Gemeinsam für ein anderes Europa

Bereits zum 9. Mal findet das European Forum of Left, Green and Progressive forces statt. Eine Chronik von Marseille bis Wien

Podiumsdiskussion auf dem European Forum im vergangenen Jahr in Budapest © European Forum

Es ist das jährliche Stelldichein von Abgesandten linker, grüner und sozialdemokratischer Parteien, von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft: das European Forum of Left, Green and Progressive forces. Seine Premiere erlebte das wesentlich von der Partei der Europäischen Linken (EL) getragene Forum 2017 in Marseille und versteht sich als Treffen, um Kräfte zusammenzuführen, die kritisch zur gesellschaftspolitischen und ökonomischen Entwicklung in Europa stehen. In diesem Jahr tagt das European Forum zum 9. Mal, diesmal in Wien.

1. European Forum, November 2017, Marseille

Selbstgestecktes Ziel des ersten European Forum war es, „die progressiven Alternativen zur autoritären, patriarchalen und antisozialen Politik vieler europäischer Regierungen und der Europäischen Union sowie zur Einschränkung der Arbeitnehmerrechte in den Mittelpunkt zu rücken“. Die Teilnehmenden betonten ihren „starken Konsens“, dass es nötig sei, „einen Raum zu schaffen, der es linken, grünen und progressiven Kräften aus ganz Europa ermöglicht, gemeinsam die Herausforderung zu meistern, einen strategischen Vorschlag für ein alternatives Modell der europäischen Integration zu erarbeiten“. Damit war der Grundstein für die Entwicklung der Europäischen Foren als Ort der Debatte und Koordinierung über Länder- und Parteiengrenzen hinweg, unter Einbeziehung von Gewerkschaften, Organisationen, Thinktanks und progressiven zivilgesellschaftlichen Organisationen gelegt.

Ausdrücklich wurde bereits auf dem ersten Forum die Notwendigkeit betont, „öffentliche Kampagnen zu zentralen Themen für die Europäer zu führen“. Genannt wurde in diesem Zusammenhand insbesondere die seinerzeit heftig diskutieren und kritisierten EU-Freihandelsabkommen TTIP (mit den USA) und Ceta (mit Kanada). Angesprochen wurde auch der Kampf gegen die Rechtsentwicklung in Europa.

2. Forum, November 2018, Bilbao

​Das zweite European Forum konstatierte, dass „neoliberale Politiker, die eine Politik der sozialen Deregulierung und Austerität umsetzen, Europa immer tiefer ins Chaos stürzen“. Die Zerstörung sozialer Modelle führten zu zu niedrigeren Löhnen, Arbeitslosigkeit, Prekarität, geringeren Sozialausgaben, zur Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen und Privatisierung. „Die ökologische Zukunft des Planeten, die Rechte der Frauen und die Zukunft der Jugend werden geopfert“, so die Teilnehmenden. „Im Zuge dieser ultraliberalen Politik erstarken radikalisierte, nationalistische, rassistische und fremdenfeindliche Kräfte der Rechten und der extremen Rechten. Freiheit und Demokratie werden in Frage gestellt. Die Logik des Krieges überwiegt die Logik der Zusammenarbeit. Migranten werden zu Sündenböcken dieser egoistischen Politik gemacht.“

​Der verabschiedete Aufruf „Europa muss alarmiert sein“ umfasst solche Punkte wie die „Neuordnung des immensen Reichtums, der in Europa geschaffen wurde, hin zu einem neuen Modell der sozialen und ökologischen Entwicklung“ und die Gleichstellung der Geschlechter, Frieden und kollektive Sicherheit – dazu sollten Bürger*innendebatten in ganz Europa organisiert werden.

​ 3. Forum, November 2019, Brüssel

​Das Forum nahm direkten Bezug auf die im Frühjahr 2019 stattgefundenen Wahlen zum Europäischen Parlament: „Bei den jüngsten Europawahlen verfehlte die Große Koalition erstmals die absolute Mehrheit. Die Grünen machen Fortschritte. Doch der Durchbruch der reaktionären Rechten und Rechtsextremen sowie der Verteidiger des Patriarchats und der Fremdenfeinde ist besorgniserregend.“ Daher müssten progressive Kräfte „jede Gelegenheit nutzen, neoliberaler, autoritärer und räuberischer Politik entgegenzutreten, um soziale und ökologische Gerechtigkeit, Frieden und solidarische Lösungen zu fördern“.

