Gerechtigkeit für Palästina – Eine europäische Verantwortung
Europa trägt an Unrecht und Krieg in Gaza Mitverantwortung. Ein Gastbeitrag von Walter Baier, Präsident der Partei der europäischen Linken

Erst vor wenigen Tagen hat das israelische Kabinett den Bau von 22 neuen Siedlungen im besetzten Westjordanland genehmigt. Das war nicht bloß ein politischer Beschluss, sondern ein brutaler Akt der Aggression und ein offener Bruch des Völkerrechts.
Die Absicht ist unmissverständlich: Jede verbleibende Hoffnung auf Frieden soll ausgelöscht und die Aussicht auf einen unabhängigen palästinensischen Staat vernichtet werden.
Selbst mit größter Fantasie lässt sich dieser Schritt nicht einmal von den fanatischsten Verteidiger*innen des Siedlerkolonialismus mit den Ereignissen vom 7. Oktober rechtfertigen.
Der Krieg, mit dem die israelische Armee dem Gaza-Streifen überzieht, ist keine Akt der Verteidigung, sondern einer der Expansion und der Unterwerfung.
Durch Mythen verhüllte Komplizenschaft
Europas Mitverantwortung an diesem Unrecht ist tiefgreifend und vielschichtig.
Zum Beginn des vorigen Jahrhunderts versprachen europäische Kolonialmächte ein Land, das ihnen nicht gehörte – Palästina – zwei verschiedenen Völkern. Damit wurde der Grundstein für einen andauernden Konflikt gelegt.
Nach den Schrecken der Shoah war es nicht Europa, das den Preis zahlte – sondern die Palästinenser*innen. Obwohl sie keine Schuld am an dem am europäischen Judentum verübten Genozid trugen, wurde ihr Heimatland zur Bühne der Nachwirkungen.
Und schließlich sind es bis heute amerikanische und europäische Waffen, die Israels jahrzehntelangen Krieg gegen das palästinensische Volk ermöglichen.
Diese Komplizenschaft ist eingehüllt in Mythen.
Der erste Mythos: Die Europäische Union sei eine globale moralische Instanz, eine Verteidigerin des Völkerrechts.
Doch die Realität zeigt eine schockierende Doppelmoral. Nur wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verhängte die EU-Sanktionen – heute sind wir bei Paket Nummer 17.
Aber angesichts der 18 Monate andauernden Offensive Israels gegen Gaza – mit zehntausenden zivilen Opfern – läuft die militärische Zusammenarbeit mit Israel weiter, die Waffenlieferungen laufen weiter, und das moralische Schweigen ist ohrenbetäubend. Selbst die nun aufkommende Kritik aus Brüssel bleibt halbherzig und vage.
Währenddessen wird der österreichische ESC-Sieger, Johannes Pietsch alias JJ, der gefordert hatte, Israel ebenso wie Russland vom Wettbewerb auszuschließen, öffentlich vom politischen Establishment, vom österreichischen Bundespräsidenten abwärts und den Medien attackiert.
Um das klarzustellen: Ich bin dagegen, Künstler*innen für die Verbrechen ihrer Regierungen zu bestrafen. Aber der Vergleich ist berechtigt. Israels Regierungen verstoßen systematisch gegen internationales Recht und gegen die Charta der Vereinten Nationen – durch Besatzung und Vertreibung.
Die erschütternde Wahrheit ist: In nur der halben Zeit hat der Krieg gegen Gaza doppelt so viele zivile Opfer gefordert wie Russlands Krieg gegen die Ukraine.
Das eine wie das andere Verbrechen beim Namen zu nennen, ist nicht antisemitisch. Es ist eine moralische Pflicht.
Eine Beleidigung für die Opfer der Shoah
Im Februar trat Netanyahus Likud-Partei der rechtsradikalen Fraktion „Patrioten für Europa“ im EU-Parlament als Beobachter bei – einem Bündnis, das ideologische Erben des europäischen Faschismus umfasst.
Wenn diese Kräfte heute als Verteidiger des Judentums und als Gegner des Antisemitismus inszenieren, ist das eine Beleidigung für Überlebende und Opfer der Shoah. Es ist historische Amnesie – instrumentalisiert für politischen Profit.
Die europäische Linke hat das Massaker der Hamas vom 7. Oktober verurteilt.
