europaLINKS: Pharmakonzerne – Blütenweiße Profite
Aus der Chemie wurde die Pharma, aus der Pharma wurden global tätige Finanzgesellschaften. Denen geht es um Profitmaximierung. Besonders in der Schweiz ist das sichtbar. Ein Kommentar aus der Schweizer »Wochenzeitung«.

Die linke Medienlandschaft in Europa ist nicht groß, aber es gibt sie. Manche Zeitungen erscheinen in gedruckter Form täglich, einige wöchentlich, andere monatlich. Online sind sie alle präsent – und nehmen, ob nun als Print- oder Digitalprodukt, Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs in ihren jeweiligen Ländern.
An dieser Stelle blicken wir in progresssive Medien Europas. Heute: „Blütenweiße Profite“. Dieser Text ist in Ausgabe Nr. 20 (15. Mai) der Schweizer »Wochenzeitung« erschienen. Der Beitrag wurde nachbearbeitet und gekürzt.
Renato Beck
Wie viel darf ein Menschenleben kosten? Die Frage kommt zuverlässig, wenn es um hohe Gesundheitskosten geht, um teure Therapien und Medikamente. Doch die Frage ist falsch gestellt. Richtig lautet sie: Wie viel darf die Pharmaindustrie an einem Menschenleben verdienen?
Einige wenige Wochen ist es her, da schickte der CEO von Novartis (international tätiger Pharmagigant mit Sitz in Basel – d.R.), Vasant Narasimhan, gemeinsam mit Paul Hudson, dem CEO des französischen Pharmakonzerns Sanofi, einen Brief an die »Financial Times«: Sie beklagten, Europa würde durch zu tief festgesetzte Preise »das Wachstum des Biopharmamarkts künstlich beschneiden«. Die EU müsse sofort handeln, mahnten die Manager, sonst werde sich die Abwanderung der europäischen Pharmakonzerne in die USA beschleunigen. Ihr Vorschlag: Europa müsse jene Medikamentenpreise zulassen, die in den USA gelten. Das wären Weltraumpreise, im Schnitt dreimal so hoch wie in Europa.
Nun ist es nicht so, dass Novartis ein Liquiditätsproblem hätte. Im letzten Jahr verbuchte der Weltkonzern aus Basel einen Gewinn von rund zwölf Milliarden US-Dollar. Mit Profitmargen, die sonst in der legalen Wirtschaft kaum vorkommen. Weil der Konzern nicht weiß, wohin mit dem vielen Geld, läuft ein Aktienrückkaufprogramm über 15 Milliarden Dollar.
Die Multis nutzen die Gunst der Stunde. Sie versuchen, aus drohenden Zöllen in den USA, dem wichtigsten Absatzmarkt, Vorteile zu ziehen. Global aufgestellt, mit schier unermesslichen Mitteln, können sie nach Belieben Werke aufbauen und schliessen. Sie können Gewinne dorthin verlagern, wo es für sie am günstigsten ist, und Angestellte um den Planeten schicken. In Basel, wo man die Politik von SP (Sozialdemokratische Partei – d.R.) bis rechts in der Tasche hat, konnten sich Roche und Novartis bei der Volksabstimmung über die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer am Sonntag skandalöse Steuerprivilegien sichern; in den USA versucht man, sich mit Milliardeninvestitionen und der Beendigung von Diversity-Programmen die Gunst von Präsident Trump zu erkaufen.
Die Pharmagiganten agieren völlig entfesselt, und niemand stört sie dabei. Auch weil die Pharma nicht mehr die toxische Chemie ist, die Fische im Rhein tötet. Heute gibt sich die Industrie im blütenweißen Laborkittel »von der Wissenschaft geleitet und auf Innovation ausgerichtet« (Roche) und »Medizin gemeinsam neu denkend« (Novartis). Doch eigentlich ist sie schon einen Schritt weiter.
Aus der Chemie wurde die Pharma. Und aus der Pharma wurden global tätige Finanzgesellschaften. Kürzlich fragte die »NZZ« Jörg Reinhardt, den scheidenden langjährigen Novartis-Verwaltungsratspräsidenten, was der schwierigste Moment seiner Amtszeit gewesen sei. Reinhardt hätte die Bestechungsskandale in den USA anführen können, wo Novartis Hunderte Millionen Dollar an Strafen bezahlen musste. Doch er nannte einen Kurssturz der Aktie von Alcon, einer damaligen Tochterfirma von Novartis, im Jahr 2016. »Es war ein Weckruf«, sagte Reinhardt, der sich fortan erfolgreich der Profitmaximierung widmete.
Wie wenig Innovation mitunter in der Tätigkeit der Multis steckt, zeigt der neuste Blockbuster von Novartis, der Cholesterinsenker Leqvio, der dem Konzern jedes Jahr Milliardenumsätze liefern soll. Entwickelt hat diesen die Firma The Medicines Company, Novartis kaufte diese 2020 für knapp zehn Milliarden Dollar. Um den Kaufpreis reinzuholen, setzt Novartis auf sehr hohe Preise. Und auf aggressives Marketing bei US-Spitälern, die im Auftrag von Novartis elektronische Patient*innendaten durchforsten sollen, um geeignete Kund*innen zu identifizieren. Kein Wunder, fordert der Lobbyverband Interpharma eine zügigere Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens.
Eine vertiefte politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell und der Macht der Pharmaindustrie fehlt in der Schweiz. Gerade auch wegen ihrer enormen wirtschaftlichen Bedeutung für die Schweiz sollte sich das dringend ändern.
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.
Hinweis
Guter Journalismus ist nicht umsonst.
Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.
Kontakt
Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.
Zahlungsmethode
Hinweis
Guter Journalismus ist nicht umsonst.
Die Inhalte auf die-zukunft.eu sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um die-zukunft.eu mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie uns und machen Sie unabhängigen, linken Journalismus möglich.
Zahlungsmethode
Kontakt
Sie wollen Kontakt zu uns aufnehmen?
die-zukunft.eu freut sich auf Ihre/auf Eure Vorschläge für Beiträge zur Debatte über ein anderes Europa. Bitte geben Sie Ihren Namen, die Organisation sowie eine Kontaktadresse an.