Als Programm dafür hatten die Teilnehmenden ein Programm aufgestellt, das sieben zentrale Punkte umfasste: Vollbeschäftigung und Verbesserung der Lebensbedingungen; die Untersetzung der ökologischen Wende mit Maßnahmen zur Umgestaltung von Produktion, Konsumtion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums; den Schutz des öffentlichen Sektors und der Daseinsfürsorge; die Geschlechtergleichheit; die Unterstützung eines friedlichen und atomwaffenfreien Europas; ein Europa, das die Menschen und nicht die Profite in den Mittelpunkt der Wirtschaftsentwicklung stellt sowie die Wiederbelebung des Manifests von Ventotene, das ein gemeinsames, demokratisches Europa zum Ziel hat.

​ 4. Forum, November 2020, online

Die über 1 500 Teilnehmenden des vierten European Forum berieten wegen der Covid-19-Pandemie komplett online. Corona habe die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten weiter verschärft, hieß es. Angesichts der Pandemie sprach sich das Forum für die Unterstützung der Europäischen Bürgerinitiative aus, die sich für den freien Zugang zu Impfstoffen und Behandlungen für alle einsetzt.

Die Unterstützung der Bürgerinitiative ist auch als erster Programmpunkt der Schlusserklärung aufgeführt. Zudem wird eine Aktion für den kommenden Frauenkampf- und -feiertag am 8. März vorgeschlagen, „die unsere Verteidigung eines Europas zum Ausdruck bringt, das endlich vom Patriarchat frei ist“. Ebenso wird dazu aufgerufen, gemeinsam mit Gewerkschaften eine soziale Lösung der Krise zu erreichen. Genannt sind insbesondere die Besteuerung großer Unternehmen und die Unterstützung der von der Corona-Krise am stärksten betroffenen Sektoren. Weitere Themen der Schlusserklärung sind auch die der Stopp der Umweltzerstörung und Maßnahmen gegen den Klimawandel sowie Aktionen für ein Europa der Solidarität, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

5. Forum, November 2021, Brüssel

Eines der zentralen Themen des European Forum 2021 war der Kampf gegen die Rechtsentwicklung und den Aufschwung der Rechtsextremen in Europa. Zudem stand die Aufarbeitung der Corona-Pandemie auf der Agenda. „Die Krise, die durch die Ausbreitung von Covid-19 auf dem ganzen Planeten verursacht wurde, hat all die Widersprüche, Einschränkungen und Mängel eines neoliberalen und räuberischen Gesellschaftsmodells aufgezeigt“, heißt es in der Schlusserklärung. In der Corona-Zeit seien die Ungleichheiten zwischen den sozialen Schichten weiter gewachsen, die Armut weiter gestiegen, das Einkommen der Arbeitnehmer gesunken – zugleich aber wuchsen Arbeitslosigkeit und Unsicherheit.

Folglich standen auch die Bewahrung des Rechts auf kostenlose Gesundheitsversorgung, einschließlich des Verzichts auf (Impf-)Patente, und die Verteidigung von Arbeitnehmerrechten im Zentrum des Aktionsplans. Abermals wurden Aktionen angekündigt, um im Kampf gegen den Klimanotstand „echte Fortschritte zu erzielen“. Aufgerufen wurde zu einem Friedenstreffen in Madrid im Juni 2022, parallel zum Nato-Gipfel. Als neues Thema fand die Forderung, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts jedes EU-Landes für Kultur bereitzustellen und ein Künstlerstatut auf europäischer Ebene zu etablieren, Eingang in den Aktionsplan. Die Corona-Pandemie hatte viele Künstler*innen und Kulturschaffende in existenzielle Nöte gebracht.

6. Forum, Oktober 2022, Athen

Die Menschen in Europa seien zum Ausklang der Corona-Pandemie mit einer verlängerten Krise konfrontiert, konstatierte das sechste European Forum. Diese führe „zu einer Verschlechterung der Lebensqualität der Menschen und zu einem Rückschlag bei den sozialen, bürgerlichen und Arbeitsrechten“. Die Krise schaffe zudem eine Situation individueller und kollektiver Unsicherheit. Ohne eine demokratische Lösung, die auf dem Prinzip der Solidarität basieren müsse, würde diese Situation den Boden für Faschismus und politische Koalitionen bereiten, die von rechtsaußen beeinflusst seien.