Wir rechtfertigen es nicht. Wir verharmlosen es nicht. 1.200 Menschen, größtenteils Zivilist*innen, wurden getötet – und wir trauern um jede einzelne Person.
Doch die Weigerung unserer politischen und medialen Eliten, auch nur annähernd gleiche Empathie für die inzwischen über 60.000 palästinensischen Opfer – meist Frauen, Kinder und Babys – zu zeigen, ist ein moralischer Bankrott.
Schlagen wir eine der Zeitungen des Mainstreams auf: israelische Opfer werden namentlich genannt, ihre Gesichter und Geschichten gezeigt. Palästinensische Opfer werden zu Zahlen degradiert – Zahlen, die oft pauschal als „nicht verifizierte Hamas-Angaben“ abgetan werden.
Auch diese Entmenschlichung ist Teil der Gewalt.
Die schlimmste Verzerrung ist jedoch der Versuch, Völkermord in Gaza und Expansion im Westjordanland, in Syrien und im Libanon mit dem Holocaust zu rechtfertigen.
Sagen wir es in aller Klarheit: Die Shoah wurde von weißen Europäerinnen an großenteils weißen Europäerinnen verübt – nicht von Palästinenser*innen. Die heute vertriebenen Menschen, deren Eltern und Großelterb sind nicht diejenigen, die den Genozid begangen haben.
Max Horkheimer sagte einst: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Und ich möchte hinzufügen: Wer den Kolonialismus ignoriert, sollte nicht über Frieden predigen.
Ja, der Kampf gegen Antisemitismus ist eine ständige politische und kulturelle Verpflichtung. Aber wir führen diesen Kampf im Namen universeller Werte – Werte, die uns auch dazu verpflichten, uns gegen antimuslimischen Rassismus, Apartheid und jede Form ethnischer Überlegenheit zu stellen.
Israel verteidigt heute nicht sein Existenzrecht. Es zerstört systematisch die Existenzgrundlagen der Palästinenser*innen – vom Fluss bis zum Meer – um Platz zu schaffen für ein „Groß-Israel“.
Ein weiterer Mythos besteht in der Behauptung, dass Netanjahu und seine Regierung für alle Jüdinnen und Juden sprächen. Sie tun es nicht, und auch nicht der israelische Staat kann dies in Anspruch nehmen. Viele Jüdinnen und Juden – in Israel und weltweit – haben andere Lehren aus der Shoah gezogen und lehnen die Logik des zionistischen Nationalismus ab.
Die Wahrheit ist, dass Netanjahu und seine Verbündeten das zionistische Versprechen in eine Dystopie verwandelt haben – in einen Apartheidstaat, der sich von einer Vision jüdischer Befreiung zu einem Instrument der Unterdrückung entwickelt hat.
In historischem Palästina leben zwei Völker. Für beide ist Platz. Beide haben ein Recht auf Sicherheit, Würde und Freiheit. Deshalb fordern die Vereinten Nationen seit Jahrzehnten einen palästinensischen Staat an der Seite Israels – eine Vision, die wir jetzt aktiv verwirklichen müssen.
Die Weltgemeinschaft hat ihr Urteil über die derzeitige Regierung Israels längst gesprochen. Und kein Staat – auch Israel nicht – kann dauerhaft Krieg gegen den Rest der Welt führen.
Darum fordern wir:
Einen sofortigen Waffenstillstand,
Den Rückzug Israels aus allen besetzten Gebieten,
Die Freilassung aller Geiseln und politischen Gefangenen,
Und eine Rückkehr zu echten Verhandlungen über einen gerechten und dauerhaften Frieden.
In ganz Europa sind es längst nicht mehr nur Jugendliche, Studierende und linke Parteien, die handeln wollen. Länder wie Norwegen, Slowenien, Irland und Spanien gehen mutige Schritte. Weitere werden folgen. Europa – das heißt: die EU und ihre Mitgliedstaaten – können ihrer historischen wie aktuellen Verantwortung nicht entkommen.
Deshalb beteiligt sich die EL an internationalen Kampagnen, die zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten führen sollen.
Wir fordern
– ein Waffenembargo gegen Israel.
– wirtschaftliche Sanktionen,
– die Aussetzung des Assoziierungsabkommens EU–Israel, das die Achtung der Menschenrechte zur Bedingung macht.
Und wir fordern die volle Anerkennung des Staates Palästina – hier und jetzt.
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