EU-Finanzen: Von der Leyens „Trilemma“
Europäische Kommission eröffnet Debatte über Haushalt für weitere sieben Jahre

Wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch den Entwurf für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU ab 2028 vorstellt, wird sie von einem »Trilemma« sprechen. So wird in ihrem Haus die schier unlösbare mathematische Aufgabe mit Blick auf den EU-Haushalt bezeichnet: Erstens hat die Union zu wenig Eigenmittel; zweitens fehlt die Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, ihre Beiträge zu erhöhen; und drittens herrscht steigender Kostendruck aufgrund von geopolitischen, klimatischen und wirtschaftlichen Krisen.
Während die wachsende soziale Ungleichheit in Europa allenfalls am Rande Thema ist, sind vor allem Kriege und Konflikte in Brüssel allgegenwärtig. Bei Konservativen, Sozialdemokrat*innen und Grünen herrscht Einigkeit, dass Unsummen erforderlich sind, um die EU zu einer Verteidigungsunion zu machen. Wenn in den nächsten Monaten um den MFR gerungen wird, sind Umschichtungen zugunsten der Aufrüstung zu erwarten.
Die Mittel für Verteidigung sollen mit einem Fonds für Wettbewerbsfähigkeit verzahnt werden, wie aus der Kommission zu hören ist. Dieser soll auch anderen strategischen Sektoren zugutekommen. Mit Blick auf globale Überkapazitäten sowie hohe Energiepreise und eine schwache Produktivitätsentwicklung stehen Schlüsselsektoren wie die Automobil- und Chemiebranche oder die Stahl- und Aluminiumproduktion derzeit unter Druck. Erschwerend kommt der Handelsstreit mit den USA hinzu. Der Europäische Gewerkschaftsbund warnte am Montag davor, dass bis zu 700 000 Jobs auf dem Spiel stehen.
Das ist der düstere Hintergrund, vor dem der neue mehrjährige Haushalt der EU diskutiert wird. Üppig ist das Budget nicht: Mit 289,7 Milliarden Euro jährlich betrug der letzte MFR nur knapp 60 Prozent des aktuellen Bundeshaushaltes – für die gesamte Union wohlgemerkt. Zusätzlich belastet wird der Haushalt dadurch, dass Kredite aus dem Corona-Aufbaufonds getilgt und Zinszahlungen fällig werden. Da geht es um bis zu 30 Milliarden Euro ab 2027.
Auf den chronischen Geldmangel reagiert man in Brüssel mit Reformbestreben. So sollen die sogenannten Eigenmittel durch Einnahmen aus dem Emissionshandelssystem (ETS) erhöht werden. Hier rechnet man mit einem jährlichen Plus von 19 Milliarden Euro. Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) soll zusätzlich 1,5 Milliarden Euro pro Jahr in die Kassen spülen. Zudem steht eine Abgabe für internationale Unternehmen mit einem Umsatz über 50 Millionen Euro im Raum. Eine Neuauflage gemeinsamer Schulden wie beim Corona-Aufbaufonds, wie sie etwa die Sozialdemokratie fordert, gilt als ausgeschlossen.
Der wohl größte Streitpunkt ist das Vorhaben, das Budget umfassend zu vereinfachen. Die Kommission will milliardenschwere Töpfe wie den Kohäsionsfonds, den Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Sozialfonds (ESF+) in nationale Pläne zusammenführen. Das soll ermöglichen, so jedenfalls heißt es aus der Kommission zur Begründung, effizienter auf Krisen reagieren zu können. Die Gelder würden dann über allgemeine Förderrichtlinien direkt an die Regierungen der Mitgliedsstaaten fließen.
Bei Parlamentarier*innen stößt das auf scharfe Kritik, weil sie die parlamentarische Kontrolle in Gefahr sehen. Am Dienstag betonte der zuständige Berichterstatter Siegfried Mureşan (EVP) auf einer Pressekonferenz: »Wir lehnen jedweden Versuch, die Gelder zu nationalisieren, kategorisch ab«, ging von der Leyens Parteikollege ungewohnt hart mit den Plänen ins Gericht. Man begrüße zwar das Vorhaben, den MFR zu modernisieren. »Aber die Töpfe müssen eigenständig bleiben«, unterstrich der konservative Politiker.
Als Zugeständnis spricht die Kommission inzwischen nicht mehr nur von »nationalen«, sondern auch von »regionalen Partnerschaften«. Und die Sozialdemokratie will der Kommissionspräsidentin vor dem Misstrauensvotum vergangene Woche das Versprechen abgerungen haben, dass der Sozialfonds in vollem Umfang erhalten bleibt. »Der Fonds ist entscheidend für Bildung und Gesundheit in der Europäischen Union«, unterstrich die Parlamentsberichterstatterin Carla Tavares (S & D) am Dienstag.
Bei Konservativen stößt auf Unmut, dass der größte Posten im EU-Haushalt, die Gemeinsame Agrarpolitik mit Fischerei und Umweltschutz, in die nationalen Pläne überführt werden soll. »Das Parlament wird nicht hinnehmen, dass traditionelle EU-Prioritäten verwässert werden«, unterstrich Mureşan. Doch Sorgen vor Kürzungen im Schlüsselbereich der EVP scheinen unbegründet – gerade vor dem Hintergrund der mächtigen Agrarlobby und der Bauernproteste des vergangenen Jahres. Wahrscheinlicher ist, dass die Kommission im Rahmen des allgegenwärtigen Bürokratieabbaus auch im Bereich Landwirtschaft die Klima- und Umweltschutzstandards wieder lockert, wie es aus Parlamentskreisen heißt.
Der Beitrag ist zuerst erschienen auf nd-aktuell.
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