Wie in den vorangegangenen Jahren wird im Aktionsplan zur Mobilisierung gegen das Patriarchat „als eine Ideologie, die Frauen ausbeutet, bestraft und unterdrückt“ aufgerufen. Unterstützt werden alle Demonstrationen und Proteste, insbesondere der verschiedenen europäischen Gewerkschaften, „um die Kaufkraft der Europäerinnen und Europäer zu verteidigen und im allgemeinen Interesse einen Ausweg aus der Krise zu finden“. Es müsse mit allen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen zusammengearbeitet werden, um Armut, Unterernährung, Obdachlosigkeit und Drogensucht zu bekämpfen. Neben friedenspolitischen Forderungen wird angeregt, sich mit dem europäischen demokratischen Erbe zu beschäftigen: „Dies ist ein notwendiger Teil des Kampfes gegen den Faschismus.“

7. Forum, November 2023, Rivas Vaciamadrid

„Die Debatten auf dem 7. Europäischen Forum bestätigten das Scheitern eines neoliberalen, reaktionären, patriarchalen und umweltschädlichen Modells des europäischen Aufbauwerks. Dieses Modell hat seine Unfähigkeit bewiesen, positive Lösungen für die Herausforderungen zu bieten, vor denen unsere Völker stehen, und es fehlt ihm ein echtes Engagement für die Erreichung strategischer Autonomie in seiner Außenpolitik.“ Das ist die kurzgefasste Bilanz des Forums in Spanien. Aufgerufen werden linke, grüne und andere progressive Kräfte, ein anderes Europa zu errichten. Ausdrücklich werden dabei auch Gewerkschaften und Kulturorganisationen einbezogen.

Der Aktionsplan des siebenten Forum ähnelt seinen Vorgängern; die Friedensfrage ist abermals der zentrale Punkt. Auch der Aufbau eines feministischen Europas wird erneut als ein Hauptanliegen genannt. In Zusammenarbeit insbesondere mit den Gewerkschaften wird eine Kampagne angeregt, um „das Leben aller EU-Bürger zu verbessern“. Dazu sollen konkrete Vorschläge unterbreitet werden. Unterstützt werden zugleich gewerkschaftliche Aktionen gegen die Austeritätspolitik und eine gesellschaftliche Umverteilung des Reichtums in der EU. Bekräftigt wurden ebenfalls die in 2021 in Brüssel erhobenen Forderungen nach Unterstützung von Künstler*innen und zur Schaffung eines Künstlerstatuts auf europäischer Ebene.

8. Forum, November 2024, Budapest

„Die Menschen in Europa sind mit Gefahren konfrontiert, die überall gleich sind: Angriffe auf Löhne und Renten, Konsequenzen aus neoliberaler Austeritätspolitk und Inflation, wachsende Ungleichheit und Kriegsgefahr, ökologische Krise und Rollback in der Klimapolitik, Angriffe auf Frauenrechte, Rassismus und Antisemitismus.“ So beschreibt das 8. European Forum die Situation Ende 2024.

Konsens war in den Debatten, dass es linke Alternativen zum Kurs der EU unter der alten und neuen Kommission von Präsidentin Ursula von der Leyen gibt. Ebenso, dass der nach Kapitalinteressen geformte Staatenbund einer grundlegenden Reform bedarf. Zentrale Punkte des Budapester Aktionsplans waren die Schaffung einer solidarischen Gesellschaft – basierend auf einer entwickelten Sozialpolitik unter Einschluss von öffentlicher Daseinsfürsorge, Gesundheit, guten Mieten, Lebens- und Arbeitsbedingungen –, der konsequente Kampf gegen den Klimawandel, Frieden und internationale Sicherheit, Feminismus, Kampf gegen recht und – als eigener Punkt – die Berücksichtigung von Interessen und Perspektiven der jungen Generation.

Ein Artikel von Uwe Sattler

Uwe Sattler

Uwe Sattler ist Herausgeber von „die-zukunft.eu“ und inhaltlich für die Plattform verantwortlich. Nach zwölf Jahren in der Redaktionsleitung der Tageszeitung „nd.DerTag"/"nd.DieWoche" ist der Journalist Mitglied des Vorstands der nd.Genossenschaft eG.

die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst.

Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.

Kontakt

Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?

die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.

E-Mail senden

Zahlungsmethode


Betrag

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst.

Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.

Zahlungsmethode


Betrag

Kontakt

Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?

die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.

E-Mail senden