzige linke Partei in der Regierung – hat gegen den massiven Widerspruch der frankophonen Liberalen vom MR eine Besteuerung auf Kapitaleinkommen in Höhe von zehn Prozent durchgesetzt. Noch nicht ganz klar ist allerdings, wie künftig die sogenannte Indexierung aussehen soll.

Regierungsbildungen in Belgien sind kompliziert, weil es praktisch keine landesweiten Parteien gibt. Folglich sollen die jeweils stärksten Parteien aus den drei Regionen in der föderalen Regierung vertreten sein sollen. Schon 2019 war die N-VA die stärkste Partei in Flandern. Aber damals waren die wallonischen Sozialisten (PS) noch deutlich besser aufgestellt und ihr damaliger Vorsitzende Paul Magnette verhinderte eine Regierungsbeteiligung der N-VA, die für für Migrationsbegrenzungen eintritt und für eine Staatsreform, die dem flämischen Teil Belgien eine höhere Autonomie gibt.

Nun ist die N-VA nicht nur erstmals an der föderalen Regierung beteiligt, sondern sie stellt mit dem früheren Bürgermeister von Antwerpen, Bart De Wever, sogar den belgischen Premierminister. Als Reaktion auf die 2019 von Magnette durchgesetzte Ausgrenzung der N-VA aus der föderalen Regierung wollte die N-VA zeitweilig aus dem seit über 30 Jahren bestehenden cordon sanitaire – so die französische Bezeichnung für die Brandmauer gegen Faschisten – der belgischen Politik gegen den faschistischen Vlaams Belang (VB) ausscheren. Auf öffentlichen Druck hin hat die N-VA das dann doch unterlassen und wurde erneut stärkste politische Kraft in Flandern vor dem VB, der zunächst in Umfragen vor den Wahlen 2024 in Führung gelegen hatte.

Allerdings musste De Wever sich bereits von seinen flämischen Autonomieansprüchen verabschieden, da weit über 80 Prozent der Belgier nichts davon halten. Was De Wever derzeit als politischen Erfolg für sich verbucht, könnte sich daher zu einem Problem entwickeln, wenn die N-VA-Wählerschaft zu sehr von De Wevers Regierungsführung enttäuscht sein sollte, da er als Regierungschef nicht nur flämische Interessen im Blick haben kann. Dann könnten sich die N-VA-Wähler bei den Wahlen in 2029 vermehrt dem VB zuwenden.

Bemerkenswert ist der mediale Umgang mit dem VB in Belgien: Nach den Wahlen haben sich die Medien auf die Berichterstattung über die Koalitionsverhandlungen konzentriert. Der VB hat damit in der Berichterstattung keine Rolle mehr gespielt, da sich in Belgien auch die Medien an den cordon sanitaire halten.

Ein Artikel von Jürgen Klute

Jürgen Klute

Jürgen Klute ist Theologe und Europapolitiker. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des EU-Parlaments (Delegation DIE LINKE). Jürgen Klute betreibt die Internetseite europa.blog. Er publiziert insbesondere zu Themen wie linke Kräfte in Europa und zur Rechtsentwicklung in der EU. (Foto: © Uli Winkler)